: Peter K. - ein Scheißleben im Knast
■ Der Schwachhauser Bankräuber brauchte eben mal Stoff / Eine Drogen-Biografie vor Gericht
„Das war ein Scheißleben! Wenn ich mit zwanzig gewußt hätte, was auf mich zukommt, hätte ich mir einen Revolver besorgt und mir eine Kugel in den Kopf gejagt!“ Der heute 44jährige Peter K. hat im Laufe seines Lebens häufiger einen Revolver in der Hand gehabt, aber nicht mit Suizidabsicht, sondern um damit an Geld für Drogen zu kommen.
Jetzt sitzt der gebürtige Kieler wegen eines bewaffneten Banküberfalles auf der Anklagebank des Bremer Landgerichtes. Klein und mager sitzt er leicht zusammengesunken da; ein Bein über das andere geschlagen. Er trägt ein dunkles Jackett mit dunklem Hemd und da zu eine helle Hose. Die Haare sind artig zu einem Zopf gebunden. Er wirkt ganz ruhig und antwortet konzentriert und wortgewandt auf die Fragen des Vorsitzenden Richters Kurt Kratsch. „Wissen Sie, wie lange Sie in den letzten 25 Jahren in Freiheit waren?“ Peter K. weiß es nicht so genau, er schätzt, daß es „nicht ganz zwei Jahre“ waren. Richter Kratsch korrigiert: „Etwas über zwei Jahre!“
Mit 19 Jahren kam der Angeklagte das erste Mal in Arrest: Als ihm der Wehrdienst gestunken hat, ist er einfach nicht mehr hingegangen. Dann begann er, Drogen zu nehmen. „Aklohol haben sie alle beim Bund getrunken. Das war nichts für mich. Ich wollte etwas Besseres!“ Also rauchte er zunächst Marihuana und stieg dann bald auf Opiate um. Unser heutiges Haschisch- und Heroin war damals noch nicht auf dem deutschen Markt erhältlich. Peter K. landete dann bald wegen Marihuanarauchens im Jugendarrest und anschließend ging es in den Zwangsentzug. In den folgenden 25 Jahren sollten das Gefängnis und verschiedene Therapieeinrichtungen seine Hauptaufenthaltsorte werden.
„Es ist so wie es ist. Ich liebe den Rausch!“
Die Versorgung mit Drogen, Kokain, Heroino der Schmerzmitteln war dort nie ein Problem. „Im Knast gibt es alles. Es herrscht nur eine andere Währung. Tabak halt oder Kaffee.“ Seinen Körper hat er nie hergegeben für Drogen. „Wenn gar nichts mehr geht, gehe ich eben zum ärztlichen Dienst im Knast und lasse mir Beruhigungsmittel geben. Das ist kein Problem!“
„Man denkt immer, man ist frei. Dabei ist man so unfrei, wie kein anderer Mensch! Man ist ja von Gift abhängig!“ Über das Eingesperrtsein beklagt sich Peter K. nicht. „Ich bin ja nicht zufrieden mit mir, eigentlich. Naja, was soll ich machen? Es ist so wie es ist. Ich bin eben süchtig! Ich liebe den Rausch!“
Eine der längsten Drogenkarrieren, die Richter Kratsch kennt. Nicht nur Peter K. hat ein Drogenproblem: Sein Vater hatte ein Alkohol„problem“; seine Mutter hatte „Probleme“ mit Tabletten. Beide leben nicht mehr. Zwei Brüder hatte der Angeklagte. Einer davon hat ein Drogen„problem“; der andere starb an Drogen. Peter K. sagt über seine Kindheit: „Die war normal.“ Einzig seine noch lebende Stiefmutter „kommt wohl ganz gut klar ohne Drogen“.
Peter K. hat schon vieles versucht, um sein „Problem“ loszuwerden. Bevor er Ende Januar die Sparkasse an der Schwachhauser Heerstraße überfallen und dabei über 10.000 Mark erbeutet hatte, brachte er ein Jahr in Brauel bei Zeven in der Zwangstherapie zu. Hier ging es ihm gut. „Geheilt“ wurde er nicht. Überhaupt kennt er niemanden, der dort geheilt wurde. „Das seltsame in der Therapie ist ja, daß die dort alle ganz nett sind. Obwohl das alles Junkies sind. Plötzlich stellst Du fest, das sind auch ganz normale Menschen!“ wundert sich der Angeklagte und stellt fest: „Brauel ist Heile Welt und Du denkst, das ist ja toll; das mach ich jetzt immer so. Aber sobald ich draußen war... sofort ist alles weg gebrochen.“
„Ich wollte mir zu Weihnachten etwas gönnnen“
Ende'94 wurde er aus der Klinik entlassen. „Ich glaube, da ich jetzt ohne Drogen leben kann“, steht in einem Brief an das Gericht von damals. Auf dem Richtertisch liegt eine Akte, in der sich zentimeterdick solche Briefe des Angeklagten befinden. „Warum haben Sie denn so etwas geschrieben, wenn Sie drei Wochen später bereits wieder Kokain genommen haben?“ will der Richter wissen. „Ach wissen Sie; ich wollte mir halt zu Weihnachten etwas gönnen. Ich dacht nicht, daß das so schnell geht; aber nach einer Woche steckte ich wieder tief in der Sucht drin“, gesteht Peter K. „Jedesmal, wenn ich geschrieben habe, da ich jetzt clean bin, war ich das auch. Und ich habe auch geglaubt, daß das jetzt so bleibt... Naja, vielleicht habe ich es gehofft.“
Fast teilnahmslos berichtet er, wie es zu dem Banküberfall kam: Er hatte sich ein Auto geliehen und in Bremen bei einem Bekannten gewohnt – nicht zuletzt wegen der guten Marktsituation auf dem Drogenmarkt. Als Peter K. dann Ende Januar durch Schwachhausen fuhr und bemerkte, daß er bald auf Turkey sein würde, hielt er vor der Sparkasse, „die sich dort zufällig befand“. Nachdem er noch einen Joint geraucht hatte, ging er – ohne sich zu maskieren – mit einer Spielzeugpistole bewaffnet in die Bank und sagte dort, „was man halt so sagt bei einem Banküberfall!“. „Aber Sie haben doch auf dem Foto in der Bank anders ausgesehen“, insistiert Richter Kratsch. „Ach ja, der Bart war ab. Den mußte ich abnehmen, weil ich mir den verbrannt hatte.“ Mit 10.000 Mark in einer Plastiktüte verließ der Bankräuber die Sparkasse, stellte das Auto in einem Parkhaus ab, warf die Pistole weg und mietete unter seinem Namen ein anderes Auto. Wie Peter K. die paar Tage bis zu seiner Festnahme in Hamburg, St.Georg verbrachte, kann oder will er nicht sagen. Eine Waffe – diesmal eine echte – hatte er sich besorgt. „Weil in St.Georg viele dunkle Gestalten herumlaufen. Das ist echt ein gefährliches Pflaster!“ sagt er über den Hamburger Stadtteil, der dem Steintorviertel ähnlich sei. Richter Kratsch: „Ich brauchte dort noch nie eine Waffe!“
Im Gefängnis zum Glück wieder zugenommen
Das Mietauto hatte Peter K. bezahlt. Den Rest hatte er wohl in Drogen umgesetzt. Jedenfalls trafen ihn die Hamburger Polizisten in einem solchen Zustand an, daß er sein Vernehmungsprotokoll nicht unterschreiben konnte und sofort auf die Akutstation zum Entzug gebracht wurde. Auch wog er nur noch 50 Kilo. „Ich bin froh, daß ich im Gefängnis wieder zehn Kilo zugenommen habe!“ Der Gutachter vor dem Bremer Landgericht, Dr. Titgemeyer, attestierte Peter K. Drogenkrankheit und infolgedessen „verminderte Schuldfähigkeit“. Daraufhin verurteilte das Gericht ihn zu vier Jahren Freiheitsentzug. Der Staatsanwalt hatte sieben Jahre gefordert. Eine psychiatrische oder eine erneute Entziehungsunterbringung hielt weder das Gericht noch der Gutachter für sinnvoll.
So wird Peter K., wenn er diese und die noch offenen Strafen abgesessen hat, fast 50 Jahre alt sein, wenn er in Freiheit kommt. Sofern er so alt wird. Denn seit kurzem ist er HIV-positiv und eine Hepatitis C – eine besonders schlimme Form der Gelbsucht – hat er auch.
Alice Bachmann
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