: Pekuniäres Prickeln
Vom Warenfetischismus zum wahren Fetischismus: Das 3001-Kino zeigt Sakikos geheimer Schatz ■ Von Tobias Nagl
Über den Begriff des MacGuffin ist in der Filmgeschichte viel räsoniert worden, japanischer Herkunft ist er allerdings auch neueren Untersuchungen zufolge ganz sicher nicht. Alfred Hitchcock, der an seiner Erforschung einen großen Anteil hatte, erläuterte ihn Truffaut gegenüber mit Verweis auf die fiktionale Eisenbahnkonversation zweier Männer. Der MacGuffin sei ein „Apparat, um in den Bergen von Adironak Löwen zu fangen“. Als der Mitfahrer entgegnet, dort gebe es doch gar keine Löwen, antwortet Hitchcocks Reisender: „Ach, na dann ist es auch kein MacGuffin.“
Die Botschaft des dicken Briten ist klar: Der MacGuffin ist an und für sich null und nichtig; eben das, auf das sich aller Begehren richtet und dessen Erlangung die Geschichte antreibt. Glaubt man dem slowenischen Psychoanalytiker Slavoij Zizek, sei der MacGuffin dem Lacanschen Objekt klein a verwandt, mit dem der von Mangel gezeichnete Mensch eine imaginäre Ganzheitlichkeit phantasiere, ob als Mikrofilm, Eispickel oder – in den großen Meisterwerken – Formel zur Zerstörung des gesamten Planeten Erde.
Einer der banalsten MacGuffins gibt in Shinobu Yaguchis Sakikos geheimer Schatz Anlaß für eine der bizarrsten und zugleich bezaubernsten Komödien: ein Koffer voller Geld. Sakiko, gespielt vom androgynen japanischen Fotomodell Nishida Naomi, ist besessen. Unter ihrem Aussehen hatte sie schon immer gelitten, erzählt sie aus dem Off zu einer rasant geschnittenen Montage von Kindheitsflashbacks und Familienphotos, nur eins machte sie glücklich: Geld zählen. „Daß man über meine Einstellung entsetzt war, merkte ich, als man mich sitzen ließ“, fährt sie fort. Denn wenn die schnodderige Sakiko zum Essen eingeladen wird, sagt sie: „Vergiß die Einladung, ich will lieber das Geld.“ Weder sonderlich geizig noch konsumversessen, ist ihr das Streben nach Geld reiner Selbstzweck, vollkommenste und reinste Form des Begehrens – und besser als ein Mann allemal.
Weil man aber durch das Zählen des eigenen Geldes nicht an mehr Geld kommt, folgt sie ihren pekuniären Ambitionen mit geradezu hyperaktivem Tatendrang. Um dem obskuren Objekt ihrer Begierde ganz nah zu sein, arbeitet sie in einer Bank. Als sie zusammen mit 500 Millionen Yen eines Tages von Bankräubern gekidnappt wird, wittert sie ihre Chance. Während die Räuber tödlich verunglücken, überlebt sie zusammen mit dem Geldkoffer in unwegsamer Gegend. Auf einem unterirdischen See muß sie sich von der Beute trennen und verliert das Bewußtsein. Gerettet, beginnt sie – mit einem aus Überwachungsphotos zusammengebasteltem Daumenkino – die Ereignisse zu rekonstruieren. Das Geld gilt als verbrannt, der Fall als abgehakt. Sie allein weiß um den geheimen Schatz – und stellt ihr ganzes Leben in Dienst, ihn zu bergen.
Das ist allerdings nicht so einfach. Mit ihrer Familie macht sie eine Expedition in das unwegsame Aokigahara-Gebirge, geht verloren und erschreckt, zombiehaft zurückgekehrt, Autofahrer auf der nächtlichen Bergroute. Nachdem sie bei der Bank gekündigt hat, schreibt sie sich an der Universität für Geologie ein, um die unterirdischen Wasserläufe studieren zu können – und wird zu besten Studentin ihres Professors. Dann beginnt sie mit dem Klettern und Tauchen und gewinnt sämtliche Sportwettbewerbe – nur um ihr Preisgeld in die weitere Suche zu stecken.
Je näher Sakiko ihrem Ziel kommt, desto mehr gerät diese haufenweise mit Slapstick und lakonischen Sight-Gags gespickte tour de force zur Dekonstruktion medialer Klischees und alltäglicher Selbstverständlichkeiten des Karrieredenkens. Am Ende landet der Koffer wieder im Wasser, denn Sakiko hat größere Träume. Regisseur Shinobu Yaguchi spricht von ihnen in einer mit harten Close-Ups und distanzierenden Totalen arbeitenden Filmsprache, in der die Protagonistin bisweilen wie beim jungen Godard direkt in die Kamera spricht – all das unterstreicht natürlich nur den parabelhaften Charakter seiner Komödie, genauso wie Yaguchi an keiner Stelle versucht, sein nicht allzu hohes Budget zu verbergen.
In Sakikos Jagd nach dem monetären MacGuffin läßt sich aber auch noch eine andere Geschichte lesen, die mit den schnöden Scheinen nichts zu tun hat; die vielmehr von weiblicher Autonomie und einem allein auf sich selbst gerichtetem fetischistischen Begehren erzählt, das mit abgeschmackten Hysterieklischees nichts zu schaffen hat und von einem ganz und gar geheimen Schatz berichtet, der weder in der Heterosexualität noch im Sozialen aufgeht. Letzteres nach allen Krisen mit einem freudigen It's a wonderful life wiederherzustellen, macht seit Frank Capra die Komödie aus. Sakikos geheimer Schatz hingegen zeigt daran mit Blick auf das anarchische Potential des Genres reichlich wenig Interesse und gerät so zur herrlichen Hommage an eine Frau, die sich von nichts und niemandem stoppen läßt.
Dieser Film ist also weit mehr als das vom Verleih selten dämlich angekündigte „Sushi- Häppchen für Trash-Fans“.
Do, 22. bis Mi, 28. April, 20.30 Uhr, 3001
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