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Pinochet entkam Attentat

■ Der erste Anschlag auf den chilenischen Diktator kurz vor dem Jahrestag des Putsches / Belagerungszustand verhängt / Widersprüchliche Angaben über Attentäter / Mindestens 15 Oppositionsführer wurden verhaftet

Santiago (dpa/afp) - Wenige Tage vor dem 13. Jahrestag des Militärputsches in Chile ist am Sonntag ein Attentat auf den Diktator Augusto Pinochet fehlgeschlagen. Bei dem Angriff von mindestens zehn Attentätern, die der aus fünf Fahrzeugen bestehenden Wagenkolonne Pinochets 30 Kilometer außerhalb der Hauptstadt auflauerten, wurden nach ersten Angaben sieben Leibwächter des Präsidenten getötet. Kurz nach dem Anschlag wurde über das gesamte Land, das seit dem 11. September 1973 von Pinochet mit diktatorischen Vollmachten regiert wird, der Belagerungszustand verhängt. Dieser verschärfte Ausnahmezustand schränkt die Bürgerrechte, die Versammlungsfreiheit sowie die Meinungs– und Pressefreiheit ein. Mindestens 15 Oppositionsführer wurden festgenommen, darunter Ricardo Lagos von der Demokratischen Allianz und German Corea, Vorsitzender der Demokratischen Volksbewegung. Während eine anonyme Anruferin bei internationalen Nachrichtenagenturen in Santiago erklärte, hinter dem Anschlag stehe die kommunistisch orientierte Patriotische Front Manuel Rodriguez (PFMR), betonte deren Sprecher, die PFMR habe keine solche Erklärung abgegeben. Erst kürzlich hatte die PFMR der amtlichen Version, sie sei der „bewaffnete Arm“ der KP, widersprochen. In der Gruppe gebe es Kommunisten, Sozialisten, Umweltschützer, Christen und Unabhängige. Die PFMR verstehe sich nicht als selbsternannte Avantgarde und verfolge nicht die Focus–Theorie, der zufolge die Guerilla ausgehend von kleinen Kampfherden ihre Aktionen bis zum gewaltsamen Sturz der Diktatur steigert. Sie wolle durch den bewaffneten Kampf zu diesem Sturz beitragen, betrachte sich aber nicht als Alternative zu den Parteien. Nach offiziellen Angaben benutzten die Angreifer amerikanische Waffen jenes Typs, die im Vietnamkrieg eingesetzt wurden. Die Polizei in Santiago teilte mit, die Waffentypen seien außerdem identisch mit jenen, die man in den vergangenen Wochen in Waffenlagern im Norden des Landes entdeckt hätte. Fortsetzung auf Seite 3 Fortsetzung von Seite 1 Die aus fünf Fahrzeugen und drei Motorrädern bestehende Eskorte war am Sonntag um 18.40 Uhr Ortszeit in einen Hinterhalt geraten, als sich Pinochet auf der Rückkehr von seiner Wochenendresidenz „El Melocoton“ in der Gegend von San Jose de Maipo an den Andenausläufern befand. Mindestens 12 Rebellen beschossen die Wagenkolonne zwischen den Ortschaften La Obra und Las Vertientes. Dabei wurden vier Begleitfahrzeuge zerstört, eines davon explodierte und geriet in Brand. Laut Augenzeugenberichten dauerte der Beschuß der Wagenkolonne rund zehn Minuten. Starke Militär– und Polizei–Einheiten nahmen kurz danach die Verfolgung der Angreifer auf. Dabei wurden auch Hubschrauber mit starken Scheinwerfern eingesetzt. Durch die Absperrmaßnahmen wurden 5.000 Fahrzeuge bei der Rückkehr aus den Anden in Richtung Santiago blockiert. Laut Regierungsangaben hat Pinochet sein Leben der Tatsache zu verdanken, daß sein Fahrzeug gepanzert war. Der Wagen, in dem sich auch eine Enkelin des Generals befand, wurde von Granaten und zahlreichen Schüssen getroffen. Der Präsident hielt nach dem Anschlag am Sonntagabend vom Balkon seiner Residenz in Santiago aus eine kurze, vom Fernsehen übertragene Ansprache an seine Anhänger. An der linken Hand, die nach seinen Angaben einen Splitter abbekam, trug er einen weißen Verband. Pinochet erklärte, der Anschlag sei ein Beweis dafür, daß der Terrorismus ernst und schwerwiegend sei. Die „Herren Politiker“ müßten wissen, daß sich Chile „in einem Krieg zwischen dem Marxismus und der Demokratie“ befinde. Die Wahl bestehe zwischen „Chaos und Demokratie“. Innenminister Ricardo Garcia gab im Anschluß an eine Sondersitzung der Regierung die Verhängung des Belagerungszustandes für zunächst 90 Tage bekannt, der am Montag in Kraft treten sollte. Diese Maßnahme erlaubt das Versammlungsrecht und die Pressefreiheit einzuschränken. Verhaftungen können ohne richterliche Anordnung vorgenommen werden. Der seit dem Militärputsch am 11. September 1973 geltende Belagerungszustand war im März 1978 aufgehoben wurden. Angesichts der ansteigenden Oppositionsbewegung hatte die Regierung von November 1984 bis Juni 1985 erneut auf diese Maßnahme zurückgegriffen. Der letzte Belagerungszustand wurde erst im Juni 85 aufgehoben.

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