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Podcasterin übers Scheitern„Wut und Mut hängen zusammen“

Martina Leisten ging mit einem Café pleite. Sie schrieb ein Buch über ihren Misserfolg. Heute macht sie einen Podcast – und coacht andere.

Martina Leisten sagt, sie sei ein authentisches Role-Model – weil sie selbst lange auf der Suche war Foto: Dagmar Morath
Nina Apin
Interview von Nina Apin

wochentaz: Frau Leisten, Sie sind Autorin, Coach für Persönlichkeitsentwicklung und Mutmacherin von Beruf, zumindest wenn man den Titel Ihres Podcasts, „Mutig, Mutig!“, wörtlich nimmt. Wie definieren Sie für sich Mut?

Martina Leisten: Für mich bedeutet Mut in erster Linie, einfach mal zu machen, etwas neu oder anders zu machen. Das klingt leichter, als es tatsächlich für viele ist. Mutig sein bedeutet manchmal, störende Gedanken beiseitezuschieben: Das schaffe ich nicht! Was denken die anderen darüber? – Da hilft es, bei sich zu bleiben und zu sagen: Wenn ich auf etwas Bock habe, dann will ich das umsetzen.

Das geht so einfach?

Über die Risiken kann und muss man auch nachdenken, aber eben erst später. Meinen Podcast zum Beispiel habe ich in diesem Frühjahr einfach ins Leben gerufen, zu Hause in meinem Wohnzimmer mit einem Mikro, das gerade so taugt, ohne Wahn­sinns­equipment oder Erfahrung. Ich lade verschiedene Gäste zum Gespräch ein oder spreche selbst über Themen, die helfen sollen, meine Hö­re­r:in­nen zu ermutigen. Dabei probiere ich mich selbst aus und gebe mir den Raum, mich zu verbessern.

Waren Sie schon immer so zupackend?

Ich habe mich selber nie für mutig gehalten. Große Pläne hatte ich, aber aus denen wurde nichts. Als Kind wollte ich Tierärztin werden, aber nach dem Abi dachte ich: Ich war immer schlecht in Bio, lieber nicht! Ein Jahr in den USA oder studieren in den Niederlanden, das wollte ich auch, aber die Umsetzung hat mich überfordert. Eher im Kleinen habe ich mich Herausforderungen gestellt, ich war als 14-Jährige deutsche Meisterin im Kugelstoßen. Dass ich mutig bin, habe ich erst durch mein Scheitern gelernt. Darüber zu reden und dadurch andere zu ermutigen, das war für mich eine Sache, die ich als mutig bezeichnen würde.

Im Interview: Martina Leisten

Studentin und Cafébetreiberin

Martina Leisten, geboren 1978, wuchs in Nordrhein-Westfalen in der Nähe von Düren auf. Sie studierte in Göttingen Sozialwissenschaften, arbeitete in der Werbung und der Filmproduktion. Später eröffnete sie zwei Cafés – erfolglos.

Autorin und Coachin

Nach einer Privatinsolvenz verarbeitete sie ihre Erlebnisse in dem Buch „Voll verkackt!“ (2019). 2021 erschien ihr Workbook „Under Pressure“ zum Umgang mit Druck. Seit 2020 gibt sie Kurse und Einzelcoachings zur beruflichen Orientierung und zur Persönlichkeitsentwicklung. In ihrem Podcast „­Mutig, ­Mutig!“ widmet sie sich Themen wie emotionaler Stabilität – oder der Sinnlosigkeit von Neujahrsvorsätzen.

In Ihrem Buch „Voll verkackt!“ schildern Sie, wie Sie gleich zwei Mal mit einem Café gescheitert sind. Wie kam das?

Nach dem Studium bin ich nach Berlin gezogen. Da ich leidenschaftlich gerne gebacken habe und sich die Gelegenheit bot, habe ich mit wenig Geld und großen Hoffnungen ein Café am ­Boxhagener Platz eröffnet. Das ging gründlich in die Hosen. Nach einem Jahr musste ich Frollein Palisander schließen und hatte 40.000 Euro Schulden.

Was ging schief, kam keiner?

Es kamen zu wenige. Vor allem aber hatte ich zu wenig Rücklagen. Obwohl ich schon ein bisschen Gastronomieerfahrung hatte, habe ich völlig unterschätzt, wie lange es dauert, einen Laden von null aufzubauen. Es hätte mir eine Warnung sein müssen, dass sich in diesem Objekt keiner halten konnte. Da ging jedes Jahr ein anderer pleite. Aber ich dachte, ich mach das schon, ich habe schließlich einen Businessplan und kann mit Zahlen umgehen. Nach und nach kam die Ernüchterung, aber ich war weiter optimistisch: Na ja, machst du halt einen Mindestumsatz und kommst bei null raus.

Aber das hat nicht hingehauen …

Selbst dafür hat es nicht gereicht. Ich verschuldete mich, um den Betrieb aufrechterhalten zu können. Ich stand in diesem leeren Laden wie ein Tiger im Käfig, und im Kopf tickte die Schuldenuhr. Nichts tun zu können, war das Schlimmste. Als nach einem Jahr endlich ein bisschen Stammpublikum da war, ging mir die Luft aus.

Das heißt?

Ich konnte die Kreditraten nicht mehr zahlen, der Gerichtsvollzieher stand vor der Tür. Ich musste Privatinsolvenz beantragen, meine Konten wurden gepfändet, das volle Programm. 1.073 Euro zum Leben durfte ich behalten; wenn ich irgendetwas buchen oder mieten wollte, mussten meine Eltern für mich bürgen. Das Gefühl, auf ganzer Linie versagt zu haben, machte mich krank. Ich verkroch mich zu Hause, entwickelte eine Depression.

Trotzdem traten Sie in der TV-Show „Das große Backen“ an mit einer Mopstorte in 3-D.

Das Preisgeld hätte ich zur Entschuldung gebrauchen können. Aber es kam anders. Bei der Probe zu Hause sah die Torte super aus mit in Ahornsirup getränkten Bananenböden, Karamellfrosting und dunkler Schokolade – ein Hingucker. Aber im Studio war ich so nervös und unter Zeitdruck, dass ich ein verformtes Monster gebacken habe und vor laufender Kamera in Tränen ausgebrochen bin. Ein Desaster! Dann machte sich auch noch Stefan Raab in seiner Sendung über mich lustig, was ich zum Glück aber erst verspätet mitbekommen habe. Fürs Selbstbewusstsein war das alles nicht förderlich.

Und doch taten Sie es wieder – Sie machten sich nach Ihrer Entschuldung noch einmal mit einem Café selbstständig. Ist das noch Mut oder schon Sturheit?

Ich jobbte damals in diesem Minicafé, das war nur so 18 Quadratmeter groß. Die Inhaberin fragte mich, ob ich es nicht übernehmen wolle. Da dachte ich: Okay, ich probiere es nochmal. Es gab praktisch kein Risiko, ich war nur Pächterin. Es ging auch nicht pleite wie das erste Café, aber ich merkte, dass es wenig abwirft und wenig Steigerungspotenzial hat. Da habe ich es bleiben lassen. Für mein Selbstwertgefühl war es gut, dass ich ohne Schulden und freiwillig den Schauplatz verlassen habe. Die Erkenntnis war, dass das Scheitern mir nicht für immer anklebt oder mich zu einem schlechten Menschen macht. Leider wird das aber oft so betrachtet, wenn jemand pleitegeht, gerade in Deutschland.

Für eine bessere Fehlerkultur wirbt das Bühnenformat der „Fuckup Nights“. Auf diesen Veranstaltungen, die in vielen Großstädten weltweit stattfinden, erzählen Menschen vor Publikum von ihrem Scheitern. Auch Sie sind dort aufgetreten, in Leipzig.

Es war eine spontane Idee. Freunde erzählten mir von den „Fuckup Nights“, und ich dachte: Scheitern, dazu kann ich auch was sagen! Ein bisschen Angst hatte ich zwar, dass man mich auslacht oder beschimpft. Aber im Saal waren dann hundert Leute, die mir zuhörten, es gab viel Applaus und Zuspruch. Es hat gutgetan zu wissen: Ich bin nicht allein, auch andere machen Fehler. Von den anderen zu hören, welche Träume und Projekte sie in den Sand gesetzt haben, hat mir auch geholfen, meine eigene Pleite besser einzuordnen.

Inwiefern?

Ich stand mit Leuten auf der Bühne, die ganz locker davon erzählten, wie sie mit ihrem Start-up drei Millionen in den Sand gesetzt hatten. Dann fand sich ein neuer Investor, alles prima. Die haben Leute entlassen – und ich fühle mich schlecht wegen 40.000 Euro! Was mir auch gesagt wurde: Nicht meine Idee war schlecht, ich hatte einfach zu wenig Eigenkapital. Hätte ich reiche Eltern oder einen vermögenden Partner gehabt, die im ersten Jahr meine Cafémiete übernommen hätten, hätte ich das Jahr überlebt. Da konnte ich zum ersten Mal so was wie Wut zulassen.

Wut auf die Verhältnisse?

Ach nee, ich hätte keine verbitterte AfD-Wählerin werden können, die dem Staat oder den Flüchtlingen die Schuld gibt, dass es bei ihr nicht läuft. Es liegt mir fern, die Schuld bei anderen zu suchen. Trotzdem hängen Wut und Mut für mich sehr eng zusammen. Denn erst aus einer gewissen Aggression oder Grundunzufriedenheit heraus entsteht der Wunsch, etwas zu verändern.

In Ihrem Podcast haben Sie den Satz formuliert: „Du bist wütender, als du denkst.“ Mögen Sie Aggression?

Nicht dass es Missverständnisse gibt: Ich meine nicht körperliche Gewalt oder zerstörerisches Verhalten anderen gegenüber. Diese Art von Aggression ist zu Recht negativ besetzt. Die Wut, die ich meine, ist ein Motor. Ich möchte nicht weiter insolvent sein, wie komme ich da raus? Oder: Ich bin in einer Beziehung unzufrieden, wie kann ich mich besser abgrenzen oder durchsetzen? Daran arbeite ich mit meinen Kund:innen. Besonders Frauen haben oft damit zu kämpfen, diese aggressive Seite als etwas Konstruktives anzunehmen. Anpassungsfähigkeit dagegen wird meiner Meinung nach überbewertet. Viele finden es toll, mit ihrem Chef gut klarzukommen. Aber manchmal verleugnen sie dabei ihre eigenen Bedürfnisse. Das kann es nicht sein!

Sie haben ein Buch über Ihr Scheitern geschrieben und eine Ausbildung zum Coach gemacht. Seither beraten Sie Menschen in beruflichen Krisen. Was qualifiziert ausgerechnet Sie dazu, anderen zum Erfolg zu verhelfen?

Nachdem „Voll verkackt!“ erschienen war, wurde ich viel um Rat gefragt, aber ich konnte den nur auf menschlicher Ebene geben, für ein echtes Coaching fehlte mir das Handwerkszeug. Also habe ich die Ausbildung gemacht. Aber ich bin keine Erfolgsmanagerin: Buchen Sie mein Seminar, und dann machen Sie Karriere und werden reich! Dafür wäre ich ja auch wohl die Falsche.

Sondern?

Ich sehe mich eher wie ein Streetworker, der früher selber auf der Straße gelebt hat. Als eine, die immer auf der Suche war und sich öfter mal verirrt hat auf dem Weg, bin ich ein authentisches Role-Model. Ich weiß, wovon ich rede. So vieles wollte ich werden, Tierärztin, Konditorin, Fotografin. Jetzt bin ich Autorin und Coach. Hätte ich früher auch nicht gedacht. Träume und Ziele können sich verändern. Es ist nicht wichtig, dass es immer gradlinig zugeht, es sollte nur passen.

In Ihrem Podcast sprechen Sie mit Menschen, die etwas verändern wollen oder verändert haben. Unzufriedenheit ist ein großes Thema.

Ja, die Menschen, die zu mir kommen, verspüren einen Leidensdruck, die haben Burn-out, sind deprimiert. Da geht es nicht um berufliche Erfolgsgeschichten, das große eigene Business, die nächsten Schritte auf der Karriereleiter. Diese Coachingnische bedienen andere. Mir geht es zunächst um realistische Ziele. Wie finde ich heraus, was mir am meisten liegt? Wie kann ich das erreichen? Denen, die im Arbeitsverhältnis sind, geht es oft nicht mal um einen Jobwechsel, sondern darum, sich besser abzugrenzen, Nein sagen zu lernen, sich nicht die Arbeit von anderen aufzuhalsen, um sich Bestätigung zu holen. Aber natürlich kann so ein Prozess auch zu großen Veränderungen führen.

Zum Beispiel?

Eine Frau, mit der ich in meinem Podcast gesprochen habe, hat sich von Job, Partner und den meisten Freunden getrennt und lebt jetzt mit ihrem Hund alleine am Meer. Jetzt geht es ihr besser als zuvor, aber sie hat auch noch einen Weg vor sich.

Das klingt ehrlich gesagt wie ein Coachingklischee: Lebe deinen Traum! Geht ’s auch eine Nummer kleiner?

Absolut, es sind oft die kleineren Dinge und nur selten die großen. Meine Aufgabe ist es, Menschen zu stärken. Viele wissen oft gar nicht, was sie spüren oder was sie wollen, weil sie gelernt haben, sich zu verbiegen. Einer meiner Glaubenssätze ist: Nicht das Leben für andere leben.

Wie meinen Sie das?

Oft sind es Frauen, die Dinge sagen wie: Mein Mann will, dass ich in einer Firma arbeite, ich selber wäre aber gerne Künstlerin. Klar kann es eine Zeit lang oberste Priorität sein, dass eine Familienkonstellation funktioniert, vor allem finanziell. Aber vielleicht gibt es Spielräume. Die versuche ich zusammen mit den Klientinnen zu finden: Kann sie nicht gleichzeitig trotzdem Künstlerin sein? Vor drei Wochen war ich auf der Vernissage einer Klientin. Sie hat seit Jahren gemalt, sich aber nie getraut, ihre Arbeiten zu zeigen. Dann hat sie sich überwunden, und es war schön! Für solche Momente mache ich das. Ich unterstütze Menschen darin, ihr Leben zu leben, wie sie es wollen.

Ist es schwerer geworden, sich nicht zu verlieren? Auf Social Media sind alle immer schön, erfolgreich und haben eine gute Zeit, nur ich nicht …

Absolut! Die dopamingesteuerte Gier nach Anerkennung von außen führt dazu, dass man sich die Anerkennung selbst nicht gut geben kann ud in einen Selbstoptimierungswahn rutscht. Wenn ich für einen Post nur drei Likes kriege und irgendein Influencer 10.000, dann sagt das gar nichts über meinen Wert aus, aber es wird so ­empfunden. Ich will dazu anregen zu unterscheiden: Wo mache ich mir Druck, wo reagiere ich auf Druck von außen? Wenn der Chef sagt: Mach eine Stunde länger, und wenn mich das belastet, aber ich denke, ich darf nicht Nein sagen – was steckt dahinter? Es ist der Wunsch, es allen recht zu ­machen, Konflikte zu ­vermeiden. Wir können Druck und Stress nicht ver­meiden, aber wir ­können besser damit umgehen und uns nicht allem aussetzen.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Sie sitzen in einem mit Bildern behangenen hellen Raum mit einer alten Küchenanrichte. Hinter Ihnen lächelt eine Buddhastatue, an der Wand ein Widderkopf, zu Ihren Füßen schläft ein Mops im Körbchen. Ist das Ihre Praxis?

Nee, das ist meine neue Wohnung! Mein Partner und ich sind hier kürzlich eingezogen. Was Sie hinter mir sehen, ist der Retrostyle, den ich mag: eine Mischung aus Flohmarktmöbeln und Kram, die Farbharmonien müssen passen, das ist mein persönlicher Tick. Ich ordne sogar die Teller und Schüsseln im Schrank nach Farbe! Vor diesem Bildschirmhintergrund halte ich meine Onlinecoachings ab, hier nehme ich auch meinen Podcast auf. Ansonsten arbeite ich nicht in der Wohnung, ich halte das getrennt. Meine Präsenzkurse finden in den Büroräumen meiner Auftraggeber statt. Ich gebe vor allem Jobcoachings für das Arbeitsamt. Das zahlt der Staat, ich bin dankbar, dass es das gibt für Menschen, die kein Geld haben, sich ein Privatcoaching zu leisten.

Kommen die Leute freiwillig zu Ihnen?

Die Freiwilligkeit kläre ich immer als Erstes ab, die ist mir wichtig. Die Leute kriegen teilweise 40 bis 80 Stunden bezahlt, das ist mehr als eine Langzeittherapie. Ich begleite eine Person einzeln über drei, vier Monate. Manchmal gehen wir raus in die Natur mit Molly Mops, ich nenne das „Walk and Talk“. Von Molly kann man lernen, was Langsamkeit ist. Mit ihr braucht man schon mal eine halbe Stunde für 50 Meter! Vor allem aber sprechen wir. Ich wende keine fancy Spezialtricks an, meine Methode ist das Gespräch. 30 bis 40 Leute habe ich dieses Jahr begleitet.

Sie haben über sich gesagt, Ihr Traum sei ein Leben mit Mann und Mops in einem Haus am Meer. Fehlt nur noch das Haus, oder?

In meinem Fall wäre es wohl eher eine Plattenbaumietwohnung. Aber auch das dauert noch. Ich bin aus der Insolvenz raus, kann aber gerade froh sein, mal was für die Altersvorsorge beiseitelegen zu können. Wenn bis dahin die Niederlande noch nicht unter Wasser sind, dann möchte ich eines Tages dort an der Küste leben. Da bin ich als Kind schon oft hingefahren, das ist meine allerliebste Gegend.

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