Pioniere der urbanen Landwirtschaft: Gartenzwerge im Dialog mit der Stadt
Grünkohl und Feldsalat kommen zurück in die Stadt. Die Pioniere der städtischen Landwirtschaft beackern das Tempelhofer Flugfeld. Und erarbeiten ein anderes Verständnis von Urbanität.
Auf einmal steht er da, der Gartenzwerg, im Hochbeet der Schweizer Familie auf dem Tempelhofer Feld, und niemand will ihn dorthin gestellt haben. Darf er dort bleiben?
Wenn man vom Eingang in der Oderstraße auf das ehemalige Tempelhofer Flugfeld läuft, das jetzt Tempelhofer Freiheit heißt, weiß man zuerst nicht, was dort blüht. Was nicht grün ist, erinnert an Sperrmüll. Erst auf dem Feld unterscheidet man einzelne Gebilde.
Dort stehen detailverliebte und gekonnt zusammengezimmerte Hochbeete, hier alte Betten und Schränke, die mit Erde gefüllt jetzt den selben Zweck erfüllen. Jedes Hochbeet ist ein Unikat. Ganz anders als die Schrebergartenkolonie keine hundert Meter weiter, wo es eine "Heckenkontrolle" gibt.
Metropole Räume erobern
Urbane Landwirtschaft ist kein ganz neues Phänomen mehr. Schon in den siebziger Jahren entstanden die Community Gardens in New York, sogenannte Gemeinschaftsgärten, die den Wunsch der Städter nach Selbstgestaltung und die Rückkehr zur Natur innerhalb der Großstadt ermöglichten. Auch in deutschen Städten haben in jüngster Zeit mehr und mehr Menschen durch urbane Landwirtschaft metropole Räume erobert.
Sei es, um sich selbst zu versorgen, ein anderes Verhältnis zu Nahrungsmitteln zu bekommen, indem man sie selbst anbaut, oder um die Stadt selber mitzugestalten. Neu daran ist vielleicht ein anderes Verständnis von Urbanität. Etwas hochgestochen formuliert: Der urbane Gärtner will nicht "raus ins Grüne", er will den Dialog mit der Stadt.
Außerdem bringen die schrumpfenden globalen Ressourcen ein neues Bewusstsein für unsere Nahrungsmittelkette mit sich: Wo kommt der Salat eigentlich her? "Es geht aber auch verstärkt um Stadtplanung und wie man Rahmenbedingungen für solche Projekte schaffen kann", erklärt Robert Shaw vom Prinzessinnengarten in Kreuzberg, einer der Vorreiter der urbanen Gärten in Deutschland.
Goldfische im Teich aus Autoreifen
Im Teil des Feldes, das zu Allmende Kontor gehört - das sich als Anlauf- und Vernetzungsstelle, Lernort und Garten für alle bezeichnet -, hat jemand eine richtige Sitzecke erschaffen; inklusive Teich, für den ein Autoreifen zweckentfremdet wurde, mit noch lebenden Goldfischen. Die deutschen Beetnachbarn vom Tempelhofer Feld bauen den ganzen Sommer an einer Sonnenbank.
Die Schweizer pflanzen mit ihrem Sohn Grünkohl, und die Serbin vom linken Nachbarbeet verbringt viel Zeit mit einem türkischen Gärtner aus dem Stadtteilgarten Schillerkiez. Menschen rücken hier zusammen, die sich sonst einander fremd blieben.
Bei Sonnenuntergang sitzt jeder vor seinem individuellen, liebevollst bepflanzten Beet, stolz über ein paar angeeignete, aber doch irgendwie eingezäunte Quadratmeter Natur. Man besucht sich gegenseitig, und der Gartenzwerg darf bleiben, wenn auch eifrig über ihn diskutiert wird.
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