■ Plädoyer für die Abschaffung des Amtes des Bundespräsidenten: Im Zweifelsfall überflüssig
„Sollten wir mit dem VfL Bochum im Abstiegskampf stecken, und es geht im letzten Bundesliga-Spiel um alles, dann gehe ich nicht zur Präsidentenwahl.“ So der Berufsfußballer Stefan Kuntz, der von der SPD als Wahlmann für die morgige Bundespräsidentenwahl nominiert ist, im März in einem Interview. Bochum steckt nun mitten im Abstiegskampf – aber mehr interessiert uns an dieser Stelle, daß der auserwählte Bürger unfreiwillig sagt, was er vom Amt des Bundespräsidenten hält: im Zweifel nichts.
Mit Johannes Rau, Dagmar Schipanski und Uta Ranke-Heinemann stehen die KandidatInnen seit einiger Zeit fest. Mit ihrer Vorauswahl ging eine Debatte einher. Endlich müsse eine Frau auf diesen Posten, forderten die einen; zumindest aber jemand aus dem Osten. Der Bundespräsident solle vom Volk gewählt werden, fanden andere. Und manche fragen: Ist die Zeit nicht reif, daß ein Jude Bundespräsident werden könnte? – Meiner Meinung nach ist es Zeit, das Amt des Bundespräsidenten abzuschaffen. Es ist ohne politische Potenz, der Bundespräsident ein reiner Verkünder, ein Mitteiler, ein Ausrufer.
Fast scheint es, als hätten die Väter der Verfassung das dokumentieren wollen, denn die Artikel, die im Grundgesetz den Bundespräsidenten behandeln, beginnen nicht etwa damit, welchen Sinn und welche Kompetenz er hat, sondern damit, wer den Bundespräsidenten wählt. Die Bundesversammlung nämlich, und zwar „ohne Aussprache“. Der zweite Satz des Art. 54 GG ist dann gleich eine grandiose Einschränkung: Wählbar ist jeder Deutsche über 40, heißt es da. Erst fünf Artikel weiter geht's zur Sache: Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich, beglaubigt und empfängt die Gesandten auswärtiger Staaten (Art. 59); er ernennt und entläßt die Bundesrichter, Beamten, Offiziere und Unteroffiziere (Art. 60). Relativ wenig also und unvergleichlich der politischen Macht der Präsidenten in Amerika oder Frankreich.Deshalb werden dem deutschen Präsidenten ganz andere Qualitäten zugeschrieben.
Es heißt, der Bundespräsident sei eine Symbolfigur: Doch Symbol wofür? Die Bevölkerung in Deutschland ist zu plural, zu heterogen, als daß es dafür ein Symbol geben könnte. Das Volk in Deutschland besteht auch nicht nur aus Deutschen – selbst wenn das manche immer noch leugnen.
Der Bundespräsident könne, hört man weiter, zumindest einen allgemeinen Diskurs organisieren, das Gespräch zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen moderieren. Mag sein. Funktionieren tut es, weil es ein politisches und mediales Umfeld gibt, das ihm diese Rolle ermöglicht, künstlich schafft sozusagen. Die Frage wäre demnach: Warum sollte ein solches allgemeines Gespräch nicht auch ohne Bundespräsident organisiert werden können?
Das Amt des Bundespräsidenten ist Luxus. Die Gesellschaft braucht es nicht, sie ist selbstverantwortlich genug, sie organisiert und reproduziert sich selber. Ein Bundespräsident als Ober-Indianer stellt streng genommen ihre Entmündigung dar.
Gewählt wird der Bundespräsident morgen von der Bundesversammlung, die je zur Hälfte aus Bundestag und Landtagsvertretern besteht . Dabei werden Wahlstimmen von den Parteien auf Sportler, Künstler und andere übertragen. Eine fragwürdige Veranstaltung, denn sie muß sich fragen lassen, wie demokratisch sie ist. Warum sollen beispielweise der Fußballer Stefan Kuntz und die Schauspielerin Brigitte Grothum mehr Rechte haben als gewählte Vertreter? In Berlin ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen Bürger, die bei der letzten Bundestagswahl ihre Stimme einem nicht wahlberechtigten Ausländer schenkten. Diesen Schenkvorgang kann man als eine authentische Wahl ansehen, als eine freie Auswahl des Schenkenden. Bei der Bundespräsidenten-Wahl findet dagegen eine Übertragung an Personen mit Eigenschaften statt, die mit dem, was zu wählen ist, nichts zu tun haben. Sie sind die Lords der Parteiendemokratie – moderner Erbadel.
Die Abschaffung des Bundespräsidenten wäre ein erster Schritt zur Entrümpelung des Staates BRD, der Repräsentanten und Institutionen mehr Rechte gibt als den Individuen. Und erübrigen würde sich auch § 90 des Strafgesetzbuches: „Verunglimpfung des Bundespräsidenten“. Thomas Moser
Der Autor ist Politologe und Journalist in Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen