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Piraten veröffentlichen DurchwahlenDas Jobcenter schweigt

Arbeitsvermittler sind meist nur über Zentralen erreichbar. Die Piratenpartei hält das für ein „Unding“ – und veröffentlichte Durchwahlen. Die taz hat angerufen.

Der Gang zum Jobcenter nervt. Anrufen auch. Bild: dpa

BERLIN taz | Es klingelt in der Leitung. Lange. Sehr lange. Nach fünf Minuten lege ich auf. Neue Nummer – gleiches Ergebnis. Sechs Versuche später will ich aufgeben. Was bringen Telefonnummern, wenn niemand abnimmt? Dann endlich: „D., Jobcenter Berlin-Spandau“, raunt mich eine rauchige Männerstimme an. „Wie sehr nerve ich Sie?“, frage ich ihn. Der Mann ist irritiert.

Ich erkläre ihm, warum ich anrufe. Dass die Piratenpartei auch seine Nummer am Mittwoch online gestellt hat, damit ihn seine Kunden auch direkt erreichen können und...er unterbricht mich. Mit Journalisten dürfe er nicht reden – er verweist an die Geschäftsleitung. Leider steht ihre Nummer nicht in der Liste der Piratenpartei, mit rund 150 Jobcentern.

Anruf bei der zentralen Hotline: „Herzlich Willkommen in Ihrem SGB II Service-Center“, säuselt eine Frauenstimme vom Band. Dann werde ich an die Telefonzentrale des Spandauer Jobcenters verbunden. Dort kann man mir nicht weiterhelfen. Besser gesagt, man darf nicht, wie mir die Telefonistin erklärt: „Wir dürfen niemanden durchstellen und auch keine Telefonnummern rausgeben. Das gilt für alle.“ Ich könne aber gerne eine E-Mail oder ein Fax schicken.

Diesen Weg müssen im Normalfall auch Arbeitslose und Hartz IV-Empfänger gehen. Die Begründung der Bundesagentur für Arbeit: Die Mitarbeiter der Jobcenter führten sensible Kunden-Gespräche und müssten sich auf komplexe Berechnungen konzentrieren. Da seien ungefragte Telefonanrufe störend. Callcenter hätten sich hingegen bewährt, dort könnten einfache Fragen beantwortet und Termine für persönliche Gespräche vereinbart werden. Effizienteres Arbeiten, nennt das die Bundesagentur.

Für Harald Thomé ist es eine „Strategie der Abschottung“. Der Referent für Arbeitslosen- und Sozialrecht aus Wuppertal hat vor einem Jahr als erster die Durchwahlen der Jobcenter-Mitarbeiter ins Netz gestellt. „Veröffentlichung von Jobcentertelefonlisten zur Durchsetzung einer größeren behördlichen Transparenz und Abbau von Zugangshürden“, hieß sein Projekt.

Doch am 15. Januar erklärte es Thomé für gescheitert. Anfeindungen und Klage-Drohungen von Jobcentern hätten ihn zu diesem Schritt gezwungen. Jetzt will die Piratenpartei sein Projekt wiederbeleben.

„Wie viele Fremde haben heute schon bei Ihnen angerufen?“, frage ich Herrn K. Beim Jobcenter in Dortmund. Auch seine Telefonnummer steht jetzt wieder online. „Nur Sie“, sagt der Mann. Er hat noch nie von einer Durchwahl-Liste oder Herrn Thomé gehört.

Kurz darauf kann ich mit dem stellvertretenden Geschäftsführer des Jobcenters sprechen. Er kennt die Geschichte, bisher habe man in Dortmund aber keine ungefragten Massenanrufe erhalten: „Wir sind nicht grundsätzlich dagegen, aber unsere Arbeitsweise ist eine andere“, erklärt er. „Es ist schon ein wenig kritisch, wenn einfach in Organisationsabläufe von Unternehmen eingegriffen wird.“ Ob man telefonische Gespräche führen wolle, solle jeder selbst entscheiden können.

Seit Donnerstag können das auch wieder Arbeitslose und Hartz IV-Empfänger.

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21 Kommentare

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  • A
    ALG-II-Bezieher

    Seltsam, ich habe die Erfahrung gemacht, dass in allen Schreiben vom Jobcenter an mich die kompletten Kontaktdaten, natürlich auch die jeweilige Durchwahl stehen, und dass die Durchwahlen von angefragten Mitarbeitern von der Vermittlung gerne herausgegeben werden. Die Jobcenter sind auch gar nicht über 0180 erreichbar, wie die Agentur, sondern über die jeweilige Vermittlng des Jobcenters selbst - von Callcentern weiß ich da nichts. Mein Problem ist eher, dass das Jobcenter noch nie die Initiative ergriffen hatte, wenn es um das geht, was man so unter Arbeitsvermittlung verstehen könnte. Alles, was ich bisher angefangen hatte (Kurse, Jobs) geht auf meine eigene Intitiative zurück, das Jobcenter war eher zum Verhindern da. Insgesamt muss ich aber sagen, dass es nicht der Hartz-IV-Horror ist, der es wäre, wenn die gesetzlichen Vorgaben bei mir umgesetzt würden. Besonders nett ist die Feststellung, dass man jeden noch so lumpigen Job annehmen muss, Hauptsache man arbeitet, und wenn man sich den Lebenslauf noch so versaut. Aber so weit ist es bei mir noch nicht.

  • AT
    Angebrachter Telefonstress für Manche

    Wenn z.B. eine Frau S. vom JC Berlin Mitte viele Anrufe und ggf. Beschwerden bekommt, weil sie seit 10 Monaten einen Kunden drangsaliert und er infolge ihres Wirkens keinerlei Leistungen erhält, obwohl er nachweislich seinen Lebensunterhalt aus eigener Tasche nicht sichern kann und deswegen sogar sein Gewerbe kaputtgeht, dann ist das Erreichbar sein gut so - dann muss die halt mit Nachfragen oder Beschwerden rechnen! Wer nett und freundlich ist wie Gast JC mit der "Innenansicht" muss nichts besonderes befürchten - diese Frau S. muss dann halt mal grundgesetzkonform arbeiten, damit der betroffene Bürger endlich zu seinem Recht kommt - was auch die von ihm um Hilfe gebetenen Kontakte ruhig stimmen würde.

  • J
    JC

    So und jetzt mal die Innenansicht: Ich arbeite im Jobcenter, ich möchte erreichbar sein. Lieber ein kurzes Telefonat als erst Briefe zu schreiben, auf Antwort zu warten... Wenn das Telefon stört, kann man es lautlos stellen. Und wer mich anruft, den ruf ich auch zurück, wenn ich grad nicht rangehen konnte (sofern die Nummer angezeigt wird). Jobcenter sind Dienstleister!

  • D
    Dimitri

    Das ist Intransparenz und Kundenfeindlichkeit. Als die Hartz-Reformen verkündet wurden und man noch eine Mehrheit im Bundestag brauchte, warb man intensiv damit, dass nach der Reform die Jobcenter/Arbeitsämter nicht mehr so bürokratisch, verschloßen sein würden. Der Kunde (Arbeitslose) könne dann das Jobcenter als Ressource bei seiner Suche benutzen und werden einen guten, schnellen Zugang zu seinem Vermittler haben. Das stimmt aber nicht.

     

    Heute sind viele Jobcenter am Mittwoch und Freitag geschloßen, nur der Empfang ist dann auf, dort kann man aber nichts entscheiden. Für mich ist diese Aktion lustig - sie wird nichts ändern. Die Abgeschottetheit des Jobcenters hat ja auch viel damit zu tun, dass man dort nicht das richtige Personal beschäftigt und obendrein mit Tricks gegen Arbeitslose vorgeht.

    Wer stetig Briefkästen zuschüttet und immer neue Unterlagen anfordert, ständig Sanktionen in Briefe schreibt, der kann nicht transparent und einfach erreichbar sein.

     

    Weder in Berlin, noch in Kiel oder München. Mit einer großen Koalition wird sich im Wesen dieses Systems nichts ändern - vielleicht wird es schlimmer, denn SPD und Union wollen es so haben.

  • Der Link ist nicht ganz korrekt, bitte den "Doppelpunkt" nach dem https ergänzen :-)

    • @Hanne:

      Danke für den Hinweis, wird korrigiert!

      • H
        Helfer
        @Moderation:

        Nochists falsch ;-)

  • Das ist Business! Das ist Dienstleistung und das ist Realität! So muß das auch sein! Ich bin selbst Arbeitgeber und ärgere mich, wenn man einen Job anzubieten hat und erreicht keinen. Da hat man das Gefühl man ha es mit Faulenzern und Stinkstiefeln zu tun. Kein bisschen Kundenorientierung! Auch der Ton gegenüber Menschen die beim Amt sind ist unmöglich - typisch Subordinationsprinzip wie bei allen Ämtern und Behörden - alle Beamte und Angestellten im öffentlichen Dienst werden so sozialisiert! Nach dem Motto "Hilfe ein Kunde" schnell flüchten und bloß nix arbeiten oder erreichbar sein. Mit diesen 0180 Nummern will man ungestört sein. Ich habe auch das Gefühl es nur noch mit Faulpelzen und Drückebergern zu tun zu haben!

    Recht so Piratenparei!!!

  • C
    cyctologie

    es gibt doch dieses urteil aus leipzig, dass die jobcenter die durchwahlen rausgeben müssen, aufgrund des informationsfreiheitsgesetzes.

     

    und:

    liebe piratenbasher warten wir doch mal die europawahl ab.

    ich wähle DIE dann jedenfalls wieder. zur bundestagswahl war mir einfach nicht danach.

  • Ich zitiere mal Frauke Wille, Presserefentin der Bundesagentur für Arbeit (und damit definitiv zitierfähig), im Juni 2012:

     

    > Aber es bleibt Ihnen natürlich unbenommen, alternative Rufnummern

    > zu twittern, zu posten usw. – dagegen können wir ja ohnehin nichts

    > unternehmen … ;-) – dauerhaft ist das natürlich für die Kunden

    > ärgerlich, einen solchen „Schleichweg“ nehmen zu müssen – [...]

     

    AHA !1!! Ich (als damaliger Arbeitsloser 1. Klasse) darf also direkte Rufnummern twittern, posten, usw. (genau darum ging es).

     

    Arbeitslose 2. Klasse werden dafür mit Klagen, Unterlassungserpressung und manchem anderen Instrumentarium? (nach „sozial“-„demokratischer“ Definition) Die sollen gefälligst die Schnauze halten. Haben ja bestimmt eh kein Geld, sich gegen Abmahnerpressung & Co zu wehren...

     

    Dazu diese ganzen dümmlichen PR-Scheinargumente:

    Haben die Telefone in der Arbeitsagentur vielleicht keinerlei Stummschaltung, Weiterleitung, Anrufbeantworter?

     

    Hetze IV™-Empfänger sind qua definition beinahe mittellos. Da hilft ein wochenlanger Dienstweg bei vielen Problemen, Bedarfen oder auch Bewerbungsaufwendungen (Reisen, Termine...) nicht weiter. Und sinnfreie Gespräche mit irgendwelchen Callcenter-Sklaven, die den Fall nicht kennen, sich nicht interessieren und bei Stress auflegen, sowie so nicht. Wie bei anderen arroganten, kundenfeindlichen Großunternehmen halt...

     

    Sehr geil, daß die Piraten da mal breite Brust machen.

    Heute bin ich mal wieder stolz, dabei zu sein.

  • M
    mob

    Wenn der Bearbeiter in einem Beratungsgespräch ist, kann er das Telefon auch blockieren. Das ist für mich kein Grund, Durchwahlen nicht freizugeben.

  • 7G
    738 (Profil gelöscht)

    Vorbildlich ist da der Jobcenter Bergstraße - alle Mitarbeiter und ihre Telefonnummern + E-Mailadressen sind dort auf der Homepage aufgelistet. Falls sich der Mitarbeiter in einem Gespräch befindet, wird der Anruf weitergeleitet und registriert. Binnen eines Arbeitstages erfolgt auf jeden Fall eine Kontaktaufnahme.

  • Da haben die Piraten ja mal wieder ein leeres Fass aufgemacht. "Strategie der Abschottung"... fehlt nur noch das "Evil Theme" von Star Wars als Hintergrundmusik.

     

    Es macht doch Sinn, dass Mitarbeiter nicht permanent durch Anrufe aus Beratungen o.ä. gerissen werden. Wer will schon so arbeiten? Stellen Sie sich einen Arzt vor, der permanent per Telefon für alle Patienten erreichbar ist.

    • @gsp-follower:

      Stellen Sie sich vor, dass Sie ein Vorstellungsgespräch in 500km Entfernung haben und wissen möchten, ob Ihnen die Fahrkosten erstattet werden. Jedwede Art von Antrag auf dem offiziellen Wege benötigt beim Jobcenter eine Bearbeitungszeit von ca. einem Monat, selbst wenn nur Antragsvordrucke einkuvertiert werden müssen. Bis dahin liegt das Vorstellungsgespräch in der Vergangenheit!

       

      Der nicht realitätsfremde Jobcentermitarbeiter hat seinen "Kunden" sowieso längst seine Durchwahl gegeben. Ja, ja, ich weiß, 95% der JC-Mitarbeiter sind sehr realitätsfremd.

  • "Ob man telefonische Gespräche führen wolle, solle jeder selbst entscheiden können.

    Seit Donnerstag können das auch wieder Arbeitslose und Hartz IV-Empfänger."

     

    Das können Hartz-IV-Empfänger nun wirklich schon sehr viel länger als erst seit Donnerstag. Die Listen von Herrn Thomé waren über einschlägige Hartz-IV-Gegner-Seiten im Internet verlinkt und ich persönlich habe bereits mehrfach davon Gebrauch gemacht.

    Das kommt übrigens nicht immer wirklich gut an. Die Dame von der Leistungsabteilung, die sonst auch sehr menschlich ist, hatte kein Problem damit, die Vermittlerin (Fallbetreuerin) ein massives und es gab eine doch recht schmerzhafte Retourkutsche. Seitdem herrscht mehr oder weniger offener Krieg.

     

    Und in einem anderen Jobcenter waren die Mitarbeiter von der Geheimnistuerei so angetan, dass sie von alleine ihre Nummern rausgaben, weil die wussten, dass man als Kunde manchmal einfach auch sehr schnell eine Antwort benötigt. (das war übrigens im eher ländlichen Raum, wer hätte das gedacht)

  • I
    icke

    "...führten sensible Kunden-Gespräche und müssten sich auf komplexe Berechnungen konzentrieren..."

     

    Ha ha, wenn wirklich die Sachbearbeiter da mit einem Taschenrechner durch die Gänge rennen und die Berechnungen durchführen, erklärt das zumindest die hohe Fehlerrate und die daraus resultierende Belastung der Gerichte.

     

    Sollte das nicht stimmen (und die Berechnungen machen wirklich ganz andere Abteilungen!), dann fehlt das einzig vorgeschobene "Argument". Gespräche werden auch sonst in jeder Firma geführt, die Durchwahl ist bei über 90% einsehbar und vor allem ist der direkte Kontakt meist schneller und zielführender als irgend ein anonymer Mensch in einem Call-Center ohne Ahnung, dem man jedes mal aufs Neue die komplette Geschichte erzählen muss. Übrigens kostenpflichtig...

    • @icke:

      Kostenpflichtig übrigens nur, wenn man keine Flatrate hat. In der Regel ist die, wie Sie schon erwähnten, inkompetente Call-Center-Hotline zum Ortstarif erreichbar.

       

      Die Zeiten, dass man nur über eine 0190er Nummer anrufen kann sind glücklicherweise vorbei (in den mir bekannten Regionen zumindest).

  • A
    ama.dablam

    Piraten? Waren das nicht mal diese politischen one-trick-ponies, denen es auch "irgendwie" um Datenschutz ging?

    • P
      Ponyhofbesitzer
      @ama.dablam:

      Glückwunsch, mit dieser Argumentation können Sie glatt wahlweise Verhandler beim TTIP werden oder im Innenministerium anfangen!

      • A
        ama.dablam
        @Ponyhofbesitzer:

        Irrtum: Der ein oder andere Ministeriale hat mittlerweile bei mir angefangen

  • Super Aktion!

    Die Durchwahlen habe ich auch schon gesucht!

    Kundenfreundlich so was!