Plötzliche Eisschmelze: Grönland unter Wasser
Für gewöhnlich taut in Grönland die Hälfte des Eises an. In diesem Jahr ist es fast das gesamt Eis! Die entstandenen Wassermassen führen zu chaotischen Zuständen.
STOCKHOLM taz | Fast die gesamte Eisdecke Grönlands taut oder ist angeschmolzen. Das haben Satellitenbilder der US-Raumfahrtbehörde Nasa gezeigt. Für Experten ist das alarmierend, denn das Eis im nördlichsten EU-Außenposten gilt als wichtiger Indikator für den Klimawandel.
Son Nghiem, Geowissenschaftler bei der Nasa, staunte nicht schlecht, als er die Satellitenbilder auswertete. „Das war so außergewöhnlich, dass wir uns erst fragten, ob ein Rechenfehler vorliegt“, sagte Nghiem.
Dass im Sommer Teile von Grönlands Eisdecke anschmelzen und später wieder zufrieren, ist zwar nichts Besonderes. Aber während in gewöhnlichen Jahren etwa die Hälfte antaut, sind es in diesem Jahr 97 Prozent. Das ist eine gewaltige Menge, denn im Landesinneren sind die Eismassen bis zu drei Kilometer dick.
Was ist der Grund dafür? Der Gletscherforscher Dirk van As vom dänisch-grönländischen geologischen Institut GEUS hält die Rekordschmelze für eine Folge der Verbrennung fossiler Energieträger. Die hat zwei Auswirkungen: Erstens steigen durch sie die Temperaturen. Zweitens entstehen Rußpartikel, die einen Grauschleier über das Eis legen. Dadurch dringt mehr Sonnenstrahlung in das Eis ein, weniger wird reflektiert. Andere Experten sehen die Ursache der ungewöhnlichen Hitze nicht unbedingt im Klimawandel.
Was die Nasa-Satelliten jetzt entdeckt haben, bekommen die Grönländer schon seit Wochen am eigenen Leib zu spüren. Mitte Juli wurden an der Süd- und Westküste Grönlands Rekordtemperaturen bis zu 23 Grad gemessen. Der grönländische Rundfunk KNR berichtet seitdem regelmäßig von „alarmierend hohen Wasserständen“ in den Flüssen, die das Schmelzwasser ins Meer transportieren. Teilweise steht das Wasser einen Meter über den bisherigen Rekordwerten, die 1984 gemessen wurden.
Die Wassermassen haben massive Folgen für die Infrastruktur. Stellenweise wurden Wege und Brücken mitgerissen, was für die Lokalbevölkerung laut KNR teilweise zu „chaotischen Zuständen“ geführt habe. Das sei „erst der Anfang“ einer Entwicklung, auf die man sich in Zukunft einstellen müsse, meint Gletscherforscher Dirk van As.
Auch das Eis in der Arktis schmilzt in diesem Jahr besonders stark und früh, berichtet das US-Forschungsinstituts National Snow and Ice Data Center. Es hat derzeit die für diese Jahreszeit zweitniedrigste Ausdehnung seit Beginn der Satellitenmessungen in 1979.
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