Peter-Jackson-Film "In meinem Himmel": Erlösung im Jenseits
Peter Jacksons Verfilmung von "In meinem Himmel" begleitet eine Teenagerin auf der Suche nach ihrem Mörder. Aus dem Jenseits heraus hilft sie ihrer Familie bei der Überführung.
Immer wenn das Kino ganz weit hinaufschauen will, ins spirituelle Große-Ganze, hinauf zu dem Punkt in der Unendlichkeit, an dem sich die Parallele des Wissens mit der des Staunens kreuzt, dann greift es in seine giftigsten Töpfe und malt das, was es für das Jenseits hält, in quietschenden Farben aus.
So was kann gut gehen, zum Beispiel, wenn es sich dabei am Alltäglichen, das die Menschen klein und grau aussehen lässt, reibt. Oder wenn der Trip durch den UV-Filter einer großen Ernüchterung muss. In Peter Jacksons neuem Film "In meinem Himmel" schützt uns jedoch nichts vor dem psychedelischen Gestaltungswillen eines digital enthemmten Regisseurs.
Und anders als noch in "Heavenly Creatures", in dem die Heldinnen zwischen Rittern und Riesenschmetterlingen in ihrem Fantasiereich Borovnia in ihrer Romanze aufgehen konnten, bevor sie Eindringlinge erschlugen, interessiert Jackson diesmal bloß die Farbpalette der Entrückung. Ihm geht es allein um das Göttlich-Monströse einer Unschuld, die in der eigenen Schöpfungsmonade auf die Metamorphosen des Jenseits wartet.
Deswegen flackert der Himmel vor lauter Blau. In unserer Welt sind Rohrreiniger von dieser Farbe. Die Wiesen hier liegen leuchtend grün und wie gekämmt aus bis zum See, über den ein Schwanenboot sanft seine Kreise zwischen halb versunkenen Zuckerstangen und Riesenlollis zieht. Das Zwischenreich, in dem die 14-jährige Susie seit ihrer Ermordung gelandet ist, liegt irgendwo im Transitbereich zwischen Tod und Erlösung.
Es ächzt förmlich vor verzauberten Lieblichkeiten aus ihrem Jungmädchenzimmer. In Susies Märchen hat der böse Wolf schon zugeschlagen. Es war der kauzige Nachbar (Stanley Tucci), der das Mädchen auf dem Heimweg abgefangen hat, um ihr ein Geheimnis zu zeigen. Es liegt eine Leiter tief unter der Erde des Maisfeldes. Eine mit buntem Mädchenkram, Papier und Kerzen dekorierte Erdhöhle, aus der er seine Besucherin nicht mehr gehen lassen wird.
In der Romanvorlage von Alice Sebold, das als surreales Trauerstück nach dem 11. September 2001 die US-amerikanischen Bestsellerlisten stürmte, wird das Mädchen verstümmelt. Im Film wird sie ganz gelassen, damit sie körperlich komplett wie der Pinguin in der Schneekugel auf dem elterlichen Wohnzimmertisch durch ihr eigenes Reich wandeln kann.
Die entfesselten Trugbilder der Pubertät, den virtuosen Weltschmerz, die Hysterie der Verknalltheit und das erste Mal hat Susie nicht mehr erschöpfend kennen gelernt. Aber die Fluchtburgen der Erwachsenen, die die eigenen Kompromisse mit der Sehnsucht und die Vorstadt-Saturiertheit nicht ertragen, kennt sie gut.
Fast jeder in "In meinem Himmel" hat einen selbst gebastelten Kosmos, ob dreckig und verdorben, oder nostalgisch und rein - in dem er sich versenken kann. Für den Vater (Mark Wahlberg) gibt es eine Buddelschiff-Sammlung, für die Mutter (Rachel Weisz), die ein Wollwerk nach dem anderen strickt, die Erinnerungen an die eigene Hippie-Zeit.
Selbst die wundervoll pragmatische Oma (Susan Sarandon) muss ihrer Lebensfreude mit Alkohol und selbst gepanschten Rezepten verlängern, um über die Runden zukommen. Und für den Kinderschänder sind es die minutiös gestalteten Puppenhäuser in Groß und Klein, in denen er die Geschöpfe seiner Träume ansiedeln kann. Doch die Refugien einer depressiven Erwachsenenwelt bilden bei Jackson ein reines Setzkasten-Requisit. Die Tragödien dahinter bleiben unbeachtet.
Allein Susies Mörder muss gefunden werden, damit sie endlich in die Ewigkeit übersiedeln kann. Und wenn Mark Wahlberg wieder einmal mit läppischem Dackelblick zur Privatandacht eines Buddelschiffs schreitet, öffnet der Film seine osmotischen Wirklichkeitsschleusen und lässt die Tote mit den Hinterbliebenen Kontakt aufnehmen.
Es kommt mit viele Geschaue, Gespüre und Gefühle zu einer haarsträubend intuitiven Täterüberführung. Und am Ende ist "In meinem Himmel" eine ziemlich alberne Wahrsagerkugel. Wer hineinschaut, kann sehen, wie Magie entsteht, vor allem aber wie sie zerfällt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf
Bombenattentat in Moskau
Anschlag mit Sprengkraft
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit