Pflege-TÜV: Schulnoten verärgern Pflegeheime
Schleswig-Holsteins Pflege ist unterdurchschnittlich, sagt der Medizinische Dienst der Krankenkassen. Die Bewertungen für einzelne Einrichtungen sind nun im Internet einsehbar - unter Protest der Betreiber.
Seit Montag können die Noten für Pflegeeinrichtungen in Hamburg und Schleswig-Holstein im Internet eingesehen werden - unter lautstarkem Protest der Betreiber. Der Medizinische Dienst der Kranken- und Pflegekassen (MDK) hatte in den vergangenen Monaten 49 ambulante und 209 stationäre Einrichtungen geprüft. Ein Großteil der Ergebnisse wurde nun auf der Seite www.pflegelotse.de veröffentlicht.
Die Häuser in Schleswig-Holstein schnitten dabei besonders schlecht ab. Mit einer Durchschnittsnote von 3,1 liegt das Land weit unter dem Bundesdurchschnitt von 2,2. Vor allem in den Bereichen Demenz und soziale Betreuung bewerteten die Prüfer die Einrichtungen mit "Mangelhaft". "Alle Beteiligten sollten dieses Ergebnis ernst nehmen und nicht gleich das gesamte Transparenzverfahren infrage stellen", sagte Dietmar Katzer, Leiter der schleswig-holsteinischen Landesvertretung der Ersatzkassen. Katzer zufolge solle die systematische Bewertung den Pflegebedürftigen und Angehörigen bei der Suche nach einer Einrichtung helfen.
Die Pflegeverbände reagieren gereizt auf den so genannten Pflege-TÜV. "Die Nutzer unserer Einrichtungen sind hochzufrieden mit unseren Angeboten", sagte Pastorin Anke Schimmer, Sprecherin des Dachverbands "Forums Pflege Gesellschaft", dem unter anderem die Arbeiterwohlfahrt, der Paritätische Wohlfahrtsverband und das Deutsche Rote Kreuz angehören - sie alle betreiben Pflegeheime. Die vom MDK vergebenen Noten würden "lediglich die Aktenlage" wiedergeben, nicht aber die Lebensqualität der Menschen, sagt Schimmer. Als Beweis für die gute Qualität der Pflege führt sie die von den Bewohnern vergebenen Noten ein, die in die Bewertung des Pflege-TÜVs eingeflossen sind.
Mit der Pflege-Reform wurde im Jahr 2008 beschlossen, die bundesweit rund 11.000 stationären Heime nach und nach auf ihre Qualität zu prüfen.
Der Medizinische Dienst der Kranken- und Pflegekassen vergibt dabei Noten von 1 bis 5.
Die Prüfungen erfolgen unangemeldet.
Vier Bereiche werden bewertet: Pflege und medizinische Versorgung, Pflege im Bereich Demenz, Soziale Betreuung sowie Wohnen, Verpflegung und Hygiene.
Rund 100 der 650 stationären Pflegeeinrichtungen in Schleswig-Holstein stehen auf der Seite des so genannten Pflege-TÜV: www.pflegelotse.de.
MDK-Sprecherin Christiane Grote bestätigt, dass die Noten der Heimbewohner nur selten schlechter als "sehr gut" seien, doch sie bezweifelt deren Aussagekraft. Zum einen würden sich die Befragten mit dem Pflegepersonal identifizieren. Andererseits seien sie als Pflegebedürftige in einer abhängigen Position und könnten daher nicht objektiv urteilen.
Die Bewohner einer Pflegeeinrichtung der Arbeiterwohlfahrt in Elmshorn gaben ihrer Anlage beispielsweise die Note 1,2. Die Prüfer des Medizinischen Dienstes kamen jedoch zu einem ganz anderen Ergebnis: 3,2 lautete ihr Urteil. Beanstandet wurden vor allem der Umgang mit demenzkranken Bewohnern sowie die Leistungen in den Kategorien "Soziale Betreuung" und "Alltagsgestaltung". So kritisierte der MDK unter anderem, dass die Elmshorner Einrichtung keine bedarfsgerechten Speisen für Demente anbiete sowie ihren Bewohnern nicht ausreichend bei der Eingewöhnungsphase im Haus helfe.
Neben dem Prüfungsbericht darf jede Einrichtung einen Kommentar zu dem Ergebnis abgeben. Die Betreiber des betreffenden Heims in Elmshorn beschreiben dabei ihre Zweifel an dem Bewertungssystem des MDK. "Können Schulnoten den Stand der Qualität unserer Pflegeeinrichtungen widerspiegeln?", fragt die Arbeiterwohlfahrt. Demnach ließen sich die meisten der vom Medizinischen Dienst gestellten Fragen "nicht mit Ja (Note 1) oder Nein (Note 5) beantworten".
Bislang erscheinen allerdings nicht alle benoteten Heime im Internet. So wehren sich einem NDR-Bericht zufolge etwa 20 Einrichtungen aus Schleswig-Holstein mit rechtlichen Mitteln gegen die Veröffentlichung. Einige hätten Aufschub bekommen, um fehlende Unterlagen nachzureichen. Andere gingen juristisch gegen die Bewertungskriterien vor.
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