Plagiatsvorwürfe gegen FDP-Politikerin: "Sie muss sich endlich äußern"
In der Doktorarbeit abgeschrieben? Dazu will Silvana Koch-Mehrin nichts sagen. Nun hat das VroniPlag-Wiki einen Zwischenbericht veröffentlicht - und der Druck wächst.
BERLIN taz | Von zu Guttenberg lernen heißt, aus Fehlern lernen. Dieser Maxime folgt zurzeit die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin: Wie der ehemalige CSU-Verteidigungsminister ist auch sie mit dem Vorwurf konfrontiert, in ihre Doktorarbeit in erheblichem Maße Raubkopien eingepflegt zu haben. Doch anders als zu Guttenberg streitet sie das nicht ab. Sie schweigt einfach und erspart sich damit weitere Vorwürfe.
Diese Taktik verärgert jedoch in zunehmendem Maße Koch-Mehrins Kollegen aus den Oppositionsparteien. Der SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy ist verwundert: "Ihr Schweigen gibt Rätsel auf", sagte Edathy in der Frankfurter Rundschau vom Donnerstag: "Ich verstehe nicht, wie sie die Untersuchung der Heidelberger Universität abwarten kann. Sie muss doch wissen, ob sie abgeschrieben hat oder nicht." So aber könne ein ausbleibendes Dementi als Eingeständnis durch Schweigen gewertet werden, meinte Edathy.
"Koch-Mehrin muss sich endlich öffentlich zu den Vorwürfen äußern", fordert auch der hochschulpolitische Sprecher der Grünen, Kai Gehring. "Wenn sich herausstellt, dass Koch-Mehrin abgeschrieben hat, müsste sie ebenso wie der Ex-Verteidigungsminister Konsequenzen ziehen", sagte Gehring der taz.
Dass Koch-Mehrin absichtlich getäuscht hat, glauben zumindest die anonymen Internetjäger, die Koch-Mehrins Dissertation derzeit öffentlich nachvollziebar auf dem Wiki VroniPlag prüfen. Auf jeder vierten Seite der Arbeit haben sie kürzere oder längere Passagen als Plagiat markiert. In ihrem am Dienstag veröffentlichten Zwischenbericht (PDF) ziehen sie die vorläufige Bilanz, "dass die Textübernahmen kein Versehen waren, sondern bewusst getätigt wurden."
Seite 43 komplette Collage
So ist im Wiki beispielweise erkennbar, dass Seite 43 der Doktorarbeit eine komplette Collage ist. Koch-Mehrin hat sich offenbar aus einem Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte und einem Grundlagenwerk von Lothar Gall ("Europas Weg in die Moderne") bedient - ohne dass eine einzige Fußnote auf die Urheber verweist.
Erstmals meldete sich am Donnerstag auch die Vorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz Margret Wintermantel vorsichtig zu Wort: "Bei nachgewiesenen Verstößen gegen die Prinzipien der Wissenschaft gilt es, diese Einzelfälle, ihre Ursachen und Motive genau zu analysieren und daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen", sagte sie.
Der Gründer des Wikis VroniPlag ist empört über die ausbleibende Reaktion der Promovendin Koch-Mehrin: "Frau Koch-Mehrin hat unsere Vorwürfe und die Presseanfragen wahrgenommen. Seit 11 Tagen nicht darauf zu reagieren, muss folglich als Schuldeingeständnis für die sehr große Schande interpretiert werden", meinte der anonyme Aktivist gegenüber der taz. Mit ihrem Schweigen schade Koch-Mehrin der Glaubwürdigkeit der Politik und der FDP.
Koch-Mehrin hatte über ihren Pressesprecher bislang lediglich erklären lassen, sie warte den Bericht des Promotionsausschusses der Universität Heidelberg ab. Dieser will sich bis Ende Mai äußern. Auch die FDP-Führung hält sich bedeckt und bisher zu ihrer Spitzenpolitikerin.
Öffentliche Empörung bleibt gering
Die große öffentliche Empörung über Koch-Mehrins vermutete Titelerschleichung bleibt bisher aus. So wollen etwa jene Doktoranden, welche zu Guttenberg noch im Februar mit einem offenen Brief zum Rücktritt aufforderten, im Fall Koch-Mehrin auf eine ähnliche Aktion verzichten. "Uns hat damals empört, dass Guttenberg trotz massiver Gegenbeweise behauptet hat, nicht bewusst getäuscht zu haben", erläutert Tobias Bunde, einer der Inititoren des Briefes.
Das hartnäckige Schweigen Koch-Mehrins scheint also in dieser Hinsicht erfolgreich zu sein. Sollte sich jedoch herausstellen, dass Koch-Mehrin in massiver Weise plagiiert habe, dann müsste sie die gleichen Konsequenzen wie zu Guttenberg ziehen, setzt Bunde nach. Der CSU-Politiker zu Guttenberg legte nacheinander Doktortitel, Amt und Mandat ab.
Damit die Plagiatsdebatte über persönliche Rücktritte hinaus wirkt, wollen die Doktoranden um Bunde demnächst einen neuen Internet-Auftritt starten. Auf einer eigenen Webseite sollen Fragen nach dem Sinn und Unsinn von Doktortiteln, den Strukturen im Hochschulsystem und der Betreuung der Doktoranden öffentlich diskutiert werden. "Brauchen wir eigentlich so viele Dissertationen", fragen sich etwa diejenigen, die selbst eine erarbeitet oder schon verteidigt haben.
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