: Perlen vor die Ohren
■ Herbstakademie: Konzert mit Kompositionen von Isang Yun
Vier ausgezeichnete Instrumentalisten und ein Abend mit kammermusikalischen „Perlen“: Auf diese kurze Formel ließe sich das Konzert mit Kompositionen von Isang Yun in der Oberen Rathaushalle bringen. Im regelmäßigen Wechsel von solistischer und kleinbesetzter Präsentation war ein ausschnittartiger, bündiger Einblick in die Arbeit des Komponisten zwischen 1971 und 1986 möglich.
Mit dem Auftakt der Novelette für Flöte (Richard Waage) und Harfe (Marion Hofmann) entfaltete sich augenblicklich jene für europäische Ohren nach wie vor etwas ungewöhnliche Welt, in der Ton und Klang nicht vom überstrengen Zusammenhangszwang des Materialdenkens geprägt und die Form der Musik nicht so rigide einem „Gesetz“ gehorchend folgt.
Die Linien der Flöte und die Tupfer oder Flächen des Saiteninstruments changierten in ihrem Miteinander — trotz aller technischen Schwierigkeiten — in leichter Bewegung, die wohl wichtige Anregungen der Malerei verdankt. Im Verlauf des Werkes vermeinte man stellenweise geradezu „hörend zu sehen“.
Die quasi synästhetische Qualität Yunscher Musik mochte dank der überragenden Interpretation Eduard Brunners (Klarinette) auch in Piri plastisch herauszutreten.
Die langgezogenen Einzeltöne entfalteten sehr langsam zunehmend ihr Klangvolumen aus einem unhörbaren Bereich kommend, deren Eintritt weniger als hörbarer Ton wahrzunehmen ist denn als ein kaum im Raum zu lokalisierendes „Fühlen“ einer Entwicklung, bis sie sich beinahe schmerzhaft in die Gehörgänge bohren, um nach einem girlandenhaften Auf und Nieder wieder in Stille zu versinken.
Neben Salomo für Flöte solo und einem Duo für Violoncello (Walter Grimmer) und Harfe war mit Recontre die umfangreichste kammermusikalische Besetzung vertreten. Eine Komposition, die trotz der präzisen Abstimmung untereinander kaum bei einmaligem Hören ganz „durchschaut“ werden kann. Den einzelnen Instrumenten schien ein erheblich größerer Freiheitsraum zugewiesen zu sein, als man es von der traditionellen Kammermusik her gewohnt ist.
Abendländisches Expressivo, das Ansteuern genau kalkulierter Höhepunkte, strukturelle Kombinatorik und formale Strenge, wie sie mehr oder weniger für die „deutsche Tradition“ des späten Beethoven bis Schönberg galten, wichen hier dem Reiz einer charakteristischen Ungebundenheit, die gemäß der Yunschen Ästhetik dem Einzelton weite Möglichkeiten einräumt. Ohne disziplinierenden Regelkanon war es, als horche der Ton in sich hinein und folgte einem Weg, der nur seiner „Logik“ entsprach; letztlich meistens zur Überraschung des Hörers.
H. Schmidt
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