: Platte neu entdeckt
Eine Studie aus Hellersdorf ergibt: Zwei Drittel leben gerne in dem verschrienen Bezirk. Die schlimmsten Zeiten sind hier passé – heute locken das Grün und die sanierte Wohnungslandschaft
von RICHARD ROTHER
Der Berliner Balkon ist eine Anhöhe am östlichen Stadtrand, von der man über grüne Felder und Gärten bis zu den Müggelbergen gucken kann. Kürzlich wurde hier ein neu angelegter Wanderweg eröffnet, der, vom Naturschutzgebiet Butzer See kommend, den Hügel hinaufführt. Auch das ist Hellersdorf, und sieht man einmal vom Straßenlärm einer Bundesstraße ab, manchem Träger von Nazikluft und vielen unangeleinten Hunden, wirkt der Stadtteil, über den Friedrichshainer und Kreuzberger die Nase rümpfen, ganz schön.
Auch die Hellersdorfer sind mit ihren Kiezen ganz zufrieden – zumindest die, die geblieben sind. Das jedenfalls ergab eine groß angelegte Mieterbefragung, die die Hellersdorfer Städtische Wohnungsbaugesellschaft in Auftrag gegeben und gestern vorgestellt hat. Fast zwei Drittel der Hellersdorfer immerhin sind mit ihrer gesamten Wohnsituation zufrieden, 1999 waren es noch 53 Prozent gewesen. Dies zeige, wie langsam Prozesse zur Imageverbesserung ablaufen, heißt es in der vom Institut für Markt- und Medienforschung Berlin vorgelegten Studie.
Allerdings haben viele Hellersdorfer, vor allem Doppelverdienerhaushalte mit Kindern, den Stadtteil Richtung Stadtrand verlassen, um im vermeintlichen Grünen ein Häuschen zu beziehen. Verlor Hellersdorf vor einigen Jahren noch um die 10.000 Bewohner im Jahr, so ist dieser Wert auf rund 3.000 gesunken. Und die, die bleiben, richten sich ein – und profitieren von sanierten Wohnquartieren. Mit ihrer Wohnung zufrieden sind rund 54 Prozent der Hellersdorfer, vor fünf Jahren waren es noch 40 Prozent gewesen.
Zufrieden sind die Hellersdorfer auch mit dem unmittelbaren Wohnumfeld, aber die Sauberkeit der öffentlichen Grünanlagen und der Haltestellen von Bussen und Bahnen stößt auf deutliche Kritik der Bewohner. Darüber müsse mit der BVG geredet werden, heißt es.
Unzufrieden sind die Hellersdorfer mit dem Betreuungsangebot für Kinder und Jugendliche. Hier sehen die Demoskopen einen „erheblichen Verbesserungsbedarf“. Der Bürgermeister von Marzahn-Hellersdorf, Uwe Klett (PDS), spricht allerdings von einem Reflex einer älter werdenden Generation. Eine geschlossene Kita, die auf Grund zurückgehender Kinderzahlen gar nicht mehr gebraucht werde, mache den Eindruck, dass es zu wenige gebe. Zu DDR-Zeiten war Hellersdorf ein Bezirk junger Eltern mit Kindern – die sind mittlerweile aus dem Haus, und oft auch aus dem Stadtteil.
Insgesamt sei die Abwanderung aber zurückgegangen, so Klett. Mittlerweile gibt es sogar Zuzüge nach Hellersdorf. Von Leuten, die „mit der Platte umgehen können“, so Klett. Vornehmlich also aus den umliegenden Ostberliner Bezirken, aber auch aus Brandenburg. Dennoch stehen im Stadtteil rund zehn Prozent der Wohnungen leer, vor einem Jahr waren es noch 14 Prozent. In den sanierten Quartieren allerdings liegt die Leerstandsquote um die zwei Prozent.
Insgesamt aber folgt die Hellersdorfer Entwicklung generellen Tendenzen in Berlin. So werden die Haushalte immer kleiner, sie verringerten sich statistisch von 2,5 auf 2,2 Personen pro Haushalt. In den Familien leben immer weniger Kinder, dafür steigt der Anteil der älteren Wohnbevölkerung. Das Haushalts-Nettoeinkommen sinkt, liegt in Hellersdorf aber noch knapp über dem Gesamtberliner Durchschnitt. Nun, Hellersdorf ist in Berlin nicht überall beliebt – aber auch die Hellersdorfer haben ihre Negativ-Präferenzen. Die Stadtteile, die sie am wenigsten mögen? – Neukölln und Wedding.