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Plebiszit in DeutschlandVolksabstimmung für Europa

Der weiteren europäischen Integration steht das Grundgesetz im Wege. Eine neue Verfassung könnte das schaffen - über eine Volksabstimmung.

Alles in der Schwebe in Europa? Bild: kallejipp / photocase.com

FREIBURG taz | Auch in Deutschland ist eine Volksabstimmung über die EU denkbar. Verfassungsrichter und Rechtswissenschaftler diskutieren bereits über die Voraussetzungen. Es wäre ein spektakulärer Schritt, denn dabei würde das Grundgesetz durch eine neue Verfassung ersetzt.

Angesichts der europäischen Schuldenkrise glauben viele, dass nur eine verstärkte Integration solche Zuspitzungen auf Dauer verhindern kann. Diskutiert wird über eine "europäische Wirtschaftsregierung" mit einer gemeinsamen Steuer-, Haushalts- und Sozialpolitik. In der CDU hoffen manche sogar auf die "Vereinigten Staaten" von Europa. Aber auch die bloße Bewältigung der Überschuldung könnte zu massiven Eingriffen in die nationale Souveränität führen, etwa wenn die EU einen Sparkommissar installiert, der in nationale Haushalte eingreifen kann.

Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sagte jüngst in einem Interview mit der FAS: Bei der "Abgabe weiterer Kernkompetenzen" an die EU "müsste Deutschland sich eine neue Verfassung geben. Dafür wäre ein Volksentscheid nötig. Ohne das Volk geht es nicht!" Doch wie kommt er zu dieser Aussage? Eigentlich ist das Grundgesetz eine europafreundliche Verfassung. An mehreren Stellen ist die Schaffung eines "vereinten Europas" als Staatsziel benannt.

Doch das Verfassungsgericht hat das Grundgesetz so interpretiert, dass es "die souveräne Staatlichkeit Deutschlands" voraussetzt, die nicht einmal per Verfassungsänderung aufgegeben werden dürfe. Deutschland dürfe, solange das Grundgesetz gilt, deshalb keinem europäischen Bundesstaat beitreten.

Haushaltspolitik ist staatliches Kerngebiet

Auch weitere Integrationsschritte unterhalb einer europäischen Staatsgründung hat das Bundesverfassungsgericht verboten, wenn dem Bundestag kein "ausreichender Raum zur politischen Gestaltung" mehr bleibt. Die Steuer- und Haushaltspolitik zählte Karlsruhe ausdrücklich zu den unaufgebbaren staatlichen Kerngebieten.

Wenn die EU in diese Bereiche der deutschen Staatlichkeit eingreift, müsse die Bundesrepublik gegensteuern "und im äußersten Fall sogar ihre weitere Beteiligung an der Europäischen Union verweigern", hieß es 2009 im Urteil zum Lissabon-Vertrag. Die Verfassungsrichter bekamen für diese selbstherrliche Entscheidung viel Lob und viel Kritik. Doch sie zeigten auch einen Weg, wie es mit der Integration weitergehen könnte.

Der Beitritt zu einem europäischen Bundesstaat sei "allein dem unmittelbar erklärten Willen des Deutschen Volkes vorbehalten", steht im Lissabon-Urteil - ein Verweis auf Artikel 146 des Grundgesetzes. Dort heißt es, das Grundgesetz "verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist". Für weitere Schritte müsste das Grundgesetz aufgegeben und eine neue Verfassung geschrieben werden.

Wie diese zustande kommt, lässt das Grundgesetz offen. Denkbar ist ein Volksentscheid, aber auch der Beschluss durch eine große verfassungsgebende Versammlung. Über das Grundgesetz gab es auch nie eine Volksabstimmung. Dabei müsste aber nicht unbedingt eine völlig neue Verfassung geschrieben werden. Man könne auch das Grundgesetz nehmen, sagte Verfassungsrichter Peter M. Huber jüngst in der SZ, und darin "wenige Sätze" ändern. Doch auch er geht, wie Voßkuhle, davon aus, dass die neue Verfassung per Volksabstimmung beschlossen werden müsste.

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7 Kommentare

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  • SA
    Steht auf der Liste

    Herr Cynic,

     

    dann erklären sie mir als Profi doch mal den Artikel 146 GG?

     

    Das GG ist keine Verfassung sondern wurde 1948 umbenannt von Besatzungsstatut in Grundgesetz und spiegelt lediglich die AGB der BRD GmbH wieder. Daher haben sie auch einen PERSONALausweis und keinen IDENTITÄTSausweis. Vielleicht sollten sie mal die Rede hören von Carlo Schmid. Außerdem steht über dem GG FÜR das deutsche Volk. Eine Verfassung kann völkerrechtlich aber nur VOM Volk gewählt werden.

     

    Aber ich bin ja nur Amateur, daher bitte ich sie mich aufzuklären.

  • JC
    Johnny Cynic

    Hurra, die Amateurjuristen können ihr Halbwissen wieder einmal herausbrüllen!

    Zum einen, liebe "Beissermann", "mmm" und "Steht auf der Liste" IST das Grundgesetz die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland.

    Zum anderen, liebe® "Umverteilung jetzt!" gäbe es mit der von Dir so lauthals geforderten "Direkten Demokratie mit Konsensorientierung" weder die EWG noch die EU noch den Euro noch ein wiedervereintes Deutschland. Deine Forderung nach Entschädigungszahlungen ist so populistisch wie völkerrechtlich irrelevant.

  • SA
    Steht auf der Liste

    @Beissermann:

    Nein wir sind nicht um eine Verfassung gebracht worden, weil es keine komplette Wiedervereinigung war. Wundert es sie nicht warum es im "Osten" den MDR (MITTELdeutschen Rundfunk) gibt und nicht den ODR?

     

    Artikel 146 GG

    Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

     

    Mit der Einheit Deutschlands sind die Grenzen von 1937 gemeint, also das Deutsche Reich (NICHT 3. REICH!)

     

    Dazu ein Urteil des BVerfG vom 31.07.1973:

    "Es wird daran festgehalten (vgl zB BVerfG, 1956-08-17, 1 BvB 2/51, BVerfGE 5, 85 ), daß das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch die Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die Alliierten noch später untergegangen ist; es besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation nicht handlungsfähig. Die BRD ist nicht "Rechtsnachfolger" des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat "Deutsches Reich", - in bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings "teilidentisch"."

     

    Daher haben wir keine Einheit. Und mit dem Tatbestand, dass wir kein Friedensvertrag haben, leben wir also nicht in Freiheit.

    Somit kann Artikel 146 GG gar nicht greifen.

     

    Aber dank der Transparenz unserer Politik und der Zensurfreiheit in den Medien sind wir ja aufgeklärt. *ähem*

  • UJ
    Umverteilung jetzt!

    Aber dann nur mit einer möglichen Antwort-Option:

    JA zum Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone

    Ja zum Referendum der Griechen über weitere konjunkturdämpfende Sparprogramme

    Ja zur Einführung der Vermögenssteuer

    Ja zur Entmachtung der Deutschen Bank

    Ja zur Direkten Demokratie mit Konsensorientierung

    Ja zur Umverteilung der Reichtümer aus Deutschland

    Ja zur Entschädigungszahlungen an die griechische Bevölkerung wegen der Kriegsverbrechen der NS-Besatzung im Zweiten Weltkrieg (Distomo).

     

    Kurz: JA.

  • W
    Willi

    Im Grunde wollt ihr Deutschland - Auflöser euch das Grundgesetz so zurecht zimmern oder es durch eine Verfassung ersetzen, dass dessen Inhalt euch in den Kram passt und ihr eine Volksabstimmung über eure undemokratische EU verhindern könnt. Die EU ist nicht un-, sie ist antidemokratisch angelegt. Und ihre Propagandisten scheuen keine Mühe, das Volk zu vera...

  • M
    mmm

    Zwei Anmerkungen:

     

    1) Wir haben keine Verfassung, sondern bis zu ihrer Erstellung ein Grundgesetz...

     

    2) Ist die Einführung einer neuen Verfassung extrem heikel: Zum einen ist das Grundgesetz ein sehr solides Stück Papier, dass unter dem Eindruck von Weltkrieg, Faschismus und totaler Unterdrückung entwickelt wurde. Ich traue niemandem in der heutigen Politik zu auch nur eine annähernd so gute Verfassung zu schreiben (Siehe Verfassung für Europa...). Zum anderen würden mit einer neuen Verfassung alle Entscheidungen des Bundesverfassugsgerichtes hinfällig, d.h. jedes Wort einer neuen Verfassung müßte erneut vor Gerichten durchdekliniert werden.

  • B
    Beissermann

    Es wäre an der Zeit das Grundgesetz in eine Verfassung zu verändern, einige Ding sind dabei an die heutige Zeit anzupassen. Und endlich das deutsche Volk um Zustimmung wählen zu lassen.

    Die deutschen Bürger sind doch seit der Wiedervereinigung um eine Verfassung gebracht worden.

    Wer hat eigentlich Angst vor einer Verfassung?