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Philosophie für die Wirtschaft

■ Zwei neue Programme in Bremen: Wie werden GeisteswissenschaftlerInnen marktgängig?

Markus M. hat sechs Jahre Germanistik studiert. Hat ihm gefallen. Daß es hinterher nicht leicht wird, war ihm zwar klar, aber daß ihm nun die Buchverlage dermaßen postwendend seine Bewerbungsunterlagen zurückschicken, hat er sich nicht vorgestellt. Jetzt ist er schon ein Jahr arbeitslos – und mittlerweile weichgekocht genug, um sich auch für andere Wirtschaftsunternehmen zu interessieren. Die suchen doch für ihre Trainee-Stellen kreative Leute, und kreativ bin ich doch, sagt er sich. Stimmt. Aber als Markus M. im Bewerbungsgespräch plötzlich auf Englisch mit dem Manager plaudern soll, bricht ihm der Schweiß aus, er stottert, weiß nicht weiter. Das war's.

Wirtschaftsenglisch, Grundkenntnisse in Betriebswirtschaft und EDV – das sollten GeisteswissenschaftlerInnen schon vorweisen können, so die Erfahrung von Christian Keitel, Arbeitsberater beim Arbeitsamt. Doch sowas ist nicht Bestandteil des Studiums. Wie also sollen GeisteswissenschaftlerInnen konkurrenzfähig werden gegenüber BWL-AbsolventInnen? Darüber brütet derzeit eine Arbeitsgruppe von Leuten aus dem Arbeitsamt, der Uni, der Handelskammer und der Angestelltenkammer. Arbeitstitel ihres Uni-Projektes: Magister in Handel und Wirtschaft.

Solche studienbegleitenden Qualifizierungsprogramme gibt es bereits an mehreren deutschen Unis. In Bremen soll es damit vielleicht schon im Herbst losgehen. Mit wahrscheinlich vier Wochenstunden pro StudentIn, außerdem mindestens einem mehrmonatigen Betriebspraktikum. Kontakte vermitteln Arbeitsamt und Handelskammer.

Die InitiatorInnen hoffen, von den derzeit 1.400 auf Magister Studierenden 20 bis 40 fürs Pilotprojekt begeistern zu können. „Denen, die gern raus möchten, aber sehen, daß es regnet, bieten wir sozusagen einen Schirm“, sagt Hans-Joachim Tiefensee, Leiter der Studienberatung der Uni. Und er sieht gute Chancen für die solcherart gewappneten Magister-AbsolventInnen. Fürs Management suche die Wirtschaft händeringend Leute mit Phantasie und Kommunikationskompetenz. Genau diese Fähigkeiten bringen die GeisteswissenschaftlerInnen mit. „Das bißchen Betriebswirtschaft, was man heute noch braucht in Betrieben, kann man sich auch nebenher aneignen. Ein Betriebswirt wird sich dagegen schwerlich Phantasie aneignen können.“

Von ihrer geliebten Philosophie oder Literaturwissenschaft müssen sich die Studierenden deshalb nicht verabschieden – schließlich braucht man auch in den klassischen Arbeitsfeldern für GeisteswissenschaftlerInnen wie Lektorat oder Ausstellungsmanagement heute mehr und mehr Kennnisse in Marketing und Kalkulation. Nicht zuletzt, weil der Kostendruck in diesen Bereichen größer geworden ist.

Wer sowas nicht während des Studiums lernen konnte, braucht aber nicht zu verzagen: Im März und im August bietet das Arbeitsamt erstmals für frisch-examinierte Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen einen Crashkurs in Sachen Wirtschaft an. 19 Wochen dauert er – also viel kürzer als die üblichen Weiterbildungskurse des Arbeitsamtes. Geübt wird allerhand: Finanzbuchhaltung, Page Maker, Arbeitsrecht, Einkauf... Ganztägig und kostenlos. Den Lebensunterhalt für die vier Monate muß man allerdings selbst bestreiten.

Ein Betriebswirt wird man nicht in diesen 19 Wochen. Aber man lernt, betriebswirtschaftlich zu denken. Und hat außerdem die Zeit der Sucharbeitslosigkeit nach dem Examen mit Fortbildung gefüllt – das macht was her. Denn wer ein Jahr lang seine Arbeitslosigkeit nicht gemanagt hat, dem trauen Personalchefs auch nicht zu, ihre Firma zu managen.

Ob der Kurs überhaupt voll wird? „Es gibt immer noch große Vorbehalte gegenüber einer Tätigkeit in der Wirtschaft, viele würden lieber in non-profit-Betrieben arbeiten", sagt Christian Keitel vom Fachvermittlungsdienst des Arbeitsamtes. Daß jedoch die in die Wirtschaft Gegangenen anschließend heilfroh sind, zeigte eine Befragung des Arbeitsamtes. Besonders zufrieden die LehrerInnen: Die lobten den Gestaltungsspielraum und das gute Betriebsklima in der Wirtschaft. Manche sagten gar: „Ich hätte mich gar nicht erst für die Schule beworben, wenn ich früher gewußt hätte, wie gut man in der Wirtschaft arbeiten kann.“

cis

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