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Plädoyer für einen Solidarpakt

■ Ulf Fink über eine neue „Konzertierte Aktion“ INTERVIEW

taz: Sie fordern einen Solidarpakt für den Wiederaufbau Ostdeutschlands. Wie soll der aussehen?

Ulf Fink: Angesichts der gigantischen Aufgabe, möglichst bald gleiche Lebensbedingungen im Osten wie im Westen Deutschlands zu schaffen, plädiere ich für einen Wiederaufbaupakt, an dem alle beteiligt sind: die Politik, die Wirtschaft, die Gewerkschaften, aber auch die anderen großen gesellschaftlichen Gruppen bis hin zu den Kirchen. Die deutsche Einigkeit läßt sich nicht mit dem bundespolitischen Fiskal-Instrumentenkasten bewerkstelligen.

Welchen Beitrag sollen die Tarifparteien erbringen?

Es wäre hilfreich, wenn sowohl von den Löhnen wie von den Gewinnen ein Prozent in den Osten fließen würde. Und zwar nach folgender Maßgabe: Von seiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würde ein Prozent der Lohn- und Gehaltserhöhung — vielleicht auf fünf Jahre festgelegt, das wären dann insgesamt rund fünfzig Milliarden Mark — als Kredite für den Aufbau der Infrastruktur, für die Finanzierung von Unternehmensanteilen gegeben. Diese Kredite werden dann verzinst später wieder zurückgegeben oder auch in Anteilsscheine umgewandelt. Damit würde man gleichzeitig ansatzweise einen Fehler korrigieren, der beim westdeutschen Wiederaufbau gemacht worden ist: die Einkommen sind zwar gestiegen, aber die Vermögensverhältnisse sind höchst ungleich verteilt. Das müßte man beim Wiederaufbau im Osten anders machen. Zweitens: die Wirtschaft müßte ein Prozent à fonds perdu in einen Qualifikationsfonds für die berufliche Bildung einzahlen. Für Weiterbildung ist nun mal die Wirtschaft zuständig. Die ostdeutsche Wirtschaft hat das Geld dafür nicht. Da muß die westdeutsche Wirtschaft helfen. Es ist verkehrt, daß dies die Bundesanstalt für Arbeit finanziert und damit zur Hälfte die Arbeitnehmern. Das ist die ureigenste Aufgabe der Wirtschaft.

Der Beitrag der Arbeitnehmer käme bei ihrem Vorschlag letztlich doch wieder den investierenden Unternehmern zugute. Wäre es nicht viel sinnvoller, den Beitrag der westdeutschen Arbeitnehmer den ostdeutschen Arbeitnehmern direkt in Form höherer Lohnabschlüsse zugute kommen zu lassen?

Es soll nicht den Unternehmern zugute kommen, sondern den ostdeutschen Arbeitnehmern. Und zwar dadurch, daß ihre Arbeitsplätze entsprechend produktiver werden und dann auch entsprechende Löhne abwerfen. Denn ohne rentable Arbeitsplätze, ohne eine gute Infrastruktur kann man auf Dauer keine ausreichend hohen Löhne zahlen. Deshalb ist das einzige Mittel, Ost und West wirklich schnell anzugleichen, die Produktivität schnell zu steigern. Dazu gehören vor allem Investitionen in die Infrastruktur. Ohne gute Straßen, ohne gute Telefonnetze ist alles vergeblich.

Besteht nicht die Gefahr, daß für einen derartigen Fonds eine neue Bürokratie aufgebaut werden muß?

Man kann durchaus vorhandene Instrumente wie die bestehenden Bankenapparate, Investmentfonds bis hin zur Kreditanstalt für Wiederaufbau benutzen, die dann nur stärker auf den Osten ausgerichtet werden müssen. Ich kann mir sehr einfache Lösungen denken. Wir sollten keine Fonds-Diskussion führen, die vielfältige Befürchtungen auslöst. Es muß nur dafür gesorgt werden, daß die Mittel nicht nach Südamerika oder sonst wohin fließen, sondern wirklich den ostdeutschen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zugutekommen. Zweitens muß garantiert sein, daß die entsprechenden Berechtigungsanteile, die entsprechenden Mitbestimmungsmöglichkeiten auch tatsächlich von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausgeübt werden können.

Die Stimmung in den Betrieben Westdeutschlands sieht derzeit anders aus. Nach jahrelanger Zurückhaltung wird jetzt ein ordentlicher Lohnzuschlag gefordert.

Ich bin auch der Auffassung, daß die Probleme Ostdeutschlands nicht durch einen Lohnverzicht gelöst werden können. Denn die Gelder eines Lohnverzichts würden nur den Unternehmen in Westdeutschland zugute kommen. Und was die mit dem Geld machen, ist dann deren Angelegenheit. Man sieht ja, daß sie davon nur einen ganz geringen Teil in Ostdeutschland investieren. Ich halte es dagegen für richtig, einen Teil der vereinbarten Löhne den ostdeutschen Arbeitnehmern zumindest kreditweise zur Verfügung zu stellen.

In den bisher vorliegenden Forderungen der Gewerkschaften ist eine solche Regelung nicht vorgesehen.

Tarifpolitik ist Aufgabe der Einzelgewerkschaften. Als stellvertretender DGB-Vorsitzender werde ich jedes Maß an Zurückhaltung in diesem Zusammenhang pflegen. Aber ich weise darauf hin, daß es innerhalb der Gewerkschaftsbewegung eine lange Diskussion über die Frage der breiten Vermögensbildung, auch über die Frage der Investivlohnpolitik gibt. Einige Gewerkschaften wie die IG Bau-Steine-Erden haben diesem Gedanken in ihrer Geschichte aufgeschlossener, andere haben ihm skeptischer gegenübergestanden. Ich denke, heute ist die Erkenntnis gewachsen, daß die alte Theorie, wonach man durch eine möglichst hohe Lohnforderung zu einer Vermögensumverteilung kommen kann, erwiesenermaßen nicht funktioniert hat. Die Lohnquote ist heute auf dem niedrigsten Stand seit Kriegsende. Das zeigt, daß allein mit den Elementen Arbeitszeit und Lohn die Verteilungsrelationen nicht zu ändern sind. Deshalb glaube ich, daß die Aufgeschlossenheit für neue Instrumente wächst.

Ist das nun ihr persönlicher Vorschlag oder haben sie ihn abgestimmt mit dem DGB-Bundesvorstand?

Es ist mein persönlicher Vorschlag. Allerdings kann ich darauf hinweisen, daß der Gedanke eines wirklich breiten Wiederaufbaupaktes vom Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Heinz-Werner Meyer, unlängst wieder unterbreitet worden ist. Ähnliches gilt für Hermann Rappe [Vorsitzender der IG Chemie, d.Red.] und andere. Aber ich freue mich auch sehr darüber, daß Franz Steinkühler [IG-Metall-Vorsitzender, d.Red.] sehr deutlich gemacht hat, daß die IG Metall an einem konstruktiven Verhältnis zur Regierung interessiert ist, wenn kreative Vorschläge vorgelegt werden. Ich hoffe, daß die Bundesregierung diese Aufforderung versteht und auch bedenkt, daß die CDU von den Arbeitern in Ostdeutschland gewählt worden ist und man die nur mit einer sozialen Politik halten kann.

Franz Steinkühler ist in seiner eigenen Organisation zurückgepfiffen worden, nachdem er Denkmodelle in eine ähnliche Richtung wie Sie angedeutet hatte. Haben Sie Ihren Vorschlag jetzt mit ihm oder der ÖTV-Vorsitzenden Wulf-Mathies diskutiert?

Die Diskussion darüber findet in der gesamten gewerkschaftlichen Bewegung statt. Ich erinnere daran, daß vor kurzem die ehemalige DGB- Kollegin Ingrid Kurz-Scherf, die jetzige Staatssekretärin in Brandenburg, sich ebenfalls mit diesen Gedankengängen auseinandergesetzt hat. Wir können auf der einen Seite nicht verantworten, daß die Löhne in Ostdeutschland so niedrig bleiben wie bisher. Auf der anderen Seite können wir auf seiten der westdeutschen Arbeitnehmer, die wir die Solidarität ja auf unsere Fahnen geschrieben haben, auch nicht so tun, als ob wir mit all dem nichts zu tun hätten. Deshalb müssen diese beiden Gesichtspunkte zusammengebracht werden.

Haben Sie Resonanz aus dem Arbeitgeberlager?

Ich höre ab und zu in der Öffentlichkeit die eine oder andere Äußerung. Die zeugt aber bisher kaum davon, daß man selber zu einem wirklichen Solidarbeitrag bereit ist. Denn sonst müßte sich die Industrie endlich nicht nur dafür aussprechen, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Ostdeutschland besser qualifiziert werden. Dann würde man nicht nur auf große Aktionen der Bundesanstalt für Arbeit verweisen, sondern wirklich selber was tun. Interview: Martin Kempe

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