piwik no script img

Peinlich

■ Das Bundesverfassungsgericht äußerte sich zum dritten Mal zum Wahlgesetz KOMMENTARE

Zum dritten Mal innerhalb von drei Wochen mußte sich die Bundesregierung Dienstag nacht von den Karlsruher Verfassungsrichtern bescheinigen lassen, daß sie den rechtlichen Weg zur Bundestagswahl nicht im Einklang mit dem Grundgesetz bereitet. Ende September hatten die Richter das ganze Wahlgesetz für verfassungswidrig erklärt. Anfang Oktober untersagten sie Bonn, einigen kleinen Parteien tausende von Unterschriften abzuverlangen. Und vorgestern sahen sie sich auch noch gezwungen, dem Bundeswahlleiter Egon Hölder zu erklären, wie er das neue Wahlgesetz rechtmäßig anzuwenden hat. Ein Prinzip, das jedem für die Hundesteuer zuständigen Beamten geläufig ist, hatte dieser wohl vergessen- oder verdrängt: Rechtsnormen sind verfassungskonform auszulegen.

Eine läßliche Panne? Ein kleines Mißverständnis? Ein verzeihlicher Flüchtigkeitsfehler? Nein. Schon ein Blick in Wahl- und Grundgesetz hätte verhindern müssen und verhindern können, daß man den Bürgerrechtsbewegungen etwas abverlangt, was ihr Grundrecht auf Chancengleichheit verletzt und sie von der Teilnahme an der Bundestagswahl faktisch ausschließt. 90 Unterschriften einzelner Landesvorstände innerhalb von 48 Stunden nachzureichen, ist in der DDR schon technisch unmöglich. Außerdem haben etwa die Initiative für Frieden und Menschenrechte und der Unabhängige Frauenverband bekanntermaßen gar keine Landesvorstände. Schließlich ist es so falsch wie zynisch, wenn der Bundeswahlleiter auf das Wahlgesetz verweist, in dem Unterschriften der „Landesleitungsorgane“ verlangt werden: Dieser Begriff stammt aus dem Gesetz der DDR für die Landtagswahlen. Man kann es darum nicht wörtich auf ein Bundestagswahlgesetz übertragen. Daraus ergibt sich eindeutig: Bei der Bundestagswahl muß es genügen, wenn das oberste Gremium auf dem gesamten Gebiet der ehemaligen DDR die Anmeldung abgibt.

Mag sein, daß sich dem Wahlleiter Egon Hölder diese Selbstverständlichkeiten nicht erschlossen haben. Dem damit auch befaßten Bundesinnenministerium sind sie sicher nicht verborgen gewesen. Es hat dennoch einfach noch einmal versucht, den ungeliebten Bürgerrechtsbewegungen den Weg ins Parlament zu verwehren: Wenn schon nicht mit einem daraufhin zurechtgeschneiderten Wahlgesetz, so doch indem man ein für verfassungskonform erklärtes Wahlgesetz verfassungswidrig auslegt und es bei diesem Versuch letztlich der Verfassungsjudikative überläßt, die Politik in diesem Land zu machen. Ferdos Forudastan

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen