Plattenbau: Im Osten was Neues
Der Stadtumbau in Marzahn und Hellersdorf steht vor dem Abschluss. Bis 2009 werden 3.600 Plattenbau-Wohnungen abgerissen sein. Doch nun drohen Bewohner mit einem Bürgerentscheid.
Steht der Stadtumbau in Marzahn vor dem Scheitern? Erst vor kurzem haben Experten wieder Alarm geschlagen. 20 Prozent ihrer Bewohner haben die Plattenbausiedlungen in Marzahn und Hellersdorf seit 1997 verloren. Die Einfamilienhausgebiete des Bezirks dagegen erfreuen sich immer größerer Beliebtheit - in Kaulsdorf, Biesdorf und Mahlsdorf hat die Bevölkerung um 23 Prozent zugenommen. Diese Schere wird in Zukunft noch weiter auseinandergehen. Zu diesem Ergebnis kommt das Berliner Institut für Sozialdatenanalyse (Isda), das im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung den "Sozialbericht Marzahn-Hellersdorf" verfasst hat.
Anfang Oktober besuchte Thilo Sarrazin die Ostberliner Großsiedlung Marzahn und freute sich. "Die öffentlichen Mittel sind gut angelegt", sagte der SPD-Finanzsenator. 62 Millionen Euro hat der Stadtumbau in Marzahn seit 2002 gekostet. Die Hälfte davon kam je von Bund und Land Berlin im Rahmen des Programms Stadtumbau Ost.
Bis 2009 sollen 3.538 Wohnungen abgerissen sein. Bekannteste Projekte sind die Ahrensfelder Terrassen (siehe kleines Foto) und das Schorfheideviertel. Der Leerstand der Degewo ist von 17,9 auf 7,3 Prozent geschrumpft. In Marzahn hat die Degewo noch 17.500 Wohnungen.
Das letzte Abrissprojekt der Degewo sind die Ringkolonnaden. Hier regt sich Protest der Bürger. Sie wollen den Abriss mit einem Bürgerbegehren verhindern.
Anders als in Marzahn ist der Abriss in Hellersdorf kaum Thema. Der Grund: Hier wurden in den Achtzigerjahren statt Elfgeschossern fast nur Sechsgeschosser gebaut. Der Leerstand ist gering.
Mit der Bilanz des Stadtumbaus in Marzahn und Hellersdorf beschäftigt sich am Mittwoch eine Tagung im Deutschen Architekturzentrum in der Köpenicker Straße, die um 17 Uhr beginnt. Dabei geht es auch um neue Formen der Bürgerbeteiligung.
Nichts Neues also aus dem Osten? Die Platte weiter ein Problemfall? Und das trotz der Millionen aus den Programmen "Stadtumbau Ost", "Soziale Stadt" und eines engagierten Quartiersmanagements in gleich drei sozialen Brennpunktgebieten?
Mit dem Abriss zahlreicher Wohnungen ist das Thema Stadtumbau nicht erledigt, sagt dazu der Baustadtrat des Bezirks, Norbert Lüdtke (Die Linke). "Die Aufwertungen in den Großsiedlungen werden einen langen Zeitraum beanspruchen."
Das klingt fast wie eine Bewerbung von Marzahn-Hellersdorf für die nächste Förderperiode des Stadtumbaus, die ab 2009 beginnen soll. Welche Ergebnisse aber hat die erste Periode gebracht, die 2002 begann und im nächsten Jahr endet? Stünde Marzahn-Hellersdorf ohne Stadtumbaugelder noch schlechter da, als es der Sozialbericht des Isda vermuten lässt?
Wer Marzahn heute von Norden her erreicht, staunt noch immer. Unmittelbar an die Einfamilienhäuser im brandenburgischen Ahrensfelde schließen sich terrassenartige Wohnanlagen an und zeigen, was Stadtumbau auch sein kann - eine aufregende Sache, die nicht nur der Marktbereinigung und damit der Wohnungswirtschaft dient, sondern einem Quartier auch ein neues Image verpassen kann.
Die "Ahrensfelder Terrassen" - so heißt die rückgebaute elfgeschossige Platte - haben es jedenfalls in zahlreiche Architekturzeitschriften und Lifestylemagazine gebracht. Selbst das Goethe-Institut wirbt damit im Ausland. So wird Stadtumbau sogar zur Stadtumbaukultur.
Das war nicht immer so. Noch Mitte der 1990er-Jahre war die Platte kein Abrissthema, sondern ein Sanierungsfall. Fast 500 Millionen Euro pro Jahr stellte der Senat für die Sanierung der insgesamt 100.000 Plattenbauwohnungen in den Ostberliner Großsiedlungen zur Verfügung - genauso viel also wie für die Stadterneuerung in den Altbauquartieren von Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain.
In dieser Zeit der ungebremsten Hoffnungen dachte man weniger an Leerstand als an Wohnungsnot. Da kam die Platte gerade recht. Schicke Innenstadt, und der arme Rest weit draußen - so hatte es schon Hanno Klein, der Investorenbeauftragte des Senats, kurz nach der Wende verlangt. Er sprach von Marzahn und Hellersdorf als dem "Staubsauger für die Alteingesessenen der Innenstädte".
Es kam bekanntlich anders - nicht nur für Hanno Klein, der kurz darauf von Unbekannten mit einer Briefbombe getötet wurde. Berlin wuchs nicht, es begann zu schrumpfen. Vor allem in den Großsiedlungen der Ostbezirke wuchs der Leerstand.
2001 schließlich gab der damalige Bausenator Peter Strieder (SPD) seinen Widerstand auf. In Marzahn, verkündete er, sollten die ersten 900 Plattenbauwohnungen abgerissen worden. Die Schrumpfungsdebatte hatte auch Berlin erreicht - auch wenn mancher das nicht wahrhaben wollte. Wolf Eisentraut, Architekt vieler Marzahner Bauten, warnte damals vor dem Imageschaden. "Der Abriss verstärkt die Probleme", sagte er. Von Projekten wie den Ahrensfelder Terrassen war damals noch keine Rede.
Heute gilt der Stadtumbau, für den es ein Jahr später auch Geld vom Bund gab, als Erfolgsgeschichte. 3.400 Wohnungen wurden in Marzahn-Hellersdorf inzwischen abgerissen. Von den Stadtumbaumitteln, die Berlin zur Verfügung hatte, flossen 44 Prozent in den Bezirk. 60 Prozent davon gingen in den Abriss, mit dem Rest wurden Plätze, Freiflächen und Stadtquartiere aufgewertet. "Die bisherigen Maßnahmen in Marzahn-Hellersdorf greifen", freut sich Strieders Nachfolgerin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). "Es wird erkennbar, dass es möglich ist, neuem Leerstand und in der Folge der Verwahrlosung des Umfeldes vorzubeugen."
Auch Frank Bielka, einst Staatssekretär für Bauen im Berliner Senat, heute Vorstand der Wohnungsbaugesellschaft Degewo, zieht eine durch und durch positive Bilanz. "Der Leerstand ist von 18 auf 7 Prozent gesunken", so Bielka. "Wenn das kein Erfolg ist."
Doch nicht immer geht der Stadtumbau so reibungslos vonstatten wie bei den Ahrensfelder Terrassen. Noch 230 Wohnungen will der Bezirk bis nächstes Jahr abreißen, dann soll die Abrissbirne zum Stillstand kommen. Geht es nach dem Willen zahlreicher Marzahner, soll aber schon jetzt Schluss sein mit dem Abriss.
Stein des Anstoßes sind die Ringkolonnaden an der Mehrower Allee - für viele das Zentrum von Marzahn. Gleichzeitig ist in dem Ensemble von Wolf Eisentraut mit seiner unverwechselbaren städtebaulichen Figur der Leerstand eingezogen. Nun wollen Senat, Bezirk und Degewo den Südflügel der Kolonnaden abreißen. Das ehemalige Kaufhaus, das nach dem Neubau einer Shopping-Mall vor zehn Jahren schließen musste, soll einem ambitionierten Schulneubau samt Sonnensegel weichen. Gegen die Pläne wendet sich inzwischen ein Bürgerbegehren. Bis zum Februar wollen die Abrissgegner die erforderlichen 6.326 Unterschriften gesammelt haben.
Norbert Lüdtke, der Baustadtrat, kann die Bürger verstehen - und auch wieder nicht. "Wir haben uns von Anfang an für eine wirkliche Bürgerbeteiligung in den Ringkolonnaden stark gemacht", sagt er und verweist auf eine "Stadtumbauwerkstatt", die seine Partei sogar im Koalitionsvertrag mit der SPD auf Senatsebene festgehalten hat.
Für Lüdtke durchaus ein Erfolg. "Neben dem Südflügel wollte die Degewo auch an der Mehrower Allee abreißen. Nun soll dort nur teilrückgebaut werden." Am geplanten Schulcampus will Lüdtke dagegen festhalten. Er gilt vielen im Bezirk als Startschuss für neue Impulse in Marzahn-Nord.
Auch wenn das Bürgerbegehren gegen den Abriss des Südflügels Erfolg haben sollte: Eine Absage an die bisherige Bürgerbeteiligung ist das nicht, meint Cornelia Cremer vom Planungsbüro Urban Plan. Im Gegenteil: "Der Stadtumbau von Marzahn und Hellersdorf ist nur deshalb so erfolgreich, weil von Anfang an auf die Beteiligung der Bürger gesetzt wurde", sagt die Sozialwissenschaftlerin. Als Beispiel nennt sie die erste Abrissmaßnahme an der sogenannten Südspitze. Im Zuge des Stadtumbaus entstand gleich daneben ein Bürgerhaus.
Völlig neue Wege wurden beim Umbau des Schorfheideviertels gegangen. "Eine Woche lang haben die Bürger zusammen mit den Planern ihre Vorstellungen für das Viertel entwickelt", freut sie sich. Dass die Beteiligung so groß war, führt sie auch auf den intensiven, aber kurzen Zeitraum der Beteiligung zurück.
Alles gut also in Marzahn und Hellersdorf? Während Degewo-Chef Frank Bielka angesichts der Leerstandszahlen keinen Grund sieht, den Stadtumbau Ost nach dem Auslaufen des Programms 2009 fortzusetzen, sind andere skeptischer. "Wir befinden uns noch immer im Umbruch", sagt Baustadtrat Norbert Lüdtke. "Die Bewohner von damals gehen ins Rentenalter, ihre Kinder sind weggezogen. Anders als zum Beispiel im Märkischen Viertel wissen wir noch nicht, wer nach Marzahn kommt, wenn es die Rentner nicht mehr gibt."
Andere aber sind schon da - die Touristen. Seit neuestem nämlich bietet "Stattreisen" eine Tour in den Berliner Nahen Osten an. Der Titel: "Marzahns Metamorphosen". - "Matterhorn? Elfter Himmel? Shoppingparadies? So mancher reibt sich irritiert die Augen, wenn er neuerdings von Marzahn liest", heißt es im Einladungsflyer. "Sind Plattenbauten plötzlich Kult und die Klischees vom Problembezirk falsch?"
Ganz offensichtlich gibt es also doch was Neues im Osten.
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