: Perfekte grüne Sauerfrau
Wenn Knie nachgeben: Claudia Roth ist nicht – Claudia Roth wäre gern
Das federleicht tragikomische Gedicht „Ritter Sockenburg“ von Joachim Ringelnatz endet mit dem Vers: „Ihr Besitzer lebte fern im Norden / Und war homosexuell geworden.“ Diese Zeilen fielen mir zuletzt ein, als ich Claudia Roth eine Rede halten sah und hörte. Die Vorsitzende der Grünen changierte und chargierte zwischen Grinsen und Rührseligkeit, während sie erklärte, dass sie für den Krieg ist, weil sie gegen den Krieg ist. Genau wie sie sollten es die anderen Kinder auch machen, dann wäre alles gut und die Welt eine bessere. Ihr Auftritt verströmte die Ästhetik einer Butterfahrt mit anschließendem Heizdeckenverkauf, und das parteigrüne Fußvolk machte brav mit, was Frau Roth im Verein mit dem ebenfalls lackiert grienenden Joseph Fischer ihnen abverlangte.
Warum soll man sachlich sein, wenn es auch persönlich geht? Claudia Roth gegenüber müsste man sachlich ja auch erst werden: Alles, worüber sie spricht, macht sie zu einer angeblich ganz persönlichen Angelegenheit, Tränenfluss, brüchiges Timbre und großgestiges Um-die-Welt-besorgt-Sein-Gehampel inklusive. So geht ihr Spiel: Sie äußert sich hochbewegt jaulend, schlammig menschelnd und geistfrei edelkitschend, jede Kritik daran aber versucht sie plump mit dem Hinweis auf angebliche Unsachlichkeit auszuhebeln. Ich habe viel für Naivität im Sinne von Natürlichkeit übrig, aber so naiv, einer gewohnheitsmäßig aufgepeitschten Betroffenheitsnudel auf eine Sachebene zu helfen, bin ich dann doch nicht.
An Claudia Roth stimmt wahrhaft nichts. An dieser Person ist, mit dem von ihr zu Tode zitierten Rio Reiser gesprochen, ganz und gar alles Lüge. Habituell verinnerlicht hat sie das willfährige Hin-und-her-Switchen zwischen öffentlicher und privater Rolle. Die Bayreuther Wagner-Festpiele besuchte sie in so heillos aufgemaschelter Garderobe, dass im Umkreis von 30 Kilometern die Blindenhunde knurrten.
Das fotografische Dokument der Peinlichkeit, auf angebliche Hochkultur zu schielen und dann ohne Stil in der Landschaft zu stehen, bezeichnete Claudia Roth in erwartbarem Kalkül als „Angriff auf sie als Frau“.
In den Achtzigerjahren wäre sie mit der Nummer durchgekommen, heute aber zieht der Ranz nur noch bei den ganz Schlichten. „Ihre Knie“ hätten „richtig nachgegeben“, weinte sie in die Zeitung hinein, um einen Augenblick später zu beklagen, dass sie als „emotionsgeleitet beschrieben“ werde. Geht es noch ausgepichter?
Wenn Claudia Roth im Spiel ist: ja. „Ich habe mich nicht verkauft“, trompetet sie weiter, und ein sympathisierender Tempotuch-Journalismus hebt dieses belanglose, selbstreferenzielle Zeug in den Rang einer Nachricht.
Frau Roth ist zwar Politikerin, redet aber ausschließlich darüber, dass sie sich selbst treu und überhaupt ganz doll sie selbst und so weiter geblieben sei. Wer will das wissen? Die grünen Führerinnen und Führer werfen ihren Kritikern gebetsmühlenhaft vor, sie bloß moralisch zu attackieren – umgekehrt stimmt es. Claudia Roth ist es, die jede Diskussion auf die Ebene vor sich her getragener moralischer Integrität hebt. Schaut her, ruft sie, ich bin noch immer die Ton-Steine-Scherben-Managerin, seht meine Wurzeln, bin ich nicht gut?
Worauf zum Beweise dessen ein unvermeidliches Scherben-Zitat folgt – zuletzt kriegte Matthias Beltz eins ins Grab hinterhergeschrien. Auch mit einer Todesanzeige kann man auf Stimmenabgreife gehen. Dass ich von dieser existenziell durchlogenen Gebrauchtemotionshökerin garantiert kein öliges Grabgebinde nachgeworfen bekommen werde, hat nicht wenig Trost.
Claudia Roth ist nicht – Claudia Roth wäre gern. Das daraus resultierende, tief in den Achtzigerjahren verwurzelte Sich-selbst-und-andere-blenden-Wollen führt zum peinlich stolzen Zur-Schau-Stellen der eigenen entichten Existenz, die sich allein im medialen Spiegelbild noch ihrer selbst versichern kann. In dieser eiernden Lebenshaltung, die streng genommen keine ist, repräsentiert die grüne Sauerfrau ihre Partei perfekt. Doch heiter stimmt uns die Demokratie: Wer genau das will, kann genau das wählen. Dafür will ich dankbar sein und gnädig – allerdings nicht zu Claudia Roth, die Freundlichkeit gar nicht oder nur ganz falsch verstünde. So sehr ich es liebe, Frauen zu bekochen und zu füttern – Claudia Roth gäbe ich nichts, nicht mal ein Menopausenbrot.
WIGLAF DROSTE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen