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Perspektivenwahl

Djuna Barnes und Natalie Barney als Opfer ihrer BiographInnen  ■ Uta Fleischmann

Hochbetagt verkaufte 1973 die amerikanische Schriftstellerin Djuna Barnes (1892-1982) ihren Nachlaß der McKelvin Library (University of Maryland) und übrgab damit der Öffentlichkeit noch zeitlebens eine Vielzahl von Briefen, die, wie Kyra Stromberg in ihrer Barnes- Biographie (1989) vermerkt, „oft in erstaunlicher Dichte und Kontinuität, [...] durch die ganze Lebenszeit der Autorin führen.“

Somit ist ein Fundus greifbar, an dem BiographInnen der Barnes nicht mehr vorbeikommen, bietet es sich doch an, unveröffentlichtes Archivmaterial als biographische und zeitgeschichtliche Quelle zu nutzen, sie auszuwerten und in die jeweilige Studie zu Leben und Werk der Autorin miteinzubeziehen.

Im Umgang mit Briefen ist zu bedenken, daß sie — ähnlich wie Tagebücher — als Material verstanden werden müssen, in dem sich ausschließlich subjektive Erfahrungen von Ereignissen, gesellschaftlichen Gegebenheiten und Zusammenhängen widerspiegeln, und daß die eigentlichen Beweg- und Hintergründe menschlichen Denkens und Handelns in den Texten meist nicht mitgeschrieben sind. Damit werden dann auch unweigerlich die Grenzen statuiert, die den überlieferten Texten immanent sind.

Jedoch darf diese Vorsicht bei der Beschäftigung mit Nachlaßmaterial nicht so weit gehen, Briefe erst dann als ernstzunehmende Texte zu benutzen, wenn sie „sorgfältig ediert vorliegen“ (so Stromberg) — oder sie gar nahezu unberücksichtigt zu lassen, da sie angeblich keinen „Aufschluß über die diversen ,blinden Stellen‘ in der Biographie der Autorin geben könnten.“

Letzteres trägt Alexandra Busch in ihrem Buch über die Schriftstellerinnen Djuna Barnes und Natalie Barney (1876-1972) vor und rechtfertigt damit, Barnes' Nachlaßdokumente bei der Rekonstruktion von Leben und Werk dieser Autorin weitgehend auszusparen.

Worin mag dieses bedauerliche Versäumnis begründet liegen? Etwa in der Angst vor Überschneidungen mit anderen Publikationen zur „berühmtesten Unbekannten dieses Jahrhunderts“, über die in den letzten sechs Jahren allein drei Buchveröffentlichungen im amerikanischen und deutschsprachigen Raum vorgelegt sind? Dieses Dilemma übergeht man in der Tat nicht sehr elegant, indem man auf unveröffentlichte Nachlaßquellen verzichtet, um statt dessen das Sekundärzitat zur präferieren, wie es der Anmerkungsteil zum Text leider schnell verrät.

Trotzdem hat Alexandra Busch ein ehrenwertes Anliegen: Sie befragt die bereits vorliegenden Werke über Djuna Barnes nach deren Mythenbildung und prüft, wie die „Leerstellen“ in der Barnes'schen Biographie mit Projektionen, Phantasien und Wünschen der jeweiligen BiographInnen gefüllt werden, „an welche Stellen sie [die BiographInnen] massiv in den Gang [...] der Erstellung des ,portrait of an artist‘ eingegriffen“ haben, um dann selbst (Busch) im weiteren „Alternativen zu den bisher vorgelegten Interpretationen und Projektionen“ aufzuzeigen. Etwa moniert Busch bei der Definition des „modernism“ die fatalen Auswirkungen androzentrischer Wahrnehmung, „in der nur allzu oft ,Mann‘ und ,Mensch‘ gleichgesetzt und die ,männliche‘ mit der ,allgemein-menschlichen‘ Erfahrung verwechselt wird.“ Dieser verzerrten Wahrnehmung der Welt folgend, erstaunt es kaum, daß viele Chronisten der „lost generation“ die von den Männern verfaßte Literatur der zwanziger Jahre allein zum Maßstab für „modernism“ erheben, mit der aus solch einseitigem Verständnis allzu rasch gezogenen Schlußfolgerung „,daß Frauen nicht vollständig an der Nachkriegsliteratur teilhaben konnten, weil sie nicht über konkrete Kriegserfahrungen‘ [...] verfügten“. (Shari Benstock). Dieses Ausschlußverfahren, so kritisiert Busch, betrifft auch Djuna Barnes als amerikanische Expatria, als Kulturemigrantin zwischen den Weltkriegen in Paris, so daß Busch als feministische Literaturwissenschaftlerin die aufgezeigte Perspektive als androzentrisch entlarven muß, um sie dann zu korrigieren.

Doch gerade ob ihrer exakten Analyse der patriarchalischen Ideologieproduktion stimmt es unfroh, daß Busch nicht die Chance ergreift, die nachgelassenen Korrespondenzen der Barnes aus nunmehr neuer Perspektive zu interpretieren. Schon allein durch diese „andere“ Wahrnehmung hätte sie ihre Behauptung, die „Leerstellen der Barnes'schen Biographie können im folgenden nicht mit authentischem Material aus neuerschlossenen Quellen gefüllt werden“ selbst sehr bald ad absurdum geführt.

Bei Natalie Barney, der zweiten der „expatriate women“, gelingt es Alexandra Busch auf der ganzen Linie, die Schriftstellerin von den männlich geprägten Etikettierungen zu befreien und aus weiblicher Perspektive ein anderes Bild der „Lady of fashion“ zu entwerfen.

Wer kennt nicht die Legenden um die frauenvernaschende Salonlöwin Barney, die als „Große Verführerin“ zahlreiche Frauen im Paris der zwanziger Jahre verunsicherte und/oder beglückte? Daß ihr Biograph Jean Chalon maßgeblich dieses Bild schuf und Barney auf ihre „Casanova-Allüren“ reduzierte, demonstriert Busch bestens und führt auf das Eigentliche, auf Natalies künstlerisch-philosphischen Überbau, ihren Lebensentwurf zurück, nach dem Liebe zwischen Frauen die Geschlechtsgenossinnen „zu reinen Wesenheiten zu läutern vermag“ — ganz im antiken klassischen Sinne.

„Vor diesem Hintergrund erscheinen Barneys Beziehungen zu anderen Frauen und ihr Versuch, in Paris ein Milieu zwischen Welt und Halbwelt zu etablieren, gerade nicht als von nymphomanem Begehren geleitete Versuche, die weibliche Nachfolge Casanovas oder Don Juans anzutreten. Anders als in den Biographien Barneys erscheinen Sexualität und Erotik so als Elemente eines umfassenden ästhetischen Lebenskonzeptes, das, wenn es ernst genommen worden wäre, als Bedrohung einiger Grundvoraussetzungen der herrschenden Diskurse und sozialen Realitäten hätte verstanden werden müssen. Die Stilisierung Barneys zur kleinen Schwester des großen Casanova hat es statt dessen ermöglicht, die faszinierenden Aspekte ihres Lebens in den Vordergrund zu stellen und ihre literarischen Texte wie ihre theoretischen Überlegungen zu übersehen oder gar zu ignorieren“, heißt es zu Recht bei Busch. Daß man in Biographien und biographischen Versuchen als LeserIn gegen manche Verführung gefeit sein muß, sollte man stets bedenken. Daß Frauen den „Schwestern des Himmels“ folgen müssen (wie es die Dame Musset in Djuna Barnes Ladies Almanach glauben machen wollte), da Schwestern bekanntlich „nicht auf Abwege locken“, bleibt auch für Biographien wünschenswert.

Alexandra Busch: Djuna Barnes und Natalie Barney und das Paris der 20er Jahre. Bielefeld 1990, Verlag Cordula Haux, 229 Seiten, 29,80 DM.

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