Pixar-Film "Wall-E": Romantische Roboterpantomime
Welch Ausdrucksbreite liegt im Fiepen und Piepen: "Wall-E", der neue Animationsfilm aus dem Pixar-Studio, schaut Maschinen bei Liebe und Weltrettung zu.
Müll, Schutt und Schrott, darüber ein Dunstschleier aus Verwesungsdämpfen. Etwas bewegt sich. Ein einzelner Roboter fährt hin und her. Unermüdlich sammelt er den Unrat ein, presst ihn und schichtet ihn zu gewaltigen Türmen auf, die höher sind als die Wolkenkratzerruinen. Er ist der Letzte seiner Art, Tausende großer und kleiner selbsttätiger Müllpressen rosten vor sich hin. Nur eine Kakerlake leistet ihm Gesellschaft, zäher noch als der Roboter Wall-E.
Der neue Animationsfilm des Pixar-Studios beginnt mit einer Dystopie. Die Menschen haben die Welt verlassen - nachdem ihr Müll sie unbewohnbar gemacht hat. Das Vorhaben, sie zu reinigen, scheint gescheitert: Seen aus Öl, Staubstürme, nirgends Grün. Die Erde als menschenleere Müllhalde. Zum Privatvergnügen sammelt Wall-E, was heil geblieben ist und ihm gefällt. Und immer wieder sieht er sich ein Video des Musicals "Hello Dolly" an, mit tanzenden Menschen und einem Liebespaar, das sich die Hände hält. Eine Fehlfunktion, die aus der Maschine einen Romantiker macht.
Dann landet ein Raumschiff, das Eve zurücklässt. Sie hat die Aufgabe, Leben zu finden. Sie schießt, bevor sie fragt, sie glänzt weiß und glatt wie ein I-Pod. Wall-E hingegen unterscheidet sich kaum noch vom Müll, den er wegräumt, verrostet, quietschend. Und hier beginnt eine seltsame Liebesgeschichte: Wall-E wird ihren Namen nicht einmal richtig aussprechen und am Ende doch ihre Hand halten dürfen.
Dieser Film ist ein Wagnis. Pixar verzichtet darauf, die Helden zu vermenschlichen. Eve besteht aus ganzen vier Elementen, und ihre Ausdrucksmöglichkeiten beschränken sich auf Leuchtdioden-Augen. Keine Augenbrauen, keine Gesten. Anders als etwa in "Cars" biegt sich kein Metall, wenn ein Roboter redet. Im ersten Drittel des Films fallen kaum Worte, die Dialoge zwischen den Robotern beschränken sich auf Einwortaussagen. Ihr Piepen und Fiepen hat trotzdem eine enorme Ausdrucksbreite, was dem hinreißenden Sounddesign von Ben Burtt zu verdanken ist, der schon die "Star Wars"-Figur R2-D2 zum Leben erweckt hat.
"Animatoren lieben Pantomime im Trickfilm. Dann aber stellten sie fest, dass es gar nicht so einfach ist", so bringt der Regisseur Andrew Stanton die Aufgabenstellung von "Wall-E", Emotionen glaubhaft auf realistischen Maschinen abzubilden, auf den Punkt. Dieses Schwierige ist nicht mehr zu sehen. 40 Minuten lang ist "Wall-E" ein Meilenstein der Computeranimation - ein Stummfilm mit einer radikal reduzierten Roboterpantomime.
Dann aber treten Menschen auf den Plan - und hier versagt die Dramaturgie des Films. Eve kehrt mit einer Pflanze, die Wall-E gefunden hat, zurück zur Heimstatt der geflohenen Menschen - zu einem gigantischen Raumschiff. Hier werden verfettete, nahezu bewegungsunfähige Menschen rund um die Uhr verwöhnt. Die Firma "Buy N Large" exekutiert hier den totalen Kapitalismus, eine All-inclusive-Version von "Brave New World". Dieses klinisch saubere Idyll ist durch die Pflanze bedroht, denn ihr Fund sollte eigentlich die Rückkehr zur Erde veranlassen. Der Roboterautopilot Otto, ein Steuerrad mit dem roten Auge von HAL aus "2001 - Odyssee im Weltall", versucht das zu verhindern. Er wird besiegt, durch einen Kapitän voller Energie in Koalition mit aussortierten, renitenten Robotern. Die Menschen kehren zurück zur Erde, und alles wird wieder grün.
Ungelöst die Frage, wieso ihnen das gelingt. Weshalb sollen Menschen ohne Erfahrung, Übung und Wissen eine Erde, auf der sämtliche Ozeane vertrocknet sind, urbar machen können, wenn es spezialisierte Maschinen über Jahrhunderte nicht schafften? Woher hat das Raumschiff Energie für Jahrhunderte? Wo bekommt es seine Rohstoffe her, wenn Metallschrott einfach ins All geschleudert wird? Warum erfriert die Pflanze nicht, als sie der Kälte des Weltraums ausgesetzt wird? Solche logischen Schlampereien sind untypisch für Pixar-Filme, den Mittelteil von "Wall-E" machen sie ungenießbar. Eine unscharfe Botschaft - in etwa buy small und vermeide Müll? - ruiniert die klare Exposition des Anfangs: Menschen, die unbeschränkt konsumieren, sind eine Bedrohung für die Erde.
Der Schluss versöhnt. Eine Platine von Wall-E ist im Kampf gegen die Bösen verschmort und muss ausgewechselt werden. Statt der alte Romantiker zu sein, beginnt er stoisch wieder aufzuräumen, während Eve verzweifelt versucht, mit ihm zu reden. Der Freudentaumel über die Rückkehr verstummt. Der Held hat sich zu einem mechanischen Kretin gewandelt. Ein Zustand schlimmer als der Tod, denn so kann niemand ihn lieben. Doch dann nimmt Eve seine Greifhand in die ihre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht