piwik no script img

Peter Weissenburger Der WochenendkrimiVersuchsanordnung über das Mörder-Gen, sogar mit Kontrollgruppe

Die Frage, wie das Böse in den Menschen hineinkommt, das ist die Grundfrage jedes Krimis. Man könnte sogar behaupten, dass es die Frage ist, die den Krimi als Gattung überhaupt erst zur Welt gebracht hat.

Damit hätte man sich literaturhistorisch wahrscheinlich so weit aus dem Fenster gelehnt, dass sie unten auf dem Gehsteig schon mal die Kreide auspacken würden. Deswegen lassen wir es mal als steile These markiert. Sicher ist aber: Ein Krimi wird immer auch daran gemessen, welche Erkenntnis er zu der einen Frage bereithält: Wie wird ein Mensch zum Täter?

Für den „Polizeiruf“ diese Woche haben sich die Autorinnen Catharina Junk und Elke Schuch die Frage einfach mal explizit gestellt. „Böse geboren“ ist der Titel des Films. Der stellt folgende Formel auf: Milan (Eloi Christ) ist das Kind eines Serienmörders und einer Frau, die dieser vergewaltigt hat. Die Mutter (Jördis Triebel) hat ihren Sohn zu seinem Schutz isoliert am Waldrand aufgezogen.

Nun zeigt der junge Mann eine ganze Reihe eigenartiger Verhaltensweisen: Er ist wortkarg, streift dauernd durch den Wald. Als eine Frau genau da erschossen wird, ist es an der Zeit, die Frage zu klären, die auf der Hand liegt: Hat man es bei Milan mit einer erblich bedingten Täterschaft zu tun? Davon scheint zumindest Mutti überzeugt zu sein.

Kann man Vergewaltigung auch ohne überflüssig ausgewalzte Gewaltszenen an Frauen erzählen? Ja!

Unterdessen in Rostock kommt Kommissarin König (Anneke Kim Sarnau) nicht umhin sich zu fragen, warum Kollegin Böwe (Lina Beckmann) so ein Geheimnis um ihre eigene Familie macht. Böwes Tochter ist aufgetaucht und befürchtet ebenfalls eine genetische Gewaltneigung bei ihrer Rostocker Sippe. Damit baut sich die Kontrollgruppe zur Versuchsanordnung A auf.

Herauszustellen ist das Folgende: Obwohl in dieser Geschichte Vergewaltigung in mehreren Fällen eine zentrale Rolle spielt, wird nie eine gezeigt. Gewalt an Frauen bleibt in symbolischen Andeutungen ständig präsent, die betroffenen Figuren hingegen sind weniger über ihre Rolle als Opfer definiert als über die Frage, wie sie mit dem Erlebten umgehen.

Das ist wichtig, weil es im deutschen Krimi ein Problem überflüssig ausgewalzter Gewaltszenen an Frauen gibt. Die Entscheidung, so zu drehen, wird gerne damit begründet, man könne den Schrecken der Taten anders nicht zeigen. Ja, man kann. Und hier ist es gelungen (Regie: Alexander Dierbach, Bild: Ian Blumers).

Was von den Stärken des Films ablenkt, ist, dass es ein Problem mit der Versuchsanordnung gibt. Denn wenn ich eingangs behaupte, die Frage, ob Milan ein genetischer Mörder sein könnte, liege „auf der Hand“, dann haben Sie das gewiss sofort als Blödsinn erkannt. Wer fragt sich so etwas allen Ernstes? Dass mehrere Figuren im Film das tun, wirkt herbeigeschrieben. Dass König und Böwe dem dann noch staatstragend widersprechen, unnötig pädagogisch.

Im Krimi geht es darum, dass selbstverständlich niemand – beziehungsweise jeder Mensch – das Mörder-Gen hat. Wir Krimi­freun­d*in­nen, das behaupte ich mal (packen Sie gerne die Kreide aus), kommen doch nicht für die Aussicht einer ergebnisoffenen Natur-versus-Gesellschaft-Debatte! Wir wissen längst, dass es die Gesellschaft gewesen ist, die den Täter gemacht hat. Wir wollen rauskriegen, wie. Zu dieser Frage hält der Film keine Erkenntnis bereit. Und hat damit knapp das Thema verfehlt.

Rostock-„Polizeiruf“: „Böse geboren“, So., 20.15 Uhr, ARD

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen