Plagiate und Doktorarbeiten: "Wir müssen genauer hinschauen"
Koch-Mehrin und Guttenberg: Hochschulrektoren-Chefin Wintermantel über Lehren aus den Promotionsaffären und die Betreuung von jungen Wissenschaftlern.
taz: Frau Wintermantel, ich habe Ihnen mal eine Promotion aus dem Bereich Medizin mitgebracht. Hätten Sie dafür einen Doktortitel vergeben?
(blättert in der Arbeit) Ich habe nicht genügend medizinisches Fachwissen für eine fundierte Beurteilung. Aber etwas dünn kommt mir die Arbeit schon vor.
Hier wird auf Daten zurückgegriffen, die der Verfasser gar nicht selbst erhoben hat. Als Ergebnis werden seitenfüllende Grafiken präsentiert wie diese: Geschlechtsverteilung der Patienten, 96 männlich, 20 weiblich.
Ja, das sind viele Tabellen (blättert weiter). Letztlich kann man aber den Gehalt einer Arbeit nicht außerhalb des Fachs beurteilen.
Karl-Theodor zu Guttenberg hat zwei Drittel seiner Arbeit abgekupfert, Silvana Koch-Mehrin "nur" ein Drittel. Ist es nicht peinlich für die Unis, dass diese Betrugsfälle durch eine Riege von ehrenamtlichen Internetdetektiven aufgedeckt wurden und hochdotierte Professoren nichts gemerkt haben?
Es stimmt nicht, dass die Hochschulen erst durch "Internetdetektive" auf Plagiate aufmerksam wurden. Auch im Fall Guttenberg kam der erste Impuls aus der Wissenschaft. Es hat in der Wissenschaft wie in anderen Lebensbereichen leider immer Betrügereien gegeben. Und auch früher wurden Plagiate aufgedeckt. Wir haben diese schlimmen Fälle nicht gebraucht, um genauer auf die Doktorarbeiten zu schauen.
Margret Wintermantel (64): die Psychologin ist seit 2006 Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz. Zuvor war sie Chefin der Universität des Saarlandes.
Die interne Kontrolle funktioniert also bestens?
Sie scheint ja nicht so zu funktionieren, wie es nötig wäre, sonst hätte es diese Fälle nicht gegeben. Die Hochschulen müssen da genauer hinschauen und die Einhaltung der Standards wissenschaftlicher Arbeit prüfen. Es braucht Wahrhaftigkeit und Vertrauen.
Was wollen Sie tun?
Wir können als Hochschulrektorenkonferenz nichts vorschreiben, sondern nur Empfehlungen geben. Das wollen wir und deshalb haben wir eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit der Weiterentwicklung der Qualitätsstandards bei Promotionen beschäftigt. Man wird sich dabei weniger auf die Betrugsperspektive konzentrieren, sondern auf die Frage, wie sichergestellt wird, dass in Promotionen Forschung von hoher Qualität betrieben und damit Beiträge zur wissenschaftlichen Erkenntnis im jeweiligen Fach geleistet werden.
Welcher Art könnten diese Empfehlungen sein?
Ich stelle mir vor, dass alle Doktorandinnen und Doktoranden ihren Platz in der Fakultät haben, mit ihrem Thema in ein größeres Forschungsprogramm und somit in einen wissenschaftlichen Diskurs mit ihren Betreuerinnen und Betreuern eingebunden sind. Sie sollten ihre Erkenntnisfortschritte regelmäßig vortragen und ihre Ergebnisse müssen sie auf nationalen und internationalen Konferenzen präsentieren dürfen. Die Idealvorstellung ist, dass sich Betreuer und Doktorand jeden Tag sehen und dass ein Vertrauensverhältnis zwischen ihnen besteht.
Wann wird die Hochschulrektorenkonferenz diese Empfehlungen herausgeben?
Wir werden sie voraussichtlich Ende nächsten Jahres vorlegen.
Sehen Sie den Doktortitel durch die jüngsten Betrugsfälle entwertet?
Aus meiner Kenntnis der deutschen Universitäten sage ich deutlich: Nein! Ich weiß, wie viele junge Leute mit Intelligenz, Fleiß, Redlichkeit und Wahrhaftigkeit ihre Doktorarbeit anfertigen. Sie wissen, dass sich weder die Manipulation von Daten noch der Diebstahl von Ideen noch das Plagiieren lohnt. Insofern bekümmert mich das nicht so sehr.
Im Ernst? Die Stimme der Hochschulen sagt zu einem der größten jüngeren Skandale in ihren Häusern: ist mir egal?
Die betroffenen Hochschulen haben Konsequenzen gezogen. Wirklich schockiert war ich über die Gespräche außerhalb der Hochschulen. Ernst zu nehmende Leute haben mit den Schultern gezuckt und gesagt: Was ist daran so schlimm, dass hier geschummelt wurde, jeder von uns hat doch mal in der Schule abgeschrieben. Das hat mich entsetzt. Es war für mich ein Zeichen, dass die Bedeutung der hohen Standards in der Wissenschaft vielen nicht bewusst ist.
Die Promotionsquote in Deutschland ist doppelt so hoch wie in den USA. Jedes Jahr werden 25.000 Promotionen vorgelegt. Glauben Sie, dass diese alle Erkenntnisfortschritte liefern, oder promovieren nicht viele Leute des Titels wegen?
Die Mehrheit der Doktoranden promoviert aus Interesse am Thema. Es ist sicher eine Fehlentwicklung, wenn Leute meinen, sie müssten nur des Titels wegen promovieren.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele medizinische Doktorarbeiten das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt sind. Und doch wird ein Viertel aller Doktorarbeiten pro Jahr in diesem Bereich geschrieben, für 80 Prozent der Medizinstudenten ist der Doktor der Regelabschluss.
Das wird ein Thema unserer Arbeitsgruppe sein. Ein Problem ist sicher, dass medizinische Doktorarbeiten studienbegleitend und ziemlich flott geschrieben werden. Aber auch in der Medizin muss der Anspruch des Erkenntnisfortschritts gelten.
Soll ich Ihnen noch verraten, von wem die Arbeit stammt, die ich mitgebracht habe?
Namen tun hier nichts zur Sache.
Die Doktorarbeit "Einfluss der prophylaktischen Sotalapplikation auf die Inzidenz des postoperativen Vorhofflimmerns im Rahmen der aortokoronaren Bypassoperation" wurde von FDP-Chef Philipp Rösler 2002 an der Medizinischen Hochschule Hannover eingereicht.
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