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Pflegealltag in DeutschlandMinusgeschäft Demenzkranke

Demente sind auf Angehörige angewiesen: Was passiert wenn sie ins Krankenhaus kommen? Sie landen in einem System, wo sie als Minusgeschäft wahrgenommen werden.

Die Kraft der Berührung. Bild: dpa

Neben rustikalen Holz- und schweren Polstermöbeln steht ein Krankenhausbett in Irmtraud Schmidts Wohnzimmer. Die pralle Morgensonne scheint auf ihren Mann, der zwischen den Kissen liegt. "Na, Mausi, ich zieh dir die Jalousien zu, damit du nicht so geblendet wirst", sagt sie. Er antwortet nicht. Sein eingefallenes Gesicht mit den blauen Augen ist zum Fenster gedreht.

Vielleicht schaut er auf die bunten Glaskugeln, die seine Frau vor die Scheibe gehängt hat und die das Licht vielfarbig brechen. Vielleicht auch nicht. Herr Schmidt hat fortgeschrittene Demenz. So wie jetzt liegt er immer da. Reglos, starr, friedlich.

Für den friedlichen Anblick sorgt seine Frau. Irmtraud Schmidt begrüßt mit festem Händedruck und raumgreifender Stimme. Hund Nellie bellt, aus dem Radio tönt Popmusik – "das läuft immer, damit das kein totes Haus ist", sagt sie. Direkt angesprochen auf ihren Mann aber, wird ihre Stimme leiser, brüchiger.

Demente im Krankenhaus

Problem: Laut Alzheimer-Gesellschaft sind zwölf Prozent der über 60-jährigen Krankenhauspatienten dement. Tendenz steigend. Damit steigt das Risiko von Fehlbehandlungen, wenn Patientinnen oder Patienten sich nicht richtig mitteilen, Untersuchungen verweigern oder aggressiv werden. Oft verstärkt sich ihre Verwirrtheit im Krankenhaus.

Hilfe: Die Alzheimer-Gesellschaft hat standardisierte Fragebögen entwickelt, die Angehörige dementer PatientInnen vor einem Aufenthalt im Krankenhaus ausfüllen können, um so über die besonderen Bedürfnisse der Betroffenen zu informieren.

Sie pflegt ihn, füttert ihn, wäscht und wendet ihn, damit er sich nicht wund liegt, gibt ihm die Medikamente. Sie schläft auf dem Sofa neben ihm, weil sie Angst hat, dass er nachts erstickt.

Pflege ist ein Fulltimejob, den viele Angehörige von Demenzkranken hingebungsvoll leisten. Doch was, wenn der Umsorgte zum Notfall wird? Wenn er aus der vertrauten Umgebung heraus und ins Krankenhaus gebracht werden muss?

Bild: taz

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"Dann kommen sie in so eine neonerleuchtete Rettungsstelle, wo hunderte Gesichter um sie herumtoben und Wildfremde anfangen, ihnen die Kleider auszuziehen", sagt Thomas Wichterei, ein junger Krankenpfleger auf der kardiologischen Intensivstation eines Berliner Krankenhauses.

"Das ist für so einen verwirrten Menschen eine absolute Katastrophe." Die Patienten auf seiner Station werden etwa wegen Bluthochdruck oder Herzinsuffizienz eingeliefert, immer häufiger haben sie eine Demenz als Begleiterkrankung.

Pflegealltag

Meist kümmert sich Wichterei um vier Patienten. Das klingt nicht nach viel. Aber: "Darunter sind in der Regel zwei Komapatienten und ein Alzheimerpatient." Fünf Stunden seiner Arbeitszeit braucht er für die Komapatienten und eine Stunde, um seine Arbeit zu dokumentieren. "Bleiben zwei Stunden für einen normalen Patienten plus einen Alzheimerpatienten. Die brauche ich für Körperpflege, Wäschewechsel und um Essen und Medikamente zu verteilen. Da bleiben null Minuten, um auf die speziellen Bedürfnisse des Demenzkranken einzugehen."

Dafür ist auch keine Zeit vorgesehen: Krankenhäuser und Kassen kalkulieren mit Fallpauschalen und Standardpatienten. Aber Demenzkranke sprengen die Norm. Schon ihre Nahrungsaufnahme dauert länger. Man muss sie ans Schlucken erinnern. Oder das Wasser im Glas mit Saft einfärben, damit sie das Getränk überhaupt wahrnehmen. Thomas Wichterei würde das gerne umsetzen. Aber er hat keine Zeit.

Und so macht er, was man als gestresster Pfleger so tut: "Wenn die Demenz so weit fortgeschritten ist, dass der Patient nur noch rumbrüllt, immer aus dem Bett krabbeln will und nicht versteht, was um ihn herum passiert, bekommt er Medikamente, die ihn dämpfen."

Und oft werde auch eine Nasensonde gelegt, die direkt im Magen endet und ihn künstlich ernährt. "Aber es nimmt dem Patienten das komplette Erleben." Ohne Anreize jedoch zerfällt das Gehirn von Demenzkranken schneller.

Dass in der Krankenhaushektik auf die besonderen Bedürfnisse der Demenzpatienten wenig Rücksicht genommen wird, werden kann, diese Erfahrung hat Irmtraud Schmidt gemacht.

Zweimal musste ihr Mann stationär behandelt werden. "Getränke wurden einfach hingestellt, es wurde aber nicht geguckt, ob er was trinkt. Wir Angehörige sind hingefahren, haben ihn geduscht, ihm die Zähne geputzt. Wir sind mit ihm auf die Toilette gegangen, weil das nicht gemacht wurde. Stattdessen bekam er Windeln." Wegen der schnellen Lösung mit Windeln verlernte ihr Mann, was er vorher konnte: zur Toilette zu gehen.

Das Problem mit Angehörigen

"Na, mein Süßer!" Frau Schmidt drückt ihrem Mann einen Kuss auf die Stirn. Ihn zu pflegen ist für sie selbstverständlich, "er würde das auch für mich tun". Es machte ihr auch nichts aus, im Krankenhaus mit anzupacken. Verärgert aber hat sie, dass das Verhältnis zu den Schwestern trotz – oder wegen - ihres Einsatzes angespannt war: Die besorgte Ehefrau nervte, störte den Ablauf.

Das sei ein häufiges Problem, das Pfleger Thomas Wichterei kennt. Er selbst freut sich, wenn es Angehörige gibt, die sich kümmern, "denn oft sind die Patienten einsam". Andererseits konfrontieren sie ihn immer mit dem, was er selbst nicht schafft.

"Das Engagement von Angehörigen oder auch Ehrenamtlichen wird bald eine wichtige Ressource werden", sagt Albert Diefenbacher vom Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge. Doch vor diesem Trend würden viele Krankenhäuser noch die Augen verschließen.

Diefenbacher leitet die Abteilung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, zu der auch zwei geronto-psychiatrische Stationen gehören. Hier setzt er in kleinem Rahmen um, was eigentlich auf den Normalstationen nötig wäre: eine stärkere Rücksicht auf die Besonderheiten Demenzkranker mit spezialisiertem Pflegepersonal. Im Rahmen von Konsiliardiensten tragen sie ihr dort erarbeitetes Fachwissen in die anderen Abteilungen.

Mittelfristig setzt Diefenbacher aber auf ein weitergehendes Konzept: "Wir müssen uns darüber Gedanken machen, interdisziplinäre Schwerpunktstationen für Patienten mit einer Demenz einzurichten. Das heißt, dass es dort einen Chirurgen für die chirurgischen Fälle gibt, einen Internisten für die Patienten mit inneren Erkrankungen und so weiter." Und natürlich geschultes Pflegepersonal.

Das Problem: So etwa kostet Geld. Diesen Einwand lässt Diefenbacher nur begrenzt gelten. Seine geriatrische Station etwa wurde durch Umverteilung finanziert, Betten der klassischen Stationen wurden in geriatrische umgewidmet. Außerdem könne sich eine bessere Versorgung Demenzkranker auch dadurch rechnen, dass sich ihre Aufenthaltsdauer im Krankenhaus verkürzt.

Minusgeschäft

Doch solange Demenzkranke als Minusgeschäft wahrgenommen werden und an das System Krankenhaus angepasst werden statt umgekehrt, so lange bleibt das Krankenhaus der Gegenwart eine Zumutung. Für die Patienten selbst, aber auch für Angehörige wie Irmtraud Schmidt oder Pfleger wie Thomas Wichterei.

Er sagt: "Demenzkranke nehmen einem den Spaß am Beruf, weil man Sachen machen muss, die schaden, obwohl man helfen will." Sie sagt: "Das war so schlimm mitanzusehen, nie wieder würde ich meinen Mann in ein Krankenhaus bringen." Was sie bei einem Notfall machen würde? Sie schweigt, überlegt, dann sagt sie: "Ich weiß es nicht."

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6 Kommentare

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  • M
    MaleNurse

    Danke für den Artikel!

    Ich bin nun seit 28 Jahren im "Geschäft" und das Problem liegt an einer simplen Begriffsänderung:

    Aus Patient wurde Kunde!

     

    Und auf einmal muss dem Kunden etwas verkauft werden (Pflegeleistung), die, wie schon im anderen Kommentar beschrieben, aber immateriell ist.

    Damit die Ware "Pflegeleistung" aber auch attraktiv ist, muss sie günstig sein.

    Heisst: wenig Zeit, billige Entlohnung der Pflegekräfte.

     

    Solange weiter mit dem kranken "Kunden", Zeitvorgaben für Pflege, Fallpauschalen und Bettenauslastung hantiert wird, ändert sich gar nichts.

     

    Leider ist die Kollegenschaft nicht bereit, dem System malin die Suppe zu spucken, weil die meisten ausgebrannt sind.

  • AS
    Ab Sehbar

    Der Fisch stinkt immer vom Kopf her, aber auch von den Flossen. Politisch weil auf höchster Ebene keiner die Krankenhäuser in eine bessere Lage versetzt. Stattdessen soll im Krankenhauswesen noch mehr gespart werden, auf Kosten von Patienten und nichtärztlichem Personal. Allein die Ärzteschaft kann noch einigermaßen das System melken.Der Rest geht unter. Abhilfe ist nicht in Sicht....der Bürger schweigt, die Gewerkschaften sind schwach, die Angestellten in ihrem Altruismus gefangen. Wir schlittern nicht in die Katastrophe, wir stecken schon drin. Unsichtbar, weil unsichtbar gelitten wird. Es wird aber noch schlimmer konnten. Stoff für viele solcher wichtiger Artikel, für den ich mich hier bedanken möchte.

  • HF
    hendrik flöting

    In den Bereichen, die ich mal mit Gesundheitspflege und Erziehung umschreibe, da gehört wohl auch die Kunst dazu, ist es für mich völlig illusorisch human und gleichzeitig wirtschaftlich denken und handeln zu wollen. Geschäfte lassen sich nur mit Pillen und Geräten machen, nicht mit Pflege, denn letztere ist immateriell, somit lediglich fiktiv oder moralisch zu bewerten, es besteht keine materielle Wertschöpfung für betriebswirtschaftliche Rechenvorgänge, lediglich ein "Sparbudget" der Krankenkassen, aufgepäppelt mit Zusatzleistungen. Und so entsteht das was wir "Gesundheitssystem" nennen und uns davor fürchten.

  • B
    bt.hartje

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    Schwerpunktstationen für hochbetagte und demente Patientinnen und Patienten wären dringend erforderlich. Heute muß der einweisende Hausarzt wissen, welche Spezialabteilung für seinen Patienten erforderlich ist, grade bei Demenzkranken ist das aber oft unklar. Weist er ihn auf die Innere Abteilung ein, wird er unter Umständen nach drei Tagen entlassen mit dem Rat, ihn doch bitte ambulant beim Urologen oder Nervenarzt vorzustellen oder irgendwelche speziellen Diagnostiken zu veranlassen. Dazu ist der Patient aber gar nicht in der Lage, niedergelassene Fachärzte kümmern sich auch am liebsten überhaupt nicht um bettlägerige oder demente Patienten.Hier müssten die Krankenhausstrukturen für ambulante Patienten geöffnet werden, wir brauchen Clearing-Sationen, in denen die Diagnostik läuft und wo dann im Gespräch mit Angehörigen - sofern vorhanden und interessiert - und den Hausärzten ein Behandlunspfad zum Wohle der Patienten festgelegt wird! Dies wünsche ich mir als Hausärztin schon seit 20 Jahren vergeblich!

  • HH
    Hans Hütt

    Es gibt allerdings auch gegenteilige Beispiele: bei dementen Patienten, die privat versichert sind.

     

    Mit einigem Aufwand habe ich vor mehreren Monaten die Versuche eines Stationsarztes an einer Uniklinik im tiefen Westen beendet, überflüssige und zum Teil auch mit besonderen Belastungen verbundene Untersuchungen durchzuführen. Die Gesamtrechnung für den 6-tägigen Aufenthalt belegte kein Minusgeschäft, um es zurückhaltend auszudrücken.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Der kranke Mensch im Krankenhaus sollte und muss im Vordergrund stehen

    Niemand ist davor gefeilt nicht auch eines Tages an Demenz zu erkranken.Deshalb sollte auch diesen Menschen die menschliche Würde beibehalten werden.

    Im Krankenhaus steht der kranke Mensch im Vordergrund,ob an Demenz erkrankt oder nicht.Kostenfaktoren sollten außer acht gelassen werden,denn diese führen nur dahinn von einer Kosten-Nutzen Mentalität aus zu gehen.