Pia Frankenberg : Tagebuch einer Gebeutelten: Alles muss raus
Das Universum hat mich aufgegeben. Keine Ahnung, was da gerade los ist, vermutlich trampelt mein Saturn gerade über den Uranus, und beide prügeln sich mit dem Merkur, oder was gelangweilten Planeten sonst so einfällt. Jahrzehntelang hat es wohlwollend hinter mir aufgeräumt und ließ freundliche Mitmenschen mein zurückgelassenes Eigentum einsammeln.
Die Spur verlorener Gegenstände erstreckte sich von Flughäfen über mein Berliner Lieblingscafé bis nach Neuseeland, wo mein prall mit Karten, Ausweisen und Geld gefülltes Portemonnaie auf einer Tanksäule einsam vor sich hin wimmerte. Als ich nach vierzig Meilen den Verlust bemerkte, hatte sich ein ehrlicher Kiwi bereits erbarmt und es der Fürsorge der Tankstellendame überlassen. Ich dankte überschwänglich allen Beteiligten und dem Universum und gelobte Besserung.
Als erste Maßnahme versenkte ich vorsorglich einen Airtag-Peilsender in meinem Geldbeutel und verkuppelte ihn mit meinem Handy. So kam es, dass ich vor Kurzem mein digital vernetztes Eigentum verfolgte, das in den Händen eines heimtückischen Diebs auf dem Display durch die Straßen mäanderte. Mein Schrittzähler ratterte, während mir der Schweiß auf der Stirn stand.
An einer Schule machte das Airtag halt und erstarrte. Zu allem entschlossen stürmte ich ins Sekretariat und flehte, hektisch auf das unbewegte Symbol auf dem Display tippend, um eine Lautsprecherdurchsage: „Aber unbedingt sensibel, bitte“, stotterte ich, „es muss ja nicht zwangsläufig gestohlen … vielleicht wollte der Finder ja bis nach dem Unterricht …“ Ich stockte. „Das, äh, war jetzt natürlich das generische Maskulinum, keine Absicht! Obwohl … die Vorstellung, dass eine Frau ein Portemonnaie mit allen Karten und Dokumenten und Handynummer kl…“
„Das geht nicht“, wurde ich abrupt gebremst. Ich schöpfte kurz Atem. „Dürfen Sie nur andere Katastrophen ankündigen? Extremwetter oder so was?“
Beim letzten bundesweiten Alarmtest hatte mich mein Handy beim Autofahren vom Beifahrersitz aus angekreischt, was zu einer Vollbremsung und einem Beinahe-Unfall geführt hatte. Selbstverständlich muss man Jugendliche vor Durchsagentraumata schützen, aber das hier war eine Ausnahmesituation! „Verstehen Sie doch, Perso, Führerschein! Bürgeramt! Bald ist Weihnachten!“, jammerte ich etwas unzusammenhängend. „Die Lautsprecheranlage wird repariert“, verkündete der Diensthabende.
Das Airtag fand ich dann im Mülleimer vor der Schule. Jetzt lebe ich in einer Welt, in der alle Karten gesperrt, aber Passfotos und Bürgeramtsdienste nur elektronisch bezahlbar sind. Mitfühlende Menschen zückten gegen mein von Freunden erbetteltes Bargeld ihre eigenen Karten für mich, während meine neuen und die PINs in der Parallelwelt der Post endlose Runden drehen.
Ach, Universum, wir hatten doch so schöne Zeiten! Können wir bitte wieder Freunde sein?
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