Hussam Al Zaher Hamburger, aber halal: Plädoyer für den Tante-Emma-Laden
Meine Wochenmarkt-Erfahrung in Hamburg habe ich in der allerersten Folge dieser Kolumne mit meinen Erinnerungen an unseren lokalen Suq in meinem Damaszener Vorort verglichen. Meine Eindrücke von dem Neustädter Wochenmarkt waren damals, kurz gefasst: leiser, organisierter, teurer.
Seitdem haben sich ein paar Dinge geändert, im Leben und in meiner Wahrnehmung. Ich war im Februar das erste Mal seit zehn Jahren in meinem Heimatort und musste feststellen, dass sich der Suq meiner Kindheit und Jugend im Vergleich zu der Zeit vor dem Krieg verkleinert hat. Es scheint, die meisten Menschen – vor allem jene mit wenig Geld – gehen dort lieber einkaufen als in einem Biqalía,weil in diesen kleinen Lebensmittelgeschäften um die Ecke die Preise oft deutlich höher sind.
Mit Blick auf den Wochenmarkt kann ich Sätze wie „Bisher war ich selten da, die Öffnungszeiten und ich passen noch nicht so gut zusammen“ und “…, weil ich es am Wochenende mag, wenn meine Frau und ich ein langes Frühstück genießen“ so nicht mehr unterschreiben. Ich bin seit dem Schreiben dieser Sätze Vater geworden und Väter stehen bekanntlich früher auf. Daher bin ich seit einiger Zeit sehr regelmäßig auf unserem Wochenmarkt – obwohl sich die finanziellen Aspekte nicht wirklich verbessert haben (eher im Gegenteil). Aber wir genießen den Marktgang. Meiner Tochter macht es auch Spaß. Sehr oft bekommt sie an den Obst- und Gemüseständen einen Kinderapfel geschenkt.
Solche kleinen Gesten erinnern mich an Syrien: Dort wissen die meisten Verkäufer – ob Geschäftsinhaber oder langjährige Angestellte – wie wichtig persönliche Beziehungen zu Kund*innen sind. Das hat sich – soweit ich das erkennen kann – auch nicht mit dem Krieg oder dem jetzigen Ausnahmezustand geändert.
Hussam Al Zaher
ist syrischer Journalist und Politikwissenschaftler. Er hat das Magazin Kohero gegründet, das Themen rund um Migration verhandelt, und publiziert den Newsletter „Syrien Update“.
In Deutschland erlebe ich das viel seltener. Ich verstehe natürlich, dass mich der Mitarbeiter im Penny nicht persönlich begrüßt und sich nach der Gesundheit meiner Verwandten erkundigt. In den großen Supermärkten arbeiten viele unter hohem Druck. Es fehlt die Zeit und die Energie, um mit Kund*innen persönliche Worte zu wechseln. Diese menschliche Verbindung fehlt dort fast vollständig. Es sei denn, der profitgetriebene Unternehmer hinter der Supermarktkette erkennt den materiellen Vorteil, also wenn das Persönliche zur Verkaufsstrategie wird. Dann landen wir aber in den Feinkostmärkten, die den meisten Hamburger*innen nicht zur Verfügung stehen.
Natürlich gibt es auf den Wochenmärkten, in den kleineren Läden und den Kiosken noch Orte, wo Freundlichkeit, ein kurzes Gespräch und manchmal sogar eine Umarmung dazugehören. Und natürlich hängt es auch damit zusammen, wie lange man in einem Stadtteil wohnen bleibt. Es ist auch in Ordnung, wenn man einfach nur mal schnell Gurken einkaufen gehen will, ohne die großen Fragen im Leben zu besprechen. Ich wünsche mir nur eines: dass diese menschlichen Verbindungen im Alltag nicht zu einem Luxus werden, den sich nur manche leisten können.
Vielleicht liegt ein Teil der Lösung darin, als Konsument*innen weniger bei den großen Supermarktketten einzukaufen und mehr bei kleinen Läden – in der eigenen Nachbarschaft oder auf dem Wochenmarkt. Solche Läden gibt es noch, auch in der Hamburger Neustadt. Außerhalb der Großstadt kenne ich einen Dorfladen, der dir alles verkaufen kann. Der Inhaber, schon in zweiter Generation, hatte während der Pandemie eigene Einkaufszeiten für ältere Menschen eingerichtet, damit diese etwas geschützter und weniger gestresst einkaufen konnten –und wahrscheinlich auch in der Vorahnung, dass viele seiner älteren Kund*innen ein hohes Gesprächsbedürfnis haben würden. Gibt es solche Angebote auch heute noch?
Das ist vielleicht nur ein kleiner Teil der Lösung – und ja, es kostet mehr Geld. Doch ich hoffe, dass es etwas zurückbringt, das wir dringend brauchen: Menschlichkeit im Alltag.
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