: Pinkelstein der Weisen
Streuverluste hin, Streuverluste her: Im Urinal liegt die Zukunft der Werbung
Dass man heutzutage überall von Werbung berieselt wird, ist längst keine Neuigkeit mehr. Neu ist dagegen, dass sich die Werbung nun berieseln lässt. Der amerikanische Likörfabrikant Philipps Beverage Company aus Minneapolis in Minnesota setzt im Zuge der Markteinführung seines neuen Designer-Gewürzwhiskys „Revelstoke Canadian Spiced Whisky“ auf Pissoir-Werbung. Das scheint durchaus durchdacht, erreicht man ernsthafte Trinker doch garantiert auf der Toilette. Allerdings wirbt man für den aromatisierten Roggendrink nicht in Augenhöhe, wo etwa hierzulande die Bielefelder Firma Sit & Watch (Eigenwerbung: „Wegzappen nicht möglich!“) ihre Werbeplakate über den Pinkelbecken aufhängt. Die Werbung findet tief unten im Becken statt.
Studien belegen, dass Männer zwischen 30 und 50 Sekunden vor dem Urinal stehen und selbst umfangreiche Werbebotschaften in dieser Zeit den Weg in ihr Langzeitgedächtnis finden. Sit & Watch-Geschäftsführer Daniel de Juan erklärt dazu: „Es gibt kein Medium, in dem so wenig Streuverluste stattfinden, da geschlechtsspezifisch geworben werden kann.“ Dabei treten doch Streuverluste gerade beim stehend freihändigen Urinieren der Männer auf.
Immerhin warb bereits der US-Fernsehsender ABC für seine Comedyserie „Norm“ auf Kneipenklos mit dem Spruch „Hey, pass auf deine Schuhe auf!“, und benutzte dabei einen sprechenden WC-Stein, der den Toilettennutzer mit der Stimme des Helden Norm anquatschte. Die Reklame soll recht gut angekommen sein.
Noch besser kommt aber die besagte Würzwhiskywerbekampagne bei den Wirkungstrinkern an. Je mehr sie intus haben, desto eher sind sie gezwungen, genau auf die Revelstoke-Reklame zu glotzen. Spirituosenmacher Philipps hat nämlich den Pinkelstein der Weisen gefunden, nachdem die Fachleute lange gesucht haben. Man entdeckte ihn auf dem Grunde des Pissbeckens, dort, wo die Zielgruppe gelangweilt Zielübungen macht, wenn es mal wieder länger dauert. Diesen Vorgang machte man sich mit einem Revelstoke-Spezial-Kippensieb zunutze, das man in den Lokalen, in denen das Getränk ausgeschenkt wird, auf dem Beckengrund platzierte. Auf den „Magic Screens“ genannten Urinaleinlagen stehen – mit wärmeempfindlicher Geheimtinte geschrieben – seltsame Werbebotschaften wie „Mach keine Bocksprünge über Einhörner“ oder „Wer gegen Elektrozäune pullert, sollte nicht schreckhaft sein“. Der Trick: Man muss sie mit dem Pullerstrahl treffen, damit sie bei annähernd Körpertemperatur sichtbar werden.
Als Gradmesser für den besonderen Erfolg der Revelstoke-Kampagne wertet man übrigens, dass die meisten der Kippensiebe schon aus den Klos geklaut wurden und vom Veranstalter nachgelegt werden mussten. Man könnte das aber auch als Indikator dafür nehmen, wie bescheuert Gewürzwhiskytrinker sein müssen und sollte davor warnen, jemandem in einer US-Bar die Hand zu schütteln, wenn dort „Revelstoke Canadian Spiced Whisky“ ausgeschenkt wird.
„Ausgeschenkt“ allerdings ist das Stichwort, dass uns an die Gefeuerten und Gescheiterten der Internet-Economy erinnert. Denen schenkt die Wahrheit mit diesem Bericht nämlich die Geschäftsidee des Jahres: Beckenreklame auf öffentlichen Urinalen. Eine solche Start-up-Company wird mehr Werbung verkaufen als RTL oder Sat.1 zusammen – solange dafür gesorgt ist, dass die Zielgruppe genug zu trinken bekommt und überall Toiletten voller Werbematten zur Verfügung stehen.
Was ist das bislang für eine Verschwendung von wertvollen Werbekontakten gewesen, wenn sich jemand notdürftig ins Gebüsch schlagen oder verschämt in einen Hauseingang stellen musste? Sinnvoller ist hier doch ein Netz von freien Bedürfnisanstalten und – um diese zu füllen – von Freibierhallen und kostenlosen Martinibuden. Und garantierte Freigetränke bei großen Sportveranstaltungen machen den Werbeerfolg sofort in Litern messbar: „Zehntausende standen an den Hängen und Pisten“. Alles für die Marktforschung.
SÖNKE JAHN
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