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Platzverweis

■ Sibirien in Oggersheim: Nach beharrlichem Protest vor dem Kanzlerbungalow zur psychiatrischen Untersuchung

Oggersheim (taz) - „Er läßt nicht nach“, stellte ein Sprecher des Ludwigshafener Polizeipräsidiums kopfschüttelnd gegenüber der taz fest. Der sei „einfach verbohrt mit seinen Regenwäldern“. Peter Horn, 24 Jahre alt und Geografiestudent in Heidelberg macht ein großes Problem besonders zu schaffen. Den jungen Mann treiben die Auswirkungen des gigantischen Abholzprogramms der tropischen Regenwälder um. Würde dieses nicht sofort beendet, dann ist nach Überzeugung von Peter Horn die Sache klar: Das Weltklima wird sich drastisch ändern, die Polkappen abschmelzen und die große Flut über die Menschheit hereinbrechen. Diese Horrorversion haben auch schon namhafte Wissenschaftler prognostiziert. Verantwortlich dafür sind vor allem die Politiker, sagt Peter Horn. Ein gewichtiges Wörtchen müsse dabei der Bundeskanzler sprechen, und zwar sofort. Um Kanzler Helmut Kohl entsprechend zu motivieren, setzte sich der Bürger Peter Horn vor den Kanzlerbungalow. Einzeln, ohne Transparent und auch ohne Gruppe im Hintergrund wartete der Geografiestudent am 15.Januar 1988 zum ersten mal auf den Bundeskanzler. Als dieser an den heimischen Herd in Oggersheim zurückkehrte, stellte ihm der junge Mann die harmlose Frage: „Was tun Sie diese Woche gegen das Abholzen der Regenwälder?““Da ist der echt verlegen geworden“, schilderte Peter Horn seine erste Begegnung mit Kohl. Aber dennoch war das alles Peter Horn noch nicht genug. So setzte er seine Ein–Mann–Sitzdemonstration in der Marbacher Straße fort. Insgesamt 27 mal setzte sich Peter Horn vor das Kanzler–Domizil und versuchte dabei immer wieder den Regierungs–Chef für ein Gesprächstermin zu gewinnen. Das alles war für Helmut Kohl, Gemahlin Hannelore und die Stadt Ludwigshafen zuviel. Peter Horn wurde zur psychiatrischen Untersuchung in die städtische Klinik Ludwigshafen gebracht. Der Gutachter kam erst einmal zu dem Schluß, Peter Horn sei „bewußtseinsklar“. Und Ludwigshafens Polizeipräsident Gottfried Baustaedt sagte zur taz, Horn „bereite keine Probleme. Nach der zunächst fehlgeschlagenen Psychiatrisierung zog das Amt für öffentliche Ordnung nun eine andere Saite auf. Es verfügte einen sogenannten Platzverweis. Peter Horn darf die Marbacher Straße bis zum 30.6.88 nicht mehr betreten dürfen. Doch bei der Anordnung unterlief der Behörde ein peinlicher Fehler. Sie wurde für den Vater des Betroffenen ausgestellt und hat deshalb gegen dessen Sohn keine Rechtskraft. Felix Kurz

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