: Pfoten weg von Maria! Von Ralf Sotscheck
Bei einem Quiz, das neben dem Trinken auch für einen anderen guten Zweck in einem Dubliner Gewerkschaftsclub veranstaltet wurde, lautete eine Frage: „Wie oft schlägt die Angelus-Glocke?“ Kaum ein Quizteam kannte die richtige Antwort, nämlich achtzehnmal. Manche wußten nicht einmal, was die Angelus-Glocke ist. Dabei schlägt sie seit mehr als vierzig Jahren jeden Tag um zwölf Uhr mittags und sechs Uhr abends im irischen Radio und Fernsehen. Für 75 Sekunden herrscht dann Stillstand auf allen Kanälen. Es gibt nichts und niemanden, der öfter im Äther zu hören wäre.
Die Glocke ist die Begleitmusik für den Angelus, ein katholisches Gebet zur Jungfrau Maria, von der im Fernsehen ein Bild eingeblendet wird. Mal ist sie darauf schwarz, mal indianisch, manchmal auch asiatisch oder südamerikanisch. Damit will man den Zuschauern wohl vorgaukeln, daß der Marienglaube universal ist und selbst ehemalige Heidenvölker zum Marienglauben bekehrt worden sind.
In Irland gehörte die Angelus- Glocke bisher zum Alltag: Sie war eben schon immer da, genauso wie Guinness und Regenwetter. Niemand hatte sich daran gestört, bis vorige Woche der Herausgeber der Zeitschrift Six, Gary Byrnes, das Glockengeläut als „eine sektiererische religiöse Zeremonie“ verunglimpfte. Die katholische Kirche schlug kurzentschlossen zurück und beurteilte Byrnes' Zeitschrift als „umgehend dem Vergessen anheimzugeben“.
Der protestantische Primat von Irland, Erzbischof Robin Eames, schlug sich auf Byrnes' Seite: Der Angelus müsse verändert werden, so daß er alle Menschen einschließe. Bloß wie? Soll man ein von einem konvertierten Katholiken zu atheistischen Versen komponiertes Lied spielen, das von einem protestantisch-hinduistischen Knabenchor mit moslemischer Dirigentin auf hebräisch vorgetragen wird?
Lieber wäre es dem irischen Staatsfunk RTE, wenn man die Angelus-Glocke in klingende Münze umwandeln und statt dessen Werbung senden könnte. Das traut man sich aber nicht, denn die Kontroverse hat inzwischen weite Kreise gezogen. „Pfoten weg von Maria!“, so war der Haupttenor. Im nordirischen Radio, wo man das Thema ebenfalls aufgegriffen hatte, gab es erwartungsgemäß zwei Fraktionen: Die einen wollten unbedingt an der 75-Sekunden-Gebetsglocke festhalten, die anderen wollten sie durch eine Lambeg Drum, die loyalistische Kriegstrommel, ersetzen. Auf der Nachbarinsel hält man die Angelus-Glocke offenbar für eine Art Kuckucksuhr. Ein schlauer Guardian-Leserbriefschreiber meinte wieder mal einen Beweis für die Blödheit der Iren entdeckt zu haben. Man müsse sich einmal vorstellen, so höhnte er, daß die Iren nicht mal bis zwölf zählen können: Bei einer Dublinreise habe er um zwölf Uhr sein Radio eingeschaltet, und die Glocke schlug achtzehnmal! Am nächsten Tag wurde er von einem zweiten Leserbriefschreiber, einem ausgewanderten Iren, wegen seiner Ignoranz gerüffelt. Andererseits: Als ich einmal bis Programmschluß vor der Kiste gesessen hatte, verkündete die RTE-Ansagerin: „Noch ein letzter Blick auf die Uhr: Es ist zehn Minuten nach Mitternacht.“ Die eingeblendete Uhr zeigte halb vier.
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