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Philosophie als Zukunfts-BranchePhilosophen regieren die Welt

Wir schreiben das Jahr 2037. Die Philosophie hat sich gegen alle anderen Wissenschaften durchgesetzt. Endlich können die Gedanken freie Saltos drehen.

2037 werden wir nur noch von Philosophen gelenkt Foto: imago

W ir schreiben das Jahr 2037. Die Philosophie hat sich endgültig gegen alle anderen Wissenschaften durchgesetzt. Für diejenigen, die wegen ihrer mitgeführten Fahrräder unsere überfüllte Neun-Euro-Zeitmaschine frühzeitig verlassen mussten, möchte ich die Entwicklung hier noch einmal kurz skizzieren:

Im Grunde ist unsere Welt schon seit fünftausend Jahren viel zu komplex; kein bei Sinnen befindliches Schwein kann sich mehr profund darin vertiefen, und so schlug endlich die Sternstunde der Philosophie. Die hatte sich bereits bei früheren Krisen wie dem Sächsischen Sezessionskrieg (2025) oder den Fuchsröteln (2030–2033) als sehr gut bewährt. Mittels der simplen Lösungsformel: Weltbild – Nachrichtenlage – Tatsachen – Empathie + Desinteresse + Hybris + Angst + Egozentrik² = Erkenntnis, revolutioniert sie das menschliche Denken nun von Grund auf.

Zum Glück ist Philosophin kein geschützter Berufsbegriff. Man kann das Fach zwar studieren, muss es aber natürlich nicht. Es gibt Quereinsteigerinnen aus dem Taxigewerbe, der Germanistik, der Kontervirologie oder der Unterhaltungsbranche. In jeder Talkshow sitzen dann ein Philosoph (aktueller Bestseller: „Ich mach mir die Welt …“), eine Tankstellenpächterin, eine Intellektuelle („Nicht informieren – labern!“) und ein Schauspieler („Wo ist die Kamera?“) und bieten die einfachsten Auswege für klassische Lose-lose-Situationen an: „Wir müssen mit dem Klimawandel verhandeln …“

Politik ist überflüssig geworden

Das zweite wichtige Medium der Philosophen und Intellektuellen sind die zahllosen offenen Briefe, mit denen sie das Volk nach besagter Lösungsformel weise auf den Stand der Dinge und des Denkens lenken. Das hält auch die guten alten Print­aus­gaben am Leben, die inzwischen nur noch offene Briefe zu jeder möglichen Thematik bringen.

So steht zum Beispiel mein offener Geburtstagsbrief an Tante Tilly heute auf der zweiten Seite der Zeit neben einer codierten Message meines Futurologen Zbigniew („Morgen, Kinder, wird’s was geben“), sowie dem offenen Brief eines Hausmeisters, der seine Mieter auffordert, die Bücherkiste vor der Haustür endlich zu entfernen: „Wer Müll ‚verschenkt‘, verschenkt Müll!!“

Talkshows und offene Briefe gab es immer schon, doch erst jetzt werden die Inhalte hinterher direkt in Maßnahmen und sogar Gesetze gegossen. Politik, wie wir sie früher kannten, ist dadurch komplett überflüssig geworden.

Das Besondere an der Argumentation der neuen Opinion Leader ist, dass sie stets nur auf die Gegenwart, und zwar ausschließlich die eigene, ausgerichtet ist. Die Zukunft scheint für sie gar nicht zu zählen, dabei leben wir längst in ihr.

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Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
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1 Kommentar

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  • Falls die Motivation für diese - nennen wir es mal netterweise Glosse - von einem Überdruß an den Einlassungen derer her rührt, die einem jenseits der Unis als Philosophen medial vorgesetzt werden, so haben Sie mich auf Ihrer Seite. Dennoch sollten Sie bedenken, dass diese eher laienphilosophische Art zu räsonieren, mit der die Flaßpöhlers und Prechts kreuz und quer über Lanz & Jahrmarkt tingeln, nicht mit der akademischen Philosophie verwechselt werden darf. Letztere ist selten von eigener Großartikeit besoffen, nicht in eigene Ansichten einbetoniert, allzu häufig in ihren Ergebnissen bloß tentativ und auf Widerspruch aus. So braucht sie z.B. schon mal 50 Jahre für eine Debatte über eine Frage, die ein knapp dreiseitiger Artikel wie nebenher mal aufwarf. Sie ignoriert solche neuen Denkanstöße nicht, geht nicht leichtfertig mit Einwänden um, stützt sich stergnstens auf Logik, beginnt nicht jeden zweiten Satz mit "Es ist doch so...", hat im Idealfall keine ideologische Prägung, auch kein politisches Ziel (und schon gar keine fianziellen Interessen). Die ernstzunehmende akademische Philosophie schreibt natürlich auch keine selbstherrlichen Briefe mit albernen Anrufungen vermeintlicher Klugheit, die aber im Kern wilde Sehnsüchte der Autor:innen ausformulieren. Ich empfehle daher mal in die entsprechenden (Fach-)Journals reinzulesen (etwa über philpapers.org) und das mal mit dem, womit Sie Philosophie hier verwechseln, abzugleichen. Philosophie ist mituter eine tatsächlich ziemlich strenge, logikfixierte Keilerei um Argumente, echte Argumente, wohlgmerkt! Nicht die Flaßpöhler'schen Scheinargumente noch Precht'sche Pippi-Langstrumpfereien...