Pedro Cabrita Reis: Jede Konstruktion hakt
Der portugiesische Künstler Pedro Cabrita Reis inszeniert in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle Traumräume.
Dieser Mann ist ein verkappter Romantiker. Einer, der nach den Ursprüngen künstlerischer Produktion sucht. Der Traumräume öffnet und sie gleich wieder schließt, als fürchte er, dahinter schal gewordene Postulate der Moderne zu finden.
Der Portugiese Pedro Cabrita Reis, derzeit in der Hamburger Kunsthalle zu sehen, lässt sich nicht schubladisieren. Der 1956 geborene Installationskünstler hat Minimal Art, Konstruktivismus und Arte Povera eingesogen und zitiert sich, so scheint es, quer durch die Klassische Moderne.
Doch seine Kompilationen sind vielschichtiger und speisen sich aus etlichen Quellen: Aus architektonischen Versatzstücken seiner Heimat etwa - hellen Treppen mit pittoresken Vasen, die irgendwo an der Wand lehnen. Anderswo scheint die Rückseite des Idylls auf, wenn er aus gefundenen Brettern und Stahlträgern provisorische Favelas baut. Dann wieder gibt er sich konstruktivistisch und bemalt Plexiglasscheiben großzügig monochrom.
Weder die sozialkritische noch die stilistische Zuschreibung greift. Jede einzelne Konstruktion hakt: Der "Marmor" ist bemaltes Holz, die Fenster sind blind, die Bretterbuden wirken fragil. Nicht einmal die Technik ist, was sie vorgibt: "Ich bin ein Maler", sagt der Künstler, dessen Werk inzwischen großteils aus Installationen besteht. Die begreift er als ins Dreidimensionale übersetzte Zeichnungen. Ob er per Stift oder per Neonröhre zeichnet, ist ihm einerlei: Er zeichnet unbeirrt leuchtende Linien in die Räume, konturiert Wände und seine eigenen Objekte neu, als wolle er sie nachträglich überblenden, umstrukturieren, neue Perspektiven schaffen. Aber so weit kommt es nie: Fenster werden verhängt, Türen lassen sich nicht öffnen.
Cabrita Reis erlaubt keine Flucht, auch gedanklich nicht, sondern hält einen vor Ort fest, um die Reflexion über Bedingungen menschlichen Behaustseins zu erzwingen. Und über den vergeblichen Versuch, irgendwo - auch künstlerisch - beheimatet zu sein. Denn da sind nur autistische, wider Willen zusammengezwungene Versatzstücke: ein Stuhl, ein Tisch, eine Röhre, ein grobes Holzstück, Neonröhren - und immer wieder Kabel, mit denen er feine Linien wie Wasserläufe zeichnet.
Reis bemächtigt sich vorgefundener Räume unverfroren. Das hat er auf der documenta IX getan, als er einen Tunnel vor den Eingang mauerte, das praktizierte er in etlichen Museen, und das hat er in der Hamburger Galerie der Gegenwart getan, einem so mathematisch abgezirkelten wie diktatorischen Ungers-Bau.
Cabrita Reis hat hier eine scheinbar bröckelnde Ziegelmauer hineingestellt - eine Parabel auf die verrinnende, zugleich still stehende Zeit, denn real verändert sich der Status quo der Installation ja nicht. Außerdem hat er eine Rotunde in Louis-XIV-Weinrot eingerichtet und mit gerahmten weißen Stoffbahnen garniert - ein Ensemble, so bourgeois wie sakral. Die Stoffmuster könnte man aus der Nähe erkennen, wäre da nicht das spiegelnde Plexiglas. Ein humorvoller Spot auf die Inhaltsleere bourgeoiser Präsentationen.
Die Unidentifizierbarkeit, das leere Versprechen, Pseudoapparate ohne Sinn und immer wieder die Spiegelung anstelle des Blicks in eine andere Welt: Leitmotive von Cabrita Reis, der seine Verwirrung bezüglich der Deut- und Konstituierbarkeit von Welt ungeniert an den Betrachter weiterreicht.
Reis - das ist einer, der klug Romantik mit Minimalismus mixt, ohne einem von beiden zu verfallen: Ersterer nicht, weil er die urtümlichen Arte-Povera-Materialien mit - seinerseits schon überholtem - Neon kombiniert; Letzterem nicht, weil er keine Serien produziert. Dass die Kombination trotzdem funktioniert, mag an den Brüchen liegen, die jedes Denken in Kategorien unmöglich machen - die Festlegung auf eine stilistische Tradition eingeschlossen.
Sehr feinsinnig weist die Ausstellung so auf das voraus, was die im Oktober 2008 angetretene, im Unfrieden vom Berliner Art Forum geschiedene Sabrina van der Ley plant: Zwar interessiert sie sich für Architektur in einem weit konkreteren Sinn - Projekte wie "Ideal City - Invisible Cities" haben es erwiesen. Und für die Hamburger Kunsthalle plant sie künstlerische Eingriffe in Unorte sowie viel minimalistische und konzeptuelle Kunst. Zum Einstand einen Künstler zu präsentieren, der die Grundsatzfrage nach Bedingungen menschlichen Bauens stellt, funktioniert aber sehr gut. Zudem ist Reis ein Künstler, der sich nicht um Gattungsgrenzen schert, sondern sogar bestreitet, dass sich Malerei und Skulptur essenziell unterscheiden. Ein toleranter, weil osmotischer Ansatz, der die Galerie der Gegenwart nachhaltig beleben könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl