piwik no script img

Plutonia Plarre hat sich die Trauerreden bei der Beerdigung von Werner Orlowsky angehörtEin im besten Sinne Autonomer

Unter den Klängen von Miles Davis’„All Blues“ geht es raus aus der Passionskirche auf den Friedhof der Dreifaltigkeit. Der Himmel ist blau, die Sonne strahlt, Eichhörnchen springen von Ast zu Ast. Aus dem Fenster seiner Wohnung in der Heimstraße konnte Werner Orlowsky die Bäume sehen, unter denen er an diesem Mittwoch begraben wird.

Die Menschenschlange, die sich hinter der weißen Urne und der Familie des Verstorbenen die Anhöhe hinaufbewegt, scheint kein Ende zu nehmen. „Mich kennt hier keiner mehr“, soll Werner Orlowsky traurig zu seinem alten Weggefährten Volker Schröder gesagt haben, als dieser ihn vor nicht allzu langer Zeit im Rollstuhl durch den Bergmannstraßen-Kiez geschoben hat.

Zugegeben. Es sind hauptsächlich die älteren Semester jenseits der 50 und 60, die Orlowsky die letzte Ehre erweisen. Jüngeren sagt der Name vermutlich nichts mehr. Orlowsky, das war der Intellektuelle, der in den 70er Jahren hinter dem Ladentisch seiner Drogerie in der Dresdener Straße den Widerstand gegen die Kahlschlagsanierung organisierte. 1981 wurde der Betroffenenvertreter vom Kottbusser Tor für die Alternative Liste zum Kreuzberger Baustadtrat gewählt, 1985 trat er seine zweite Amtszeit an, die er aber 1989 vorzeitig abbrach. Nach der Wende engagierte er sich in Prenzlauer Berg für eine behutsame Stadterneuerung.

„Orli war die Symbolfigur für den überfälligen gesellschaftlichen Wandel“, sagte sein früherer Mitstreiter Volker Härtig bei der Trauerfeier. „Er strahlte in hohem Maße Glaubwürdigkeit aus“, ergänzte Franziska Eichstädt-Bohlig. Die Grünen-Politikerin hatte damals das Bauressort von Orlowsky übernommen. Orlowsy selbst war immer parteilos. Sowohl bei der Grün-Alternativen Liste als auch bei der SPD gab es damals Leute, die ihm das Amt nicht geben wollten. „Er war radikal parteilich, ließ sich aber von keiner Partei vereinnahmen“, brachte es Pfarrer Jürgen Quandt in der Passionskirche auf den Punkt. Orlowsky habe für eine soziale Wohnungspolitik gekämpft, sei die Stimme der kleinen Gewerbetreibenden und Hausbesetzer gewesen. „Er war im besten Sinne des Wortes autonom“.

Nicht zu vergessen: Orlowsky führte einen Kampf gegen die eigene Bauverwaltung, die ihn, den Unerfahrenen, nicht ernst nahm. Er zeigte es ihnen, studierte nächtelang Akten. Und: „Er war ein König in der Palaverdemokratie“, so Eichstädt-Bohlig. „Mit List und Pfiffigkeit diskutierte er mit allen Beteiligten so lange, bis eine Lösung gefunden war.“ Gelebte Bürgerdemokratie. Dieses Vermächtnis Orlowskys wirkt in Kreuzberg bis heute fort.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen