: Pay-Radio? Bild-Radio? Total-Radio?
■ In fünf Jahren soll Radio Bremen computerisiert sein: Ein Gespräch über die digitale Zukunft des Rundfunks
Wissen Sie schon, was Sie mit Ihren neuen Möglichkeiten alles anfangen wollen?
Hermann Vinke: Zunächst einmal gibt es einen Zeitplan, der besagt, in welcher Reihenfolge wir unsere Programme auf Computerbetrieb umstellen. Da kommt als nächstes die Hansawelle dran, und in fünf, sechs Jahren sollten wir dann auch mit den anderen Wellen soweit sein. Das wird aber sehr viel schwieriger, weil sich da z.B. die Frage stellt, wie wir nicht nur die Musik und die aktuellen Wortbeiträge, sondern nach und nach unser ganzes Archiv digitalisieren können.
Und was nützt das?
Hermann Vinke: Nun, es wird uns das gesamte Material an O-Tönen, an Berichten und Reportagen unmittelbar zur Verfügung stehen, wir können viel schneller arbeiten, und die Moderatorinnen und Moderatoren werden während der Sendungen mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben haben, weil sie nicht mehr Dutzende von Handgriffen gleichzeitig machen müssen.
Wenn Sie dann Ihr ganzes Archiv elektronisch an jedem PC-Arbeitsplatz präsent haben, müßten doch geradezu neue Sendeformen entstehen, die mit diesem Reichtum spielen. Dann könnten Sie ja, sagen wir auf einen Hörerwunsch hin, im Handumdrehen alle Redepassagen von Klaus Wedemeier einspielen, in denen der Bürgermeister gehüstelt hat.
Wolfgang Hagen: Das wäre schön. Aber Sie dürfen sich die Digitalisierung nicht als einen Zauberkraken vorstellen, der einem alles beschafft. Das ist technisch ja alles gar nicht so einfach. Es handelt sich ja um ungeheure Datenmassen, allein an Musikstücken haben wir an die 400.000 Titel.
Ist das mehr als eine Frage der Zeit?
Wolfgang Hagen: Das wissen wir noch nicht. Es stellt sich aber im Zusammenhang mit der Digitalisierung eine ganz andere Frage. Da kommen Sie gar nicht drauf, aber ich sag's Ihnen trotzdem. Das ist die Frage des Multimedialen. Damit wird sich die ARD in absehbarer Zeit ziemlich eingehend beschäftigen müssen. Die Digitalisierung ist ja ein Medium, in dem alle anderen nahezu aufgehen können. Wenn Sie Musikstücke elektronisch speichern, dann können Sie natürlich auch Bilder, Texte, andere Daten dazupacken, und das Bedürfnis nach dieser Multimedialität ist da. Das ruft nach Sendeanstalten, die damit umgehen können, die darüber nachdenken, wie man Musikarchive mit Interpretendatenbanken und mit Bildern und Fernseh-aufzeichnungen verknüpfen könnte. Womöglich sind eigene Kanäle zu entwickeln, die solche multimedialen Angebote machen. Also ich denke, man muß da über die herkömmlichen Aufgabenstellungen der ARD ganz neu nachdenken.
Soll das heißen: Das alte Radio kann einpacken?
Hermann Vinke: Überhaupt nicht. Es kann attraktiver werden, bis hin zu der Möglichkeit, daß Sie mal nur die letzten Minuten eines Hörspiels mitgekriegt haben, und am nächsten Tag bestellen Sie sich's noch mal vollständig.
Also eine Art Pay-Radio?
Hermann Vinke: Das kann gut sein. Ein differenzierteres Angebot, und nicht mehr nach Art eines D-Zugs Waggon auf Waggon, sondern eher individuell zu steuern. Aber ich denke nicht, daß das alles nun die große Revolution ist. Wir müssen das Radio nicht neu erfinden.
Wolfgang Hagen: Also man muß immer mal den Horizont malen, und dann muß man wieder vernünftig werden. Vernünftige Leute sehen mit Staunen, wie chaotisch sich jetzt schon die Kanäle vervielfältigen. Da gibt es für die Öffentlich-Rechtlichen große Gestaltungsaufgaben. Oder denken Sie mal an die nächste Stufe der Digitalisierung, nämlich beim Sendebetrieb. Da werden dann die Sendungen nicht mehr analog und rundum ausgestrahlt, sondern sie werden als digitale Datenpakete versendet, und man kann, wenn man will, bestimmen, wo sie hingehen. Das wird auch noch mal was ziemlich Neues sein, weil es sozusagen eine Punktlandung des Radios ermöglicht.
Damit auch eine Punktlandung der Werbung.
Wolfgang Hagen: Ja, aber was die Privaten dann machen, zu denen tendenziell die Werbung ja abwandert, das muß uns nicht groß kümmern. Wir haben jetzt, glaube ich, in der ARD fast schon eine Milliarde verloren, und niemand hätte geglaubt, daß wir sowas überleben. Es geht aber doch, und man könnte im Gegenteil sehr froh drüber sein, daß wir in absehbarer Zeit völlig unabhängig von kurzfristigen Geschäftsinteressen unsere Gestaltungsaufgaben angehen können. Mit Sicherheit werden die Privaten dazu nicht in der Lage sein. Fragen Sie mal bei ffn, warum die noch nicht digitalisiert haben. Das können die nicht, weil sie eben von der Hand in den Mund leben.
Hermann Vinke: Ich denke aber, unsere Abhängigkeit von der Werbung bleibt noch lange bestehen. Wir sind auf diese 13 Millionen Zusatzeinnahmen angewiesen.
Wolfgang Hagen: Außerdem muß man bedenken, daß alles auch ganz anders kommen könnte. Die Multimedialisierung setzt ja auch voraus, daß die Gesellschaft das mitmacht, daß sie das braucht, daß sie weiterhin irgendwie funktioniert. Nehmen wir mal an, daß das anfängt, sich zu brechen - da spielt auf einmal das Radio wieder eine ganz andere Rolle, weil es in diesem multimedialen Angebot das bescheidenste, einfachste, direkteste Medium ist. Einen Transistorempfänger können Sie überall, selbst unter schwierigsten Bedingungen, als gegeben voraussetzen. Denken Sie an die ungeheure Rolle der vielleicht sechs oder sieben Radioamateure in Gorazde, die im Moment ein bißchen die Weltpolitik mitbestimmen. So viele Bomben kann man gar nicht abwerfen, daß alle Transistorempfänger kaputtgehen. Das wäre ein Hinweis auf die gesellschaftliche Funktion des Radios in einer Entwicklung, die halt nicht so idealtypisch verläuft wie die, von der wir immer ausgehen. Ein anderes Beispiel: In Afrika baut ein ehemaliger Radio-Bremen-Mann eine Art Network auf, da spielt das Radio auch eine ganz andere Rolle. Aber auch die arbeiten bereits mit der Digitalisierung.
Wenn wir mal nach Bremen zurückkehren: Was werden da Ihre nächsten Schritte sein? Basteln Sie nicht doch schon an all den neuen Sendungen, die sich anböten?
Wolfgang Hagen: Wir basteln nicht. Wir werden aber zum Beispiel mal sehen, ob wir nun genug Luft haben, ein vernünftiges Nachtprogramm auf die Beine zu stellen.
Hermann Vinke: Ich denke, daß sich die Digitalisierung vor allem in den alltäglichen Arbeitsabläufen bemerkbar macht. Aber unsere Aufgaben bleiben vorerst die gleichen, nur daß unsere Möglichkeiten, sie zu erfüllen, sich erweitert haben. Ich denke da mal an die Regionalisierung der Hansawelle, die wir natürlich jetzt weiter voranbringen wollen.
Sie bauen da ja auch immer auf die trivialen Einspareffekte, die die Digitalisierung so mit sich bringt.
Hermann Vinke: Wir haben das für uns so geregelt: Es wird niemand wegen dieser Umstellung entlassen. Aber in absehbarer Zeit werden natürlich einige Berufsbilder verschwinden, dafür gibt es neue. Der Toningenieur aber, die Cutterin, das wird es alles so nicht mehr geben.
Wo der Rationalisierungsdruck enorm ist, könnte zur Not ein einziger Mensch an seinem PC sowas wie Radio machen.
Wolfgang Hagen: Das geht auch schon mit simpleren Mitteln, und was dabei herauskommt, ist auch ganz danach. Nein, der Vorteil daran ist, daß die hoch entwickelte Arbeitsteilung in gewisser Hinsicht wieder aufgehoben wird. Sie brauchen nicht mehr jede Menge Leute mit hochspezialisierten Berufen, um ihre Sendung zu realisieren; dadurch wird auch Ihr eigener Zugang direkter und persönlicher. Und das Radio insgesamt wird ein schnelleres, ein unmittelbareres Medium werden.
Unmittelbar heißt aber auch: Die Leute draußen könnten jederzeit eingreifen, weil die Radiomaschinerie nun auch mit der nötigen Geschwindigkeit reagieren kann.
Wolfgang Hagen: Ja, das ist auch ein Faktor. Ich würde ihn aber nicht überschätzen. Es kann nebenher alle möglichen Interaktionsformen geben; das finde ich schön, aber das ist nicht das Medium, das wir gestalten. Die Interaktivität kann man nicht zum Programm erheben.
Wäre es dagegen denkbar, daß Radio Bremen eines Tages sein Programm verzweigt und drei große Wellen für die Masse hat und nebenher, vielleicht interaktiv über das ISDN-Netz, ein Zusatzangebot für speziellere Interessen?
Wolfgang Hagen: Das kann man sich alles vorstellen. Die Frage ist, ob wir es wollen. Was wir alle sicherlich wollen, ist eine gewisse publizistische Geltung als Sender. Das wäre undenkbar, wenn wir uns in hunderte von Einzelangeboten zerlegen würden.
Fragen: Manfred Dworschak
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