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Poesie und Akzeptanz

Für kein anderes gesellschaftliches Feld gilt das Versprechen der Grünen aus dem Jahr 2011 „Der Wechsel beginnt“ so sehr wie für den Umgang mit LSBTTIQ. Und seit die CDU Koalitionspartner ist im Land, musste sie sogar ihren Kulturkampf gegen den Aktionsplan für „Akzeptanz und gleiche Rechte“ einstellen.

Vor der vergangenen Landtagswahl mussten LSBTTIQ-AktivistInnen sich zur Wehr setzen. Foto: Joachim E. Röttgers

Von Johanna Henkel-Waidhofer↓

Ausweislich der Homepage der CDU-Landtagsfraktion ist Claudia Martin ihre Sprecherin für Behindertenpolitik. Da passt es doch bestens, dass sie bei Podiumsdiskussionen aushelfen kann, wenn es um ein ganz anderes Thema, nämlich die Gleichstellung von Frauen, geht – und sich sonst niemand von den AbgeordnetenkollegInnen mit solchen Nebensächlichkeiten abgeben will. Doch jetzt wurde aus unsensibel geschmacklos. Denn die Fraktionsführung schickte die 40-Jährige vor wenigen Tagen an das Mikrophon des Landtags zu TOP 2, der den Aktionsplan und die Zukunftsperspektiven für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender zum Thema hatte.

Schon ihrer offiziellen Funktion ­wegen hätte Martin diese Rede nicht halten dürfen. Erst recht aber angesichts ihrer AfD-Herkunft. Die gebürtige Sächsin, gewählt im Wahlkreis Wiesloch mit überdurchschnittlichen fast 19 Prozent, war in den Landtagswahlkampf 2016 gezogen mit einem Wahlprogramm voll haarsträubender Behauptungen. Etwa: „Wir wenden uns entschieden gegen die volkserzieherische Überhöhung von nicht heterosexuellen Menschen und gegen die Dekonstruk­tion der Familie.“ Oder: „Die Ideologie des Gender Mainstreaming behauptet, dass das Geschlecht nur als soziales Konstrukt zu betrachten sei.“ Oder: „Mit dem Aktions­plan soll die pseudo-wissenschaftliche Gender-Ideologie durchgesetzt werden unter dem Deckmantel grundsätzlich positiver Werte wie Toleranz, Antidiskriminierung, Vielfalt und Gleichberechtigung, die zu Kampfbegriffen umdefiniert werden.“

Eingetreten war Martin in die „Alternative für Deutschland“ nach eigenen Angaben ausgerechnet vor lauter Ärger über kinder-, jugend-, familien- und bildungspolitische Positionen von Grünen und SPD. Öffentlich distanziert hat sie sich nie von den untergriffigen AfD-Absurditäten zu LSBTTIQ (Lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, transgender, intersexuelle und queere Menschen). Auch das wirft ein Schlaglicht auf den CDU-Umgang mit dem gesellschaftlichen Wandel.

CDU-Grüße an die homophobe „Demo für alle“

Beredtes Zeugnis von der Haltung gerade unter maßgeblichen CDU-Leuten legt die Aufregung ab, die vor der Landtagswahl 2016 angezettelt wurde, um den Aktionsplan in Misskredit zu bringen. Spitzenkandidat Guido Wolf warf der damaligen grün-roten Landesregierung vor, „eine heftige Auseinandersetzung zu riskieren, die eher das Trennende als das Gemeinsame betonen wird“. Dabei waren es die CDU-WahlkämpferInnen, die genau diese Auseinandersetzung unentwegt befeuerten. Mit bemerkenswerter Einfalt argumentierte selbst der Bezirksvorsitzende der CDU Württemberg-Hohenzollern, der Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß: „Sexualität ist eine ganz persönliche Sache.“ Einfalt mit Kalkül, denn nicht nur er schickte Grußbotschaften an die VeranstalterInnen der homophoben „Demo für alle“. Christoph Scharnweber vom evangelischen Arbeitskreis der CDU Heilbronn und der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung Rhein-Neckar, Malte Kaufmann, traten damals sogar als Redner auf. Malte Kaufmann? Eben der, der inzwischen zur AfD überlief und für den Chefsessel im Stuttgarter Rathaus kandidiert.

Der Versuch, biedere rechtskonservative Reflexe zu mobilisieren, hat der CDU 2016 nicht viel geholfen. Am Ende der Verhandlungen mit den Grünen musste sie sich im Koalitionsvertrag sogar zum Aktionsplan bekennen, der „die Öffentlichkeit für das Recht auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung sensibilisieren und Ausgrenzung und Benachteiligung entgegenwirken will“. Irgendwelche Aktivitäten in diesem Sinne wurden zwar seither nicht bekannt – aber immerhin werden die der Grünen und all der anderen Aufrechten im Kampf um die Anerkennung von LSBTTIQ nicht mehr schlechtgeredet.

Brigitte Lösch hält die Regenbogenfahne hoch

Wie wichtig dieses Engagement war und bleibt, zeigte in eben jener Landtagsdebatte vor wenigen Tagen eine der Hartnäckigsten, die langjährige Stuttgarter Grünen-Landtagsabgeordnete Brigitte Lösch. Aus einer von vielen ähnlich lautenden Mails zitiert sie so etwas: „Hallo Frau Lösch, die Toleranz geht einfach zu weit. Homo, Lesben und andere krankhafte Störungen müssen bekämpft werden. Es gibt hierfür einen Arzt, der solche seelischen Fehlentwicklungen behandelt.“ Und Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) setzte dem ein bald 50 Jahre altes Liebeslied des Wiener Edelbarden André Heller entgegen: „Denn ich will, dass es das alles gibt, was es gibt.“

Die Poesie ist in den vergangenen Jahren in erlebbare Alltagspraxis übersetzt worden. In der ersten grün-roten Legisla­turperiode und unter Verantwortung der Lucha-Vorgängerin Katrin Altpeter (SPD) wurden unter anderem 15 Anlaufstellen eingerichtet, fachlich geschultes Personal hat mehrere tausend Gespräche geführt, Steuermittel gibt’s für Selbsthilfe und Peer­beratung. 250 Einzelschicksale von im NS-Regime Verfolgten sind dokumen­tiert, gleich nach Inkrafttreten des Aktions­plans wurde 2016 das Internetportal zur Dokumentation der Repressa­lien auch seit Ende des Zweiten Weltkriegs eingerichtet: Drei Männer, eine Frau und die Tochter einer Transgender-Person erzählen ihre Geschichte. 2017 erschien eine Studie zu den Chancen, den Möglichkeiten und vor allem der Notwendigkeit einschlägiger Jugendarbeit, zwei Jahre später eine Broschüre zur LSBTTIQ-sensiblen Pflege.

Das Lob solcher Fortschritte verband Lucha im Landtag mit sehr persönlichen Worten an Lösch: „Du hast nach dann 20 Jahren Landtag entschieden, dass du noch einiges zu tun hast. Wir werden verbunden bleiben. Ohne dich wären wir nicht da, wo wir heute stehen.“ Alle demo­kratischen Parteien sollten dafür sorgen, „dass die Regenbogenfahne für die Belange lesbischer, schwuler, bisexueller, transsexueller, transgender, intersexueller und queerer Menschen weiter hochgehalten wird“.

An dieser Stelle applaudierten sogar einige CDU-Abgeordnete. Aber erst nach der Landtagswahl und der Bildung einer möglicherweise anderen Regierungskonstellation im nächsten Frühjahr, bei der die Schwarzen wieder auf den Oppo­si­tions­bänken landen könnten, muss sich erweisen, ob das Thema LSBTTIQ tatsächlich ausgedient hat als Stimmungsmache.

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