Pflanzenexporte aus Kenia: Streit durch die Blume
Die meisten Pflanzen auf deutschen Balkonen werden in Afrika gezüchtet. Züchter und Menschenrechtler laufen Sturm gegen europäische Boykotterwägungen.
Beim Pflücken sind die Frauen schnell, aber behutsam. Gebückt gehen sie die Geranienbeete entlang und plaudern, während sie die obersten grünen Blätter abzupfen und in Plastiktüten stecken. "Die werden morgen nach Holland geflogen, dort werden sie in Erde gesetzt und zu Geranien gezüchtet, für Gärten oder Balkonkästen", sagt der niederländische Züchter Sjaak Nannes.
Sein Betrieb "Terrasol" liegt in Kenia, in Limuru 30 Kilometer östlich der Hauptstadt Nairobi. "Für uns sind die europäischen Wintermonate die wichtigste Zeit des Jahres, weil die Stecklinge in ein paar Monaten neue Pflanzen sein müssen. Im Frühling machen Menschen meistens ihre Gärten und Balkonkasten fertig für den Sommer."
Sobald die Plastiktüten voll sind, kommt ein Arbeiter auf einem Moped, um die Stecklinge zum Packraum zu bringen. Dort werden sie in Dosen verpackt, zusammen mit Plastiktüten voller Eis, damit das zarte Grün auf der langen Reise nach Holland frisch bleibt. Schwer ist die Fracht nicht: 1.000 Geraniumstecklinge wiegen 1 Kilo, bei Fuchsienstecklingen sind es 2.000.
Kenia gehört zu den wichtigsten Lieferanten von Blumen, Pflanzen und Stecklingen für Europa. 40 Prozent der Zuchtblumen weltweit kommen aus Kenia, in Deutschland beträgt Kenias Marktanteil 65 Prozent. Aus den Niederlanden wird die Ware über ganz Europa verkauft.
Anfang der 80er-Jahre begannen die niederländischen Blumenzüchter aus dem eigenen Land Richtung Süden zu ziehen, um Heiz- und Gehaltskosten in den eigenen Treibhäusern zu sparen. Erst ließen sich die Züchter in Spanien, Portugal und Israel nieder, später in Afrika, wo es noch billiger ist.
Kenia war das erste Land in Ostafrika, in dem sich die Blumenzucht erfolgreich entwickelte. In den letzten Jahren breitete sich die Zucht nach Tansania, Uganda, Ruanda und Äthiopien aus. Nichts schien diesen schnell wachsenden wirtschaftlichen Sektor stoppen zu können. Bis zu diesem Jahr: Da beschlossen einige britische Supermarktketten, weniger Blumen und Pflanzen aus Afrika zu importieren. Denn die Einfuhr per Flugzeug trägt zum Treibhauseffekt bei. Aus Imagegründen wollen Ladenketten wie Marks&Spencers und Tesco ihre Produkte als umweltfreundlich deklarieren. Dazu gehören nicht die Blumen aus Kenia, die mit Flugzeugen mit hohem CO2-Ausstoß transportiert werden. Großbritanniens wichtigste Biozertifizierungsorganisation Soil Association empfahl, keine eingeflogenen Waren wie Blumen aus Kenia zu kaufen.
"Großer Quatsch", meint der Niederländer Sjaak Nannes in Kenia. "Für die Zucht von Blumen, Pflanzen und Stecklingen in Afrika ist kein extra Licht und keine zusätzliche Heizung nötig, anders als in Europa. Das bedeutet also gerade weniger Beitrag zum Treibhauseffekt, nicht mehr. Blumen aus Afrika sind umweltfreundlicher."
Laut Recherchen vom Internationalen Institut für Umwelt und Entwicklung (IIED) produziert der Transport von 20.000 Rosensträuchern zur Versteigerung im niederländischen Aalsmeer 6.000 Kilo CO2. In Treibhäusern in Holland erfordert die Züchtung derselben Menge Rosen 35.000 Kilo CO2.
"Wir sind eben nicht die schlimmsten Verschmutzer", sagt Erastus Mureithi, Vorsitzender des kenianischen Blumenrats, dem die meisten Pflanzenzüchter angehören. Louisa Kabiru von der kenianischen Menschenrechtenorganisation (KHRC) sagt: "Nicht nur sind in Kenia gezüchtete Blumen umweltfreundlicher, sondern es hat auch keiner an die Arbeitsplätze gedacht. Arbeitsplätze sind rar in Entwicklungsländern, und jeder Job ist wichtig."
Es geht nicht nur um Blumen und Pflanzen, die in Kenia 500.000 Menschen beschäftigen, sondern auch um Lebensmittel wie Bohnen, die weitere 1,5 Millionen Arbeitsplätze stellen - sehr viel in einem Land mit 30 Millionen Einwohnern.
Die Menschenrechtler von KHRC wollen lieber die Arbeitsbedingungen im Pflanzenzuchtsektor verbessern und mögliche Umweltschäden vor Ort verringern. KHRC gelang es in den letzten Jahren, den Blumenrat zu einem Zertifizierungsprogramm zu bewegen: Wer Mindeststandards beim Umweltschutz und bei den Arbeitsbedingungen erfüllt, erhält goldene, silberne und bronzene Zertifikate.
"Jetzt bekommen Arbeitnehmer immerhin den Mindestlohn, obwohl ich 69 Euro im Monat zu wenig finde", meint Louisa Kabiru. "Aber es ist besser als früher. Viele Züchtereien gehen jetzt auch vorsichtiger mit Pestiziden um, haben Schulen gebaut und bieten ihren Arbeitsnehmern kostenlose ärztliche Hilfe an."
Nun fürchtet Louisa Kabiru, dass der Ökoboykott aus Großbritannien den Sektor zurückwirft. "Warum richten die Konzerne sich ausgerechnet gegen Blumen und Pflanzen, nachdem sich die Situation im Sektor gerade verbessert hat? Kenia exportiert auch Kaffee, Tee und Fisch, davon ist keine Rede. Und was ist mit den Touristen, die mit Flugzeugen hierherkommen?"
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