Patriarch Ignatius Joseph III. über Syrien: „Wir haben Angst vor Wandel“
Der Patriarch der syrisch-katholischen Kirche erklärt, warum ihm Assad lieber ist als ein Sieg der Opposition. Er sieht sein Land auf eine islamische Autokratie zusteuern.
taz: Eure Seligkeit, die Führer der Christen in Syrien versuchen, neutral zu bleiben. Ist das in einem Konflikt, der zunehmend konfessionelle Züge annimmt, noch möglich?
Seine Seligkeit Ignatius Joseph III.: Wir versuchen nicht, neutral zu bleiben. Wir waren immer gegen die Korruption des Regimes. Aber wir sind der Meinung, dass Gewalt nicht zu einer demokratischen Gesellschaft führt. Wir können nicht vom Arabischen Frühling reden, wenn eine gewaltsame Opposition das Regime stürzen will, weil dieses die alawitische Minderheit repräsentiert, die Sunniten aber in der Mehrheit sind. Dass die Demonstrationen immer nach dem Freitagsgebet in den Moscheen begannen, sagt viel aus und hängt mit islamischem Fanatismus zusammen. Es ist ein konfessioneller Konflikt, kein Volksaufstand.
Bleibt es nicht doch ein Kampf gegen ein diktatorisches Regime?
Das Regime in Syrien ist nicht mit dem ägyptischen vergleichbar. Baschar al-Assad war erst seit zehn oder elf Jahren an der Macht. Er hatte zwar das Erbe seines Vaters übernommen, war aber Reformen gegenüber aufgeschlossen. Syrien war eine Art Diktatur, eine Ein-Parteien-Diktatur oder eine konfessionelle Diktatur. Aber Bildung war zum Beispiel bis zum Universitätsabschluss umsonst, die Alphabetisierungsrate war höher als in den meisten Ländern der Region.
Mar Ignatius Joseph III. Younan, geb. 1944, ist seit 2009 Patriarch der mit Rom unierten syrisch-katholischen Kirche von Antiochien mit Sitz in Beirut, Libanon.
Die Christen, die 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen, genossen in dieser Diktatur weitgehende Freiheiten …
Ich sage nicht, dass wir Christen von einem solchen Regime beschützt werden müssen. Aber wir haben Angst vor dem gewaltsamen Wandel. In der Innenstadt von Homs gibt es keine Christen mehr. Unsere Kirchen und Häuser wurden angegriffen, ebenso in Aleppo und anderswo.
Das wichtigste Bündnis der syrischen Opposition hat einen Friedensplan des Iran, der eine sofortige Waffenruhe und die Bildung einer Übergangsregierung vorsieht, zurückgewiesen. Er sei „obsolet“ angesichts der „politischen und militärischen Siege“ der Opposition, erklärte die Syrische Nationale Koalition am Freitag. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte derweil, Regierungstruppen hätten erneut Scud-Raketen eingesetzt. Es sei die Tat „eines verzweifelten Regimes kurz vor dem Kollaps“. (afp)
Sie sagen „wir Christen“. Aber kein religiöser Führer kann für alle Christen in der Region sprechen. Wie stehen die Menschen selbst zu dem Aufstand?
Es gibt Christen, die gegen das sogenannte etablierte Regime sind, und andere, die gegen diejenigen sind, die sich Revolutionäre nennen. Meiner Meinung nach wollen die meisten Christen ein stabiles Regime, egal wie dieses aussieht. Die Christen haben keine Milizen und wollen nicht kämpfen, nur um das Regime in ein muslimisch-autokratisches System zu verwandeln. Man kann sie die schweigende Mehrheit nennen oder sagen, dass sie auf der Seite des Regimes stehen. Aber die Mehrheit will einen wahren Regimewechsel. Sie will nicht nur ein Regime gewaltsam stürzen und darauf hoffen, dass das nächste besser wird.
Westliche Staaten unterstützen die Opposition. Die jüngst gebildete Nationale Koalition ist durch internationale Anerkennung gestärkt worden. Ist das falsch?
Der Westen, die sogenannte zivilisierte Welt, folgt nicht seinen Prinzipien von Freiheit und der Trennung von Staat und Religion, sondern begünstigt den politischen Islam. Er versucht, die wachsende muslimische Mehrheit zu beschwichtigen und ihr die Freiheit zu geben, die Länder im Namen der Religion zu regieren, so wie es jetzt in Ägypten geschieht. Dass es im Kern ein konfessioneller Konflikt ist, wollen die Politiker im Westen nicht anerkennen. Wir Christen wurden im Stich gelassen, sogar betrogen von den sogenannten Demokratien der westlichen Welt.
Also sagen Sie: Hätte der Westen wirkliches Interesse am Schicksal der Christen in den arabischen Ländern, würde er die Diktaturen unterstützen?
Genau. Die Christen laufen Gefahr, nicht in ihren Ländern bleiben zu können. Die westlichen Politiker unterstützen, was sie den Arabischen Frühling nennen, obwohl sie schon immer wussten, dass er von dem Willen getrieben wird, muslimische Autokratien zu errichten.
Sollte die EU aufhören, die syrische Opposition zu unterstützen?
Natürlich. Ansonsten wird der Konflikt immer weitergehen. Deutschland muss sagen, dass Wandel notwendig ist, aber nur mit politischen Mitteln erfolgen kann. Wir dürfen nicht einfach ein Wunschbild der Zukunft im Kopf haben, in der Syrien zu einer Demokratie wird wie in Europa. Das ist Fantasie.
Sagen Sie, dass Demokratie in der Region nicht möglich ist?
Demokratie wie in Europa ist nicht möglich und wird für viele Jahre nicht möglich sein.
Leser*innenkommentare
Thomas H
Gast
Eine im Sept. 2012 neu aufgestellte christliche Kampfbrigade der Free Syrian Army (FSA):
http://www.youtube.com/watch?v=SRZxPU7JVB0
Es gibt längst auch drusische, alawitische und kurdische FSA-Brigaden, sowie diverse ethnisch und konfessionell gemischte Oppositionseinheiten unter dem Kommando der FSA.
Angesichts der Tatsache, dass die (vom Assad-Regime über viele Monate hinweg massenmörderisch niedergeschlagenen!) oppositionellen Massenproteste in nahezu allen Städten Syriens die Mehrheit aller Syrer umfasst hat -egal welcher Ethnie oder Religionsgemeinschaft die nach Freiheit rufenden Syrer angehören- ist die Behauptung des Kirchenführers von Assads Gnaden schlichtweg unsinnig, dass es sich beim Bürgerkrieg in Syrien um einen reinen Religionskrieg handeln würde.
Im Übrigen halten einige sunnitische Clans noch immer an ihrer Unterstützung des Assad-Regimes fest, was ebenfalls nicht der Fall sein könnte, wenn der innersyrische Konflikt ein Konflikt zwischen den Religionen wäre.
Selbst islamistische Dschihadisten kämpfen in Syrien auf gegnerischen Seiten mit, statt auf der selben Seite zu stehen. Die meisten ausländischen Dschihad-Interventen in Syrien sind nach wie vor iranisch unterstützte schiitische Kämpfer von Hisbollah, Mehdi-Armee und Quds-Brigaden/Pasdaran, die in Syrien gemeinsam mit Assads alawitischen Shabiha-Todesschwadronen genozidal gegen die mehrheitlich oppositionell gestimmte syrische Zivilbevölkerung wüten.
Auf Seiten der sehr breit gefächerten syrischen Opposition mischen derweil immer mehr sunnitisch-islamistische Dschihadisten aus dem Ausland mit, die vor allem von den antirevolutionären arabisch-sunnitischen Golfstaaten-Herrschaftseliten unterstützt werden, die zwar Irans Marionette Al Assad beseitigt sehen wollen, die jedoch keinerlei Interesse an einer innersyrischen Demokratisierung und Liberalisierung haben, wie sie die Mehrzahl der syrischen Oppositionskräfte seit nun bald zwei Jahren zu erkämpfen versucht.
Einfacher ist die hochkomplexe Situation in und um Syrien nunmal nicht.
Egal was dieser oder jener (vom Assad-Regime handverlesene) altehrwürdige Religionsführer so alles drauflos behaupten mag ...
D.J.
Gast
@Pink,
Ihr Beitrag ist nicht weniger wirr als der, auf den Sie antworten. Haben Sie einen gewissen Einblick in die Lebensverhältnisse der syrischen Kirchenoberhäupter? Oder nur mal eben Antiklerikalismus auf Bodenniveau? Und was hat nun eigentlich der Patriarch der syrisch-orthodoxen Kirche genau mit der Aufnahme von Nazis in arabische Länder (Syrien, daneben u.a. Ägypten) zu tun?
Manchmal ist es mir peinlich, Atheist zu sein, wenn ich auf Leute wie Sie so treffen muss - mit einer antihumanen "Geschieht-ihnen-recht"-Einstellung. Was Leute wie Sie natürlich nie auf den Islam anwenden würden. Nach Ihrem Beitrag habe ich erst mal das Bedürfnis, mir gründlich die Hände zu waschen.
@Pink
Gast
Ich vestehe ihren Kommentar nicht.
Soll ich die Christenverfolgung gut finden?
Welche Rechte haben denn Atheisten (mit einem t) in islamischen Gesellschaften, und natürlich auch Schwule usw.?
In D gibt es keinen Patriarchen, sie meinen den EKD Vorsitzenden?
Schicken Sie Ihre Kinder einfach auf eine Schule mit 80% Moslemanteil, meiden Sie katholische Privatschulen und Kitas und natürlich auch das kath. Krankenhaus.
Ich schätze sie hassen das rote Kreuz, da es den syrsichen Flüchtlingen hilft. Ich finds gut, dass die Katholiken soviel Wohlfahrtsarbeit leisten, wir Protestanten können da nicht mithalten.
Helfen eigentlich Atheisten vor Ort in den syr. Flüchtligslagern?
Zu ihrer Oma: 1977 versus 2012. Ich bin eine andere Generation und habe deshalb einen anderen Blickwinkel. Das ist ganz natürlich.
Pink
Gast
@Christin:
Meine 1977 verstorbene Großmutter, eine wunderbare Frau, hatte mehr christliches Selbstbewusstsein als Sie verehrte Christin.
"Der linke Attheismus steht nun mal auf Islam ..."
Es heißt Atheismus und - wenn Sie schon Fremdworte anwenden, bitte erst nach nachsehen wo so ein Wort entstammt - der Katholizismus hat seine Akzeptanz selbst verdummtbeutelt. Schauen Sie dazu in den aktuellen Wochenspiegel !
Der Patriarch hat Angst vor Verhältnissen, die seinem guten Leben, seinem auskömmlichen Leben und seiner Macht abträglich sein könnten.
Nicht umsonst hatten die dollsten Braunen schon immer in Syrien unterschlüpfen können in der Vergangenheit. Befragen Sie "Ihren" Patriarchen dazu mal intensiv.
Auf eine ehrliche Antwort werden Sie warten bis in die nächste Steinzeit !
Christin
Gast
Als Christin mein Mitgefühl.
Hier im Westen sind wir Christen, vor allem Katholiken auch verhasst.
Der linke Attheismus steht nunmal auf Islam.
Ich habe keine Hoffnung. Wir sind jetzt im Reich des Antichristen. Die Verfolgung hat auch in Europa begonnen.
siehe auch: Brandanschlag Bremen, Brandanschlag Wiener Neustadt, Brandnaschlag (3 Kirchen!) in Amstetten.
Wahrscheinlich wird das hier nicht mal veröffentlicht.
Wir Christen werden uns warm anziehen müssen. Wir haben keine Lobby. Einziger Trost, wie im Iran werden Linke, Attheisten und auch Homos bald merken, dass sich das ganze auch gegen sie richten kann.
siehe auch: Vertreibung Homosexueller vom Hamburger Kiez
Hitch not dead
Gast
Gewalt führe nicht zu einer demokratischen Gesellschaft ... Demokratie wie in Europa sei aber andererseits auch gar nicht möglich und das sogar für viele Jahre nicht.
Eigentlich noch nicht mal erstrebenswert, die sogenannte Demokratie der westlichen Welt.
So logisch, wie mein Religionslehrer.
Bitte lasst die Atheisten raus - und macht dann weiter !
D.J.
Gast
P.S.: Wenn jetzt vor den und über die Feiertage das Freischalten der Kommentare nicht nur, wie üblich, mehrere Stunden (sehr oft, wenn der Artikel schon im Archiv ist), sondern mehrere Tage dauert (wie erlebt), wäre es da nicht sinnvoll, die Funktion vorübergehend ganz abzuschalten?
Trotzdem Danke für den Beitrag und Frohes Fest!
Bernd Goldammer
Gast
Der Mann hat Recht. Der Reporter drückt ihm blöde Fragen auf, aber er bleibt bei der Sache. Sind menschenfreundliche Diktaturen besser als eiskalte Demokratien amerikanischer oder westlicher Prägung, mit der Wahl -ähnlich der zwischen Pest und Cholera? Bildung für jedermann -kostenlos bis zur Uni-egal ob Muslime oder Christen. In den Ländern des Westens ist das undenkbar , Assad finanziert das mit größter Selbstverständlichkeit. Wird er deshalb vom Westen niedergemacht? Von der TAZ erfahren wir nur sehr oberflächlich und vor allem einseitig von der bösen Diktatur. Wie das Land wirklich tickt, wird uns vorenthalten. Wenn das syrische Volk Assad los werden will, soll es das bitteschön selbst entscheiden. Dazu werden keine ausländischen Söldner gebraucht. Schade ist es auch um die Millionen ,die FDP- Westerwelle in die sogenannten Freiheitskämpfer investiert. Schon seit Jahren und gegen den ausdrücklichen Willen des deutschen Volkes! Aber Syrien wird von den Neoliberalen des Westens als Aufmarschgebiet und Nachschubland für den Konflikt gegen den Iran gebraucht. Da können auch deutsche Christdemokraten keine Rücksicht auf ihre Glaubensbrüder nehmen. Mamon heist die Gottheit, der sie sich wirklich verpflichtet fühlen.
D.J.
Gast
Liebe taz, im Text steht etwas völlig anderes als in der Überschrift: "Aber wir haben Angst vor dem gewaltsamen Wandel." Ich denke, der massive Unterschied dürfte deutlich sein.
Im Übrigen denke ich nicht, dass die sunnitische Machtübernahme das Aus für sämtliche Christen in syrien - nach 1970 Jahren - bedeuten würde. Eine Minderheit würde unter den üblichen Bedingungen islamischer "Toleranz" bleiben: Rechtlicher Drittklassenstatus als Dhimmi (in etwa vergleichbar mit dem Status der Juden im europäischen Mittelalter). Tröstlich, oder etwa nicht?