Podcast „Midlife“: Ausweitung der Krisenzeit
Die Journalistinnen Katja Bigalke und Marietta Schwarz behandeln in ihrem Podcast die Mitte des Lebens. Zwischen Wandfarben, Immobilien und Körpern.
Die Podcast-Szene boomt. Gefühlt kommen täglich neue Formate auf den Markt. Wer behält da den Überblick? Wir helfen
Früher war die Sache klar: Unser Leben währet siebzig Jahr, steht in der Bibel; und was da steht, war fundamental wahr. Dante stieg damit in seine „Göttliche Komödie“ ein, er ist in der Hälfte des menschlichen Lebens, also 35, als er in den dunklen Wald der Lebenskrise gerät. In ihrer modernen Vermessung der Mitte des Lebens, die sich die Radiojournalistinnen Katja Bigalke und Marietta Schwarz in ihrem Podcast „Midlife“ vorgenommen haben, ist die Sache komplizierter, von 35 bis 55 setzen sie diese an.
In den vier bisher veröffentlichten Folgen geht es um Veränderung, meist aus weiblicher Perspektive. Expert:innen werden befragt, Fragen ums Kinder haben – Katja Bigalke hat zwei –, und Kinder nicht (mehr) bekommen wollen oder können werden erörtert, Besitz- und Figurfantasien spielen eine angenehm schamfrei-ironisch erzählte Rolle.
Offen gelegt wird auch, dass sich die Autorinnen in einer Art ideologischen Gated Comunity bewegen, dem deutschen Mittelstand mit seinen Hoffnungen und Ängsten, „die Eigentumsfrage ist virulent“, wie es in der vierten Folge „Farow and Ball“ heißt. Dabei geht es um teure Wandfarben, die sich im Freundeskreis der beiden großer Beliebtheit erfreuen. Nicht zuletzt deswegen, weil auch diejenigen, die den Einstieg in „property porn“, also ins Eigenheim verschlafen haben, sich wenigstens farblich ihre Mietwohnung zu eigen machen können.
„Midlife“ bei den bekannten Podcatchern und unter www.kuechenstud.io/midlife
Aus meiner männlichen Wahrnehmung ist das Leben der Midlife-Frauen vor allem kompliziert. Das liegt einerseits an der biologischen Tatsache der Menopause, die eben eine Grenze markiert: There is no alternative bzw. „Scheide ohne Östrogen ist wie die Sahelzone ohne Wasser“, formuliert es trocken eine Expertin.
Folge eins heißt „Ziege oder Kuh“, was die offenbar begrifflich etablierte Alternative für die alternde Frau ist: „Mager und faltig oder eben dick und ein bisschen weniger faltig.“ Die Autorinnen nehmen es mit Humor. Und sie sind sich radikal einig, dass es sich bei ihnen „eher in Richtung Ziege entwickeln wird“, die Figursache soll auf keinen Fall „entgleiten“. Der eigene Körper ist eben auch eine Immobilie, die besessen und gewartet sein will. Was an den Midlife-Wünschen fundamental-bürgerliches Statusdenken ist und was tatsächlich selbstbestimmt – diese Frage zu vertiefen, könnte den gelungenen Podcast noch interessanter machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!