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Personal-Computer als Pastor

■ Geheim-Test: Das Computerzeitalter ist auch auf der Kanzel angebrochen.

Computer können (fast) alles. Buchhalten, elektronische Einspritzpumpen steuern, Wetten-daß-Sieger küren und Schlagertexte reimen. Sogar Bilder malen, die es locker mit den röhrenden Hirschen aller Wohnzimmerwändewelten und den irdischen Heerscharen glutäugiger Zigeunerinnen aufnehmen können. Nur Gottes Wort verkünden können Computer angeblich noch nicht. Hab‘ ich bisher gedacht. Aber nur bis gestern.

Dann habe ich Pastor P. Alfes in St. Ansgarii gehört und werde seitdem den Verdacht nicht mehr los, daß sich hinter „P. Alfes“ möglicherweise der Tarnname eines renommierten Computerherstellers für den Prototypen eines Predigttext -Generatoren-Softwareprogramms in Testphase verbirgt, das zur Serienreife entwickelt und von der EKD-Synode offiziell empfohlen - demnächst unter dem Handelsnamen „PC Alpha“ in den Pastoren-Zubehörhandel gebracht werden soll.

Eine technische Revolution stürmt die letzte Bastion, die Kanzel, und sorgt für die wirkungsvollste Entlastung der vielbeschäftigten Pastoren seit der Standardisierung der Liturgie. Die Vorbereitung des Gottesdienstes wird zum kurzen, aber reinen Vergnügen. Wenn man bedenkt, daß viele dienstältere Prediger Vaterunser und Glaubensbekenntnis auswendig können, schrumpft die effektive Arbeit auf fünf bis sechs leicht erlernbare Computerbefehle.

Mit dem neuen Predigt-Programm Computer geht alles; so läßt sich nach dem erfolgreichen Palmarum-Probelauf prognostizieren. Vor allem geht alles mit allem: Jedweder Bibeltext läßt sich mit jedweder Deutung - die Bandbreite reicht von unverbrüchlicher Glaubensfestigkeit bis zermürbendem Zweifel, von gott-fröhlichem Optimismus bis weltschmerz-tiefer Zerknirschung - konfigurieren. Das Ganze wird mit einer Prise aus dem Festplatten-Speicher „Menschliches, Allzumenschliches“ versetzt und mit ein paar passenden Sinnbildern zu sündhaftem respektive gottgefälligem Lebenswandel kompiliert. Fertig ist ein höchst haltbarer, vielseitig einsetzbarer Predigttext. Um allzu harte Brüche an den Nahtstellen der einzelnen Textbausteine zu verhindern, hüllt der Computer sie selbsttätig in einen würdevoll nebulösen Wortschleier, wobei Begriffe wie „gleichsam“ - eine der von P. Alfes meist strapazierten Konjunktionen - vorzüglichste Dienste tun.

Gegen Abschluß eines preisgünstigen Wartungsvertrags aktualisiert der Hersteller obendrein ständig den Speicher „Zeitgenössisches“ und klassifiziert technische Katastrophen, lobenswerte Beispiele praktizierter Nächstenliebe, politische Umbrüche, wundersame Naturerscheinungen und glückliche Schicksalsfügungen“, die an beliebigen Stellen einmontiert werden können und jede Predigt garantiert auf den neuesten Stand bringen.

Aufgabe des Pastors bleibt allein die letzte Feinabstimmung auf die eigene Zielgruppe/Gemeinde. Was für diesmal allerdings noch nicht so richtig funktionierte. (Das von Alfes heftig strapazierte Sinnbild vom Leben „als einem einzigen, großem Langstrecken-Wettlauf“ empfiehlt sich ab einem Grad von Gehbehinderung unter den GottesdienstbesucherInnen jenseits der 50 Prozent wohl nur noch in Ausnahmefällen).

Zugegeben, manches klingt noch ein bißchen hülsenhaft. Aber daß ich an Gott glauben und Jesus immerdar vertrauen soll, ist schon ganz schön rübergekommen. Und das ist schließlich doch immer noch das wichtigste.

Klaus Schloesser

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