: Pauschalierende Unterschriftenkampagne –betr.: „Ein Akt der Provokation“, „Jeder Mensch macht jeden Tag Fehler“ (Interview mit Wolfgang Schäuble), taz vom 1.2.99
Mensch kann den Grün-Roten in Bonn ja viel unterstellen, sie – mitunter zu Recht – als sonstwas kritisieren. Ihnen aber sehr nahezulegen, modifiziert auf Nachfrage, aber sehr nahe, daß hinter dem „provozierenden Vorhaben“ zur doppelten Staatsbürgerschaft – unterstellt – der Gedanke wäre, mensch könnte auf diese Weise die Rechtsradikalen stärken, ist schon nicht mehr nur heftig. Da fehlt dem Interviewten scheinbar doch die berühmte Latte an seinem politischen Gartenzäunchen.
Derselbe Schäuble, der vor Korpsstudenten in Halle bedauerte, „zu den neuen Bundesländern statt Mitteldeutschland Ostdeutschland“ sagen zu müssen, obwohl doch „wir alle wissen, daß Ostdeutschland noch weiter östlich liegt“ (Hamburger Abendblatt 8.12.92). Aber vielleicht war das auch nur ein Angebot zur doppelten Staatsbürgerschaft für die dort Lebenden... Der Schäuble, der angesichts der veränderten Weltlage „nicht mehr so genau zwischen innerer und äußerer Sicherheit unterscheiden“ kann. Der, mit Hinweis auf die internationalen Wanderungsbewegungen, schon mal orakelte: „Man muß ein Haus wetterfest machen in der Hoffnung, daß das schlechte Wetter nicht kommt.“ Schäuble, der auf dem 120. Stiftungsfest seiner Studentenverbindung K.D.St.V.Hercynia den „beinahe instinktiven Rückhalt in der nationalen Gemeinschaft“ beschwor. Auf dem CDU-Parteitag 1993 in Berlin war dann von der „Schutz- und Schicksalsgemeinschaft“ der Deutschen die Rede. Die Richtung dieses vorgeblich vom „Dienst am inneren Frieden in diesem Lande“ ergriffenen Herrn Schäuble führt letzendlich zu den jetzt noch leereren Unterschriftstischen der ganz Rechten. Die wird's freuen, die Folgen nicht absehbar. Schäuble und die Seinen aber werden ihre Hände öffentlich in Unschuld waschen. Damit sie nicht ganz so schmutzig-braun erscheinen. Kay Lehmann, Dresden
[...] Wer, so frage ich mich, kann sich denn von einem Doppelpaß für Ausländer provoziert oder gar bedroht fühlen, wenn nicht diejenigen, die sich von Zeitungen mit großen Buchstaben oder Dauer-CDU- Wahlkampfrednern einreden lassen, daß es etwas ganz Tolles ist und wahnsinnig viele Vorteile bringt, wenn man zwei Pässe hat, daß eine solche Regelung eine größere Gefahr darstellt als seinerzeit die RAF und daß „rechtsfreie Räume“ entstehen würden, nur weil Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind oder doch seit langer Zeit hier leben und Steuern zahlen, zwei Pässe haben, kurz, daß alle Ausländer Verbrecher und nur darauf aus sind, sich völlig unberechtigt an unserem Sozialsystem zu mästen. [...]
Glaubt Herr Schäuble wirklich, daß er mit seiner pauschalierenden Unterschriftenkampagne Rechtsradikalismus verhindert? Vielleicht entzieht er ja damit tatsächlich den Reps und Konsorten Wähler, aber es würde mich an seiner Stelle beunruhigen, wenn diese Leute meine Partei wählen. Ihn anscheinend nicht. [...]
Herr Schäuble argumentiert, er sei gegen Volksentscheide, weil „viele Fragen in ihrer Kompliziertheit der Entscheidung (sich) nicht auf Ja oder Nein reduzieren lassen“. Das ist wahr, und zwar in ganz besonderem Maße für die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft, wo die Reduzierung der Entscheidung zu einer äußerst gefährlichen Polarisierung führen muß. Und er sagt, daß Volksentscheide „im Zweifel nicht innovationsfreundlich sind, sondern eher das Bestehende verteidigen“. [...] Herr Schäuble, wo steckt in Ihrer Aktion die Innovation?
Zum Abschluß ein Vorschlag zur Güte: Bayern ausgliedern, dann können die Bayern in Deutschland und die Deutschen in Bayern einen zweiten Paß beantragen, damit der Neid aufhört. Gudrun Küssner, Berlin
Schäuble redet von seinem Verdacht, daß die von der Regierung geplante Änderung von Staatsangehörigkeitsrecht und Einbürgerung „die Rechtsradikalen stärken“ könnte, und er redet von einem „Akt der Provokation“. Dieser Logik entspräche auch dies: Wer jüdischen Gemeinden Raum gibt, sich öffentlich darzustellen, ruft Antisemitismus auf den Plan; wer Behinderten ermöglicht, sichtbar am öffentlichen Leben teilzuhaben, stärkt Rufe nach Euthanasie; weitere Beispiele dieser Art ließen sich leicht finden. [...]
Setzte man die Logik im obengenannten Sinne fort, wären wir der Auseinandersetzung mit rechtsradikalen Kräften auf einfachste Weise enthoben: Alle müssen ihre Interessen zurückstellen, die Rechtsradikale in ihrer Ruhe aufstören könnten; niemand soll gesellschaftliche Gruppen und Phänomene aus dem Status der Verborgenheit holen, wenn Rechtsradikale daran Anstoß nehmen könnten.
So scharf und konkret eben nicht zu formulieren, sondern uns als Wahlvolk mit dem weichen Nebel vielseitig deutbarer Worte zu umgeben, darin besteht die Kunst der politischen Sprache in der CDU. Heidi Schultz-Amling, Hofheim/Taunus
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