Pilnacek-Skandal in Österreich: Heimliche Aufnahme

In Österreich übten offenbar Vertreter der regierenden ÖVP Druck auf die Justiz aus. Schwer belastet wird der Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka.

Sebastian Kurz

Der eine Prozess läuft noch und schon beschäftigt ein neuer Skandal die Öffentlichkeit Foto: Robert Jaeger/APA/dpa

WIEN taz | Eigentlich ist Österreich ja noch damit beschäftigt, die Wunden aus der Regierungszeit von Sebastian Kurz zu lecken. Der steht dieser Tage ja wegen mutmaßlicher Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss vor Gericht. Unter Kurz hat sich Österreich bis ins Jahr 2040 an russisches Gas gebunden. Und die von seiner Regierung üppig ausgeschütteten Coronaförderungen sorgen für ein Rekorddefizit, das dieser Tage auch die Budgetdebatte im Parlament dominiert.

Mitten ins wie immer mit sich selbst beschäftigte Österreich platzte am Dienstag eine kleine politische Bombe. Eine Tonaufnahme kam ans Licht, in der Christian Pilnacek, früherer Spitzenbeamter im Justizministerium, von Interventionsversuchen der ÖVP berichtet. Konkret hätte er strafrechtliche Ermittlungen gegen die ÖVP „abdrehen“ sollen, verweigerte sich aber, wie er darin sagt.

Die Aufnahme entstand am 28. Juli bei einem Nobelitaliener in der Wiener Innenstadt. Pilnacek saß mit zwei Bekannten am Tisch, von denen einer offenbar eine Handyaufnahme mitlaufen ließ. Nun hat er diese an Medien weitergespielt. Der ORF ließ zwei Stimmgutachten einholen, die die Echtheit der Aufnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit bestätigen.

Pinacek wurde im Oktober tot aufgefunden

Besondere Brisanz erlangt die Causa, weil Pilnacek kürzlich überraschend verstarb. Mitte Oktober wurde er auf einer niederösterreichischen Autobahn als alkoholisierter Geisterfahrer von der Polizei gestoppt. Er musste abgeholt werden, wurde jedoch Stunden später tot aufgefunden. Viele Medien schrieben von einem Suizid, ein Ergebnis der Obduktion wurde aber noch nicht bekannt gegeben.

Pilnacek galt lange Jahre als mächtigster Beamter im Justizministerium. Ab 2010 hatte er die Leitung einer „Supersektion“ bestehend aus den Bereichen Legistik und Einzelstrafsachen inne. Zu seinen Aufgaben gehörte die Kontrolle sämtlicher Staatsanwaltschaften, unter anderem auch der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, auf die sich die ÖVP unter Kurz eingeschossen hat.

Nun also könnte, keine vier Jahre nach dem verhängnisvollen Ibiza-Skandal, wieder eine heimlich durchgeführte Tonaufnahme für Wirbel sorgen

In Misskredit geraten war Pilnacek 2019, als er bei einer Dienstbesprechung die Anweisung gab, die Anklagevertreter sollen mehrere Stränge des Eurofighter-Korruptionsverfahrens „derschlagen“, sprich: einstellen. Ein Aufnahmegerät lief bei der Besprechung mit, seine Aussagen fielen Pilnacek auf den Kopf. Seine „Supersektion“ wurde zweigeteilt, Pilnacek wurde 2021 suspendiert.

Nun also könnte, keine vier Jahre nach dem verhängnisvollen Ibiza-Skandal, wieder eine heimlich durchgeführte Tonaufnahme für Wirbel sorgen. Gefährlich werden könnte sie vor allem für Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, den Pilnacek als einzigen der ÖVP-Bittsteller namentlich nennt.

Die Opposition fordert schon lange Sobotkas Rücktritt. 2020 räumte er im Krawallsender Ö24 offen ein, dass es Gegengeschäfte zwischen Politik und Medien gibt. Auch hatte Sobotka das umstrittene Alois-Mock-Institut der ÖVP geleitet – der „Thinktank“ diente Experten zufolge als Umgehungskonstruktion für Parteispenden.

Kritiker werfen Sobotka außerdem eine parteiische und ÖVP-freundliche Führung des parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschusses vor, dem er vorsaß. Allzu kritische Fragen hatte Sobotka da gern abmoderiert.

Beim Ibiza-Ausschuss (2020-21) sagte Pilnacek als Zeuge unter Wahrheitspflicht aus, ebenso wie im ÖVP-Korruptions-Ausschuss (2021-23). Bei beiden wurde er mehrmals gefragt, ob er in konkreten Verfahren Einfluss genommen habe – was Pilnacek verneinte.

Diese Aussagen wiegen schwerer als die heimlich angefertigte Aufnahme, argumentiert nun die ÖVP. Plausibel scheint jedoch, dass Pilnacek im Sommer über andere Interventionsversuche gesprochen hat. Dass er niemals zu Interventionen aufgefordert worden wäre, gab er bei den U-Ausschüssen nämlich nicht zu Protokoll.

Kein Rücktritt von Sobotka in Sicht

Die ÖVP ortet eine Schmutzkübelkampagne. Von „KGB-Methoden“ sprach der ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker gar. Nationalratspräsident Sobotka ließ ausrichten, es sei „pietätlos, wenn ein erst kürzlich verstorbener Mensch in die Öffentlichkeit gezerrt werden soll, um politisches Kleingeld zu wechseln.“ Sobotka halte fest, niemals mit Pilnacek zu laufenden Verfahren, Ermittlungen oder Sicherstellungsanordnungen gesprochen zu haben.

Dennoch: Es ist kein Grund erkennbar, warum Pilnacek authentisch über Interventionsaufforderungen klagte, wenn es die nie gegeben haben soll. Wird der Nationalratspräsident zurücktreten, jedenfalls, bis die Sache aufgeklärt ist? Anderswo gut möglich, nicht aber im diesbezüglich abgestumpften Österreich. Die ÖVP hat den Rücktrittsforderungen der Opposition bereits eine Absage erteilt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.