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Personifizierter Mieterverein

Gesichter der Großstadt: Hartmann Vetter ist seit 16 Jahren Geschäftsführer des Mietervereins. Zwischen Stadterneuerung und praktischer Arbeit  ■ Von Gereon Asmuth

Der Blick aus dem großen Fenster des Büros in der Wilhelmstraße trifft auf Baugerüste, Baucontainer, Baumaschinen. Hier wird gerade das Hotel Adlon aus dem Boden gestampft, das direkt am Brandenburger Tor zahlungskräftige Gäste zur Übernachtung locken soll. „Es ist faszinierend hier zu sitzen“, überrascht Hartmann Vetter, dessen durchschnittliche Klientel im Monat kaum mehr Miete bezahlt, als die gut betuchten Schläfer des wiederentstehenden Luxushotels für eine Nacht. Seit 16 Jahren ist Vetter Geschäftsführer des Berliner Mietervereins.

„Wir haben diesen Ort vor fünf Jahren bewußt gewählt“, erzählt Vetter. „Die Schnittstelle zwischen Ost und West ist der einzige Ort, an dem wir eine gemeinsame Geschäftsstelle für ganz Berlin haben können.“ Sie habe geholfen, die „harten Zeiten“ nach der Wiedervereinigung zu überwinden.

Auch die spezielle Geschichte dieses Ortes beeindruckt den 51jährigen Mieteranwalt. „Vor 60 Jahren ist hier die SA marschiert. Und heute ist er ein Symbol für die übergeordneten Interessen der Bundesregierung, die wie eine Walze über die Stadt hinwegfährt.“ Vetter fühlt sich sichtlich wohl im Brennpunkt des Geschehens. Schon 1968 zog die Studentenbewegung den damals 23jährigen Jurastudenten aus dem „langweiligen Köln“ nach Berlin. Am Ostermontag war er angekommen und gleich in eine große Demonstration geraten. Vier Tage zuvor war Rudi Dutschke niedergeschossen worden. Das Studium habe er damals ohne konkretes Berufsziel gemacht. Vielmehr reizte ihn das politische Engagement zahlreicher spontan zusammengekommener Gruppen.

Zur Mietenpolitik kam Vetter durch sein Zweitstudium, in dem sich der junge Anwalt zusätzlich als Stadt- und Regionalplaner qualifizierte. In einer Zeit, in der Kahlschlagsanierung noch offizielle Senatspolitik war, erarbeitete Vetter zusammen mit dem damaligen Referatsleiter für Stadterneuerung Modelle für Mietergenossenschaften. „Wir mußten dann aber feststellen, wie schwerfällig die Prüfverfahren für Genossenschaften waren“, erzählt Vetter. Mit seinen Mitbewohnern schloß er sich daher zu einem rechtlich unkomplizierteren Hausverein zusammen. Am Stuttgarter Platz, wo Vetter auch heute noch wohnt, realisierten sie 1979 eine der ersten Selbsthilfesanierungen Berlins.

„Ich bin kein Mensch, der sich hinter Büchern verkriecht“, sagt Vetter über sich selbst. Das Angebot, als Seiteneinsteiger die Geschäftsführung des Mietervereins zu übernehmen, kam ihm daher 1980 sehr zupaß. Im Gegensatz zu den „oberflächlichen Planungsgeschichten“ an der Uni konnte er hier Stadterneuerungspolitik mit praktischer Arbeit verbinden. „Und das, ohne eigene Standpunkte aufgeben zu müssen“, wie er betont. Auch heute noch sieht er sich stets „auf der Seite derer, die es nötig haben“.

Stolz erwähnt Vetter die heute über 100.000 Mitglieder des Mietervereins. 1980 seien es nur 10.000 gewesen. Rückschläge für die Mieter in den 16 Jahren seiner Geschäftsführung will er jedoch nicht bilanzieren. Im Gegenteil sei die Aufhebung der Mietpreisbindung in den achtziger Jahren durch Kampagnen des Mietervereins verzögert worden. Und im Vergleich zu anderen Großstädten wären zumindest in Westberlin die Mietensteigerungen noch relativ gering. „Wenn die Eigentümer über zu niedrige Bestandsmieten klagen, zeigt das unseren Erfolg“, meint Vetter. Zudem sei Mieterschutz nur ein Abwehrrecht. „Das Mieterdasein lebt von der Konfrontation, aber das macht die Sache interessant.“ Sein Ideal ist auch heute noch das genossenschaftliche Wohnen. Hier sieht er sein „privates Hauptkampfgebiet“ und unterstützt ohne Bauchschmerzen Mieter, die ihre Häuser selbst kaufen wollen, auch wenn sie dann die Seite wechseln.

Wirkliche Genugtuung schwingt in Vetters Stimme, wenn er über seine Präsenz in der Presse spricht. Er zählt die Möglichkeit zur Selbstdarstellung zu den Vorteilen seiner Position. Vetter genießt es, als Kompetenz wahrgenommen und akzeptiert zu werden und daß seine Person mit dem Mieterverein identifiziert wird.

So denkt Vetter auch nach 16 Jahren nur selten an neue Aufgaben. Als Parteipolitiker etwa kann er sich überhaupt nicht vorstellen. Nicht nur weil er sich dann einer Partei unterordnen müßte, deren Positionen im Konflikt mit den Mietern stehen könnten. Auch wenn ihm jetzt schon nur wenig Zeit für andere Dinge bleibt, will Vetter „nicht wie ein Berufspolitiker nur für die Arbeit leben“. Lieber widmet er sich seinem Sohn und „dem Versuch befriedigende Beziehungen zu leben“. „Außerdem“, ergänzt Vetter, „welcher andere Job bietet mir soviel Unabhängigkeit, Abwechslung, Herausforderung und Sicherheit?“

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