: Pöbelportale und Pfennigfuchser
Brauchen wir den Journalismus noch? Und ist seine Krise hausgemacht oder investorengetrieben? Auf Sachlichkeit zu verzichten, muss man sich jedenfalls erst mal leisten können
Von Ambros Waibel
Heftchentag“ ist eine der Wortschöpfungen von Wiglaf Droste, die schon zur Zeit ihrer Entstehung, vor einem Vierteljahrhundert, einen leicht melancholisch anwehten.
Zumindest was eines der Heftchen angeht, die einen regelmäßig freitags bestimmt und beschwingt zum Kiosk wandern ließen, war dieses Jahr Schluss: Die Konkret erscheint von angekündigten Sonderausgaben abgesehen von Januar an nur noch als E-Paper.
„Nur noch“ ist dabei schon ernst zu nehmen, nicht nur weil Freunde um die gedruckte Konkret trauern, sondern weil uns ja auch selbst hier in der taz noch nicht immer klar ist, ob wir nun bei unserer Arbeit von online only, online first oder online exclusive sprechen wollen, auch wenn sich das bei uns auf die Wahl zwischen E-Paper-Ausgabe und eben reiner Onlineveröffentlichung auf taz.de bezieht.
Seitenwenden, Zeitenwenden – sie können Hoffnung stiften, aber auch Untergangstimmung erzeugen. Vor elf Jahren schrieb der italienische Autor Marco d’Eramo in der taz: „So viele Berufe die Moderne überhaupt erst hervorgebracht hat, so viele hat sie auch wieder zerstört.“ D’Eramo erinnert an die Telegrafisten, die erste globale Kommunikationselite, aber auch an Dinge, die zwar näher liegen, aber nicht minder vergessen sind: Oder wie wollen Sie ihrem Kind erklären, dass man früher einen „Film“ in eine „Kamera“ – echt jetzt, wer braucht so ein single function device!? – „einlegen“ und die ganze Sache dann auch noch „entwickeln“ musste? Das klingt wirklich nach einem Dunkelkammerjahrhundert! Also – ist vielleicht am Ende alles doch besser geworden? Kann nicht ein journalistisches Qualitätsportal wie Übermedien im Januar schon seinen zehnten Geburtstag feiern? Und sind, um den Blick auf einen europäischen Nachbarn zu weiten, zwar in Italien Traditionsblätter wie La Repubblica und La Stampa in der Krise, während sich gleichzeitig aber neue, engagierter Aufklärung verpflichtete Internetmedien etabliert haben wie Il Post oder Valigia Blu?
Wenn wir von Krise sprechen wollen, müssen wir sie definieren. Die Süddeutsche Zeitung etwa hat keine Krise als journalistisches Produkt – im Gegenteil: Qualität, Zuspruch und auch die Zahlen stimmen, sie stimmen bloß nicht für den Investor, ein „schlimmer Pfennigfuchser“, wie es in der taz hieß. Und die auf den Markt geworfenen italienischen Zeitungen scheinen für einen der möglichen Käufer sogar eher eine Last zu sein, wirklich interessiert ist er nur an den (mehr) Rendite versprechenden Radios, die dem Paket beiliegen.
„Die Ursprungssituation ist die, dass es eine gesellschaftliche Institution gibt, die im Namen der Sachlichkeit gegründet ist. Das ist der Journalismus“, hat Diedrich Diederichsen vor zwei Jahren in einem Band zum Thema „Literarischer Journalismus“ geschrieben; und es lohnt sich, auch jenseits der inzwischen halb vergessenen Affäre Claas Relotius – die mit diesem Schlagwort in ihrem Ausmaß ganz unzureichend und insofern nicht ganz fair betitelt ist –, auf diese Aussage zurückzukommen.
Denn es ist ja eben die Unsachlichkeit, die einem ganz anderen Teil journalistischen Engagements derzeit als vielversprechendes Betätigungs- und Geschäftsfeld erscheint, oft finanziert von Personen, die die Disruption, also die „radikale Umwälzung oder Veränderung bisheriger Verhältnisse“, anstreben, wie der Soziologe Steffen Mau schrieb.
Eine hektische, links- wie rechtspopulistische, ost- wie westsentimentale Kampf- und Gesinnungspresse feiert Wiederauferstehung – mal wieder: Denn Medien sind nicht zuletzt als Wohlfühl- und Bestätigungsräume gegründet worden. Möglicherweise nimmt dieser Trend zur meckernden Muffigkeit in einer Epoche, in der der Wahrheit auch immer etwas Katastrophisches anhaftet, sogar zu. „Der Lachende / Hat die furchtbare Nachricht / Nur noch nicht empfangen“ – wann seit dem fernen 1939, als Bertolt Brecht diese Verse veröffentlichte, wären sie aktueller gewesen?
Wer sich weiter der wirklichen Welt aussetzen will, wer, wie etwa Menschen, deren Wohnsitze vom steigenden Meeresspiegel bedroht sind, auf exakte Informationen zum Selbstschutz gar nicht verzichten kann – der muss in der gegenwärtigen Medienwelt einiges an Dumpfheit und Gemeinheit beiseiteschieben, um zum Ziel zu gelangen: „Flood the Zone with Shit“ ist die Parole der Pöbelportale. Wer die Masche einmal durchschaut hat, wird darauf nicht auf Dauer reinfallen. Und Trost nicht im Ressentiment suchen, sondern in der Zuversicht darauf, was Menschen bewegen können, solange sie sich ihre Menschlichkeit als zentralen Wert bewahren.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen