Podcasts werden mehr und kommerzieller: Ein gutes Jahr für die Ohren
2017 sind zahlreiche deutschsprachige Podcasts gestartet. Die zunehmende Kommerzialisierung des Mediums stößt in der Podcast-Szene auch auf Kritik.
Es war ein gutes Jahr für Podcasts. Sagen die Einen. Mehrere Medienhäuser haben angefangen zu podcasten: Nach Donald Trumps Amtsantritt im Januar startete die New York Times „The Daily“, Spiegel Online zog nach mit „Stimmenfang“, Zeit Online podcastet seit September über Politik, Sex und Arbeit und die Süddeutsche seit Neuestem über ihre Recherchen. Das Konzept der Sendungen: Redakteure sprechen über die Nachrichten des Tages, befragen Kollegen und führen Interviews.
Selbst Sender wie der Deutschlandfunk und Antenne Bayern, deren Geschäft ja eigentlich das klassische Radio ist, produzieren mittlerweile die abonnierbaren Stücke fürs Internet.
Mit den neuen Angeboten verändert sich auch die Podcast-Landschaft: Plattformen wie der Streamingdienst Spotify und der Hörbuchanbieter Audible bieten mittlerweile ebenfalls Podcasts an. Und mit dem Erfolg kommt der Kommerz: Unternehmen schalten Werbung vor und in den Stücken, teilweise sprechen die Moderatoren sogar die Werbetexte ein.
Freie Podcaster, die bislang die Szene ausmachten, beobachten diese Entwicklungen mit Skepsis. Jahrelang produzierten sie von der großen Masse oft unbeachtet ihre Sendungen mit Hang zu Nischenthemen. Oft sind die Formate Stunden lang; es geht ums Backen, um Permafrost, Feminismus oder Technik. Einige der Freizeit-Produzenten fürchten, dass sich das Hörangebot durch die Kommerzialisierung zu sehr von seinen Anfängen entfernt.
Unterschiedliche Finanzierungsmodelle
Eine von ihnen ist Daniela Ishorst. Die 37-jährige Bürokauffrau produziert „Kunst & Horst“. Dort spricht sie über Museumsbesuche oder Theatervorstellungen und versucht, ihre Erlebnisse so einfach wie möglich zu vermitteln, weil Kunst oft etwas Elitäres habe. Bis zu 1.000 mal würden ihre Folgen aufgerufen. Sie möchte Leute erreichen, „die eigentlich nichts mit dem Kunstbetrieb anfangen können und die nicht mal eben zehn Euro ausgeben können, um ins Museum zu gehen“, sagt Ishorst. Dafür verzichtet sie auf Werbung.
Weil ihre Eltern wenig Geld hatten, habe sie selbst als Jugendliche nur selten die Möglichkeit gehabt, Museen und Theater zu besuchen. Hörangebote ausschließlich zahlenden Kunden vorzubehalten, wie es beispielsweise die Hörbuchplattform Audible tut, findet sie falsch: „Es wäre schade, wenn die vielen tollen Podcasts verschwinden, weil sie fünf Euro im Monat kosten“, sagt Ishorst. Gegen Geldverdienen mit Podcasts sei sie aber nicht: auf das ,wie’ komme es an. Eine freiwillige Finanzierung durch die Hörer ist ihr Lieblingsmodell. „Solidaritätsprinzip“ nennt sie das, weil einige Geld geben und alle hören können.
Philip Banse setzt auch auf Solidarität, allerdings anders als Ishorst. Seit 2005 podcastet er, vor anderthalb Jahren startete seine Sendung „Lage der Nation“. Darin bespricht er mit dem Berliner Richter und Aktivisten Ulf Buermeyer aktuelle politische Themen. Bis zu 90.000 Mal seien die erfolgreichsten Folgen heruntergeladen worden, sagt Banse. Sein Geld verdient er hauptsächlich als freier Journalist beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Sie können Podcasts auf den Webseiten der Anbieter und mit Apps auf Android und iOS hören. Neue Sendungen finden Sie zum Beispiel im Apple-Verzeichnis „iTunes“ und mit der Suchmaschine „fyyd“.
Für die Zukunft hat er große Ideen: bezahlte Mitarbeiter, eigens recherchierte Themen und einen Reportage-Podcast, der Hintergründe liefert. Dafür braucht er Geld. „Wir investieren momentan mehr Zeit, als bezahlt wird. Das ist unser Investment“, sagt Banse. Er finanziert seine Sendungen über eine Kombination verschiedener Modelle: Für fünf Euro monatlich können Hörer die Arbeit unterstützen und erhalten Zusatzfunktionen wie einen Livestream. Knapp 500 Abonnenten seien bereits dabei. Die zahlende Kundschaft wird von Werbung verschont, die seit kurzem im Podcast erscheint. „Das finanziert die „Lage“ für die Leute, die nicht zahlen. Für die, die das nervt, gibt es ein Abo“, sagt Banse. Für ihn sei das ein faires Modell.
Vermessung der Podcast-Welt
Neben neuen Finanzierungsmodellen sind in den vergangenen Jahren auch neue Verbreitungswege für Podcaster hinzugekommen, die umstritten sind. Lange Zeit wurden die Stücke fast ausschließlich über Webseiten oder mit Apps gehört. Das wahrscheinlich populärste Verzeichnis für die Sendungen stammt von Apple. Daran gibt es wenig Kritik: Jeder kann Podcasts einreichen, sie erscheinen in der Regel wenige Tage später auf der Plattform und die Dateien bleiben auf den Servern der Produzenten. Sie behalten die Kontrolle über ihr Projekt.
Spotify, der in Deutschland meistgenutzte Anbieter für Musikstreaming, drängt auch auf den Markt. Im Mai 2016 holte er Jan Böhmermann und Olli Schulz mit ihrer Sendung, die vorher im Radio lief, auf die eigene Plattform. Seitdem erscheinen immer mehr Podcasts auch bei Spotify und anderen Streamingdiensten wie Deezer. Anders als bei Apple müssen Podcaster dort eine Lizenzvereinbarung abschließen.
Auch die „Lage der Nation“ ist bei Spotify vertreten. Noch würden über 90 Prozent der Downloads über herkömmliche Podcast-Apps erfolgen, sagt Banse. Spotify sei aber für Leute, die eher zufällig beim Stöbern nach Musik auf Podcasts stoßen. „Natürlich sind diese Plattformen auf lange Sicht kritisch zu sehen.“ Er sehe vor allem für werbefinanzierte Formate die Gefahr, irgendwann von den Werbekunden auf Plattformen gedrängt zu werden, weil dort mehr Daten über die Hörer und ihren Medienkonsum gesammelt werden. Vor allem Google und Facebook, die sich hauptsächlich über Werbung finanzieren, könnten den Markt umkrempeln, wenn sie Podcasts eine Plattform böten.
Daniela Ishorst ist es wichtig, dass der dezentrale Aufbau der Podcastlandschaft deshalb erhalten bleibt. „Ich werde mich nicht professionalisieren, nur damit ich noch mehr Klicks habe“, sagt sie. Außerdem liege die Entscheidung am Ende bei den Nutzern, wie und welche Podcasts sie hören.
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