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Pawlowsche Reflexe

■ betr.: „Drei Christen adeln Günter Grass“ etc., taz vom 21.10. 97

Selbst wenn Plappermaul Hintze mit seiner sonderlichen Aussage, Günter Grass hätte sich mit seiner Frankfurter Rede „aus dem Kreis ernstzunehmender Schriftsteller verabschiedet“, recht hätte (Konjunktiv II!), wäre der CDU-Generalsekretär gegenüber dem großen alten Mann zu Behlendorf immer noch im Nachteil: in den Kreis „ernstzunehmender Politiker“ ist er nie aufgenommen worden. Günter Grass steht für Wahrhaftigkeit, Hintze für Geplapper auf Bestellung. Jürgen Adam, Zweibrücken

Mit seinen Äußerungen zu deutschen Rüstungsexporten und Abschiebungen in die Türkei hat Günter Grass unbequeme Wahrheiten gesagt, auf die viele Organisationen schon seit langem hinweisen. Er ist deshalb kein Nestbeschmutzer und keine Schande für Deutschland. Ganz im Gegenteil! Das sind nämlich jene, die die Rüstungsexporte und die Abschiebungen zu verantworten haben. Wer sich von denen jetzt über Grass aufregt, zeigt nur, daß ihm der Schuh paßt, den Grass ihm hingestellt hat.

Auch mit seiner Kritik, wir seien alle „untätige Zeugen einer abermaligen, diesmal demokratisch abgesicherten Barbarei“ hat er, auch wenn sie etwas verallgemeinert, im Grunde genommen doch recht. Viele Menschen sehen die Mißstände in Deutschland, aber nur wenige nennen sie beim Namen und tun etwas dagegen. Offenbar bedarf es gelegentlich drastischer Formulierungen, wie Grass sie benutzte, um Menschen wachzurütteln. Wir brauchen mehr so mutige Schriftsteller, Künstler und Menschen überhaupt, die Mißstände so deutlich anprangern wie Günter Grass. Kathrin Schallek, Bremen

Seit der Entstehung des Begriffs des Intellektuellen im 19. Jahrhundert sind Vertreter dieser Gruppe regelmäßig ihrer moralischen Verpflichtung nachgekommen, ihre weithin vernehmbare Stimme zu erheben und Mißstände in der Gesellschaft anzuklagen. Am Beginn der Reihe der Texte, die gleichermaßen politische wie historische Bedeutung gewonnen haben, steht zweifellos Emile Zolas Aufruf „J'accuse“, und Günter Grass' Laudatio für Yașar Kemal aus Anlaß der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am vergangenen Sonntag ist zweifellos ein weiterer kongenialer Bestandteil dieser Gattung.

Die Politik der Bundesregierung der vergangenen 15 Jahre – Entsolidarisierung und Umverteilung von unten nach oben –, vor deren Ruin eben diese Regierung nunmehr steht, ist indessen begleitet worden von einer Ausländerpolitik, deren Sprache, Geist und Ergebnis nicht anders als undemokratisch zu bezeichnen ist. Zwei wesentliche Bestandteile der reaktionären Bemühungen, die Ergebnisse des gesellschaftlichen Projekts nach 1968 rückgängig zu machen – eben in unserem Land eine offene, pluralistische, unverkrampfte Gesellschaft zu etablieren –, sind hier zu nennen. Zum einen die Beibehaltung des grotesken, auf einer Art Steinzeitbiologismus beruhenden Staatsbürgerschaftsrechts, dessen Abschaffung durch die rot-grüne Koalition kaum einen historischen Fortschritt darstellen wird, sondern allenfalls die Beseitigung eines skandalösen Zustandes, und zum anderen die lange, mindestens seit 1983 geplante Abschaffung des Asylrechts.

Und nachdem nun das Ausländerrecht seit 1913 unverändert geblieben und das Asylrecht weitgehend eingeschränkt ist, und nachdem nun der bedeutendste lebende deutsche Literat Günter Grass eine prominente Gelegenheit nutzt, die Grundwerte der Menschlichkeit einzufordern – in diesem Fall verfolgten Kurden Schutz in unserem Land zu gewähren, da die Regierung ihres Heimatstaates kontinuierlich massive Menschenrechtsverletzungen begeht –, stellen wir fest, daß die Pawlowschen Reflexe bei den Vertretern der rechten politischen Kräfte trefflich funktionieren. Ungeachtet der Aufforderung des ehrenwerten Immanuel Kant, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, haben die Herren Hintze, Hausmann und Lintner kein Problem damit, in aller Öffentlichkeit in der Gegend herumzudelirieren und ihre irrelevanten Äußerungen unters Volk zu bringen. Grass' Äußerungen sind keineswegs „üble Polemik“ und erst recht keine „unentschuldbare Entgleisung“. Vielmehr handelt es sich darum, gleichzeitig die fundamentalen Menschenrechte zu wahren und den Anstoß zu geben für den neuerlichen Aufbau einer Gesellschaft mit den Werten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Riza Baran, MdA, Berlin

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