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Patina des Zerfalls

■ Horst Weber in Bremerhaven ausgestellt - Mythen und Strandgut der Großstadt

„Eigentlich wollte Horst Weber Andy Warhol nur guten Tag sagen, daraus entwickelte sich eine langjährige Freundschaft“, sagt die Veranstalterin vor mehr als 200 Gästen, die zur Ausstellungserröffnung in die Bremerhavener Kunsthalle gekommen waren. „Eigentlich“ hat der Maler Horst Weber den Hinweis auf die persönliche Beziehung zu dem großen Kollegen nicht nötig, aber er hört es gern, denn Andy war seine „Vaterfigur“.

Angezogen von einem jungen Paradiesvogel, der ausgezogen war, in der New Yorker Kunst-Society sein Glück zu suchen, kamen die BesucherInnen scharenweise und machten aus dem Eröffnungsakt eine gesellschaftliche Inszenierung, was in Bremerhaven ein nicht zu verachtendes Kunststück ist. Trotzdem empfehle ich, der Bilder wegen die Kunsthalle zu besuchen, denn sie gehen weder in dieser Art von Inszenierung auf, noch im Fahrwasser der Warhol-Society unter.

Von Warhol übernimmt Weber vor allem dessen Motto „Think Big“. Das heißt bei Weber: großzügige Formate, leuchtende Farben, ein expressiver Pinselstrich.

Die in den letzten Jahren entstandenen Bilder haben Titel wie „Manhattan Midnight Big Lips Gunpoint“, „Exile on Sugarhill“, „Pacific Close Call“. Es sind poetische Titel, in denen Namen von Orten (und manchmal Menschen) festgeschrieben sind, die auf Geschichten hinweisen, Autobiographisches, das Weber in eine Formsprache übersetzt, die Allgemeines mit Persönlichem verbindet. Auf Grundflächen in rot, gelb, blau-fleckig, zerfließend, verwischt erscheinen maskenhaft abstrahierte Gesichter, mit weit aufgerissenem Mund, mit großen oder zu Schlitzen verengten Augen. Die Farben seien volkstümlich, laut und bunt, sagt der Gastredner Jens-Peter Mardersteig (Malente), die Masken verarbeiten „private Tatsachen zu Urerlebnissen“, zu privaten Mythen.

Um die deutsche Bedeutungstiefe vor dem verflucht oberflächlichen Warhol zu retten, wurde Nietzsche ins Spiel gebracht: „Die Deutschen wühlen in den

Eingeweiden der Wahrheit.“ Das sei genau das, was Weber verfolge. Darin hat Maderstein zum Glück unrecht, denn Weber enthält viel mehr von dem, was er an seinem amerikanischen Meister schätzte: „Lebensfreude, Witz, Humor“.

Mit den häufig verwendeten Farben gelb und rot zitiert Weber nicht nur die grelle Bemalung der Eingeborenen Neuguineas bei rituellen Zeremonien. Er spielt zugleich mit den optischen Floskeln der eigenen Herkunft, indem er schwarz-rot-goldene Stoffstreifen in die Bilder montiert; in „Manhattan Midnight...“ erscheinen sie als Hütchen auf dem Kopf eines zur Maske erstarrten German Boy, den in der fremden Welt ein großer Schreck überfällt. Weber: „Die endgültige Version des Bildes entstand zwischen dem Notruf zur Polizei und ihrem Eintreffen, nachdem mir Räuber eine Pistole vors Gesicht gehalten hatten.“

Das Diptychon „Pacific Close Call“ erinnert an eine Graffitti-Wand. Über die Grundfarben ist ein engmaschiges Gitter aus fremden Worten gelegt, Namen von Südsee-Inseln. Unter den Schriftzeichen sind feinteilige Flächen erkennbar, Rechtecke, in welche bearbeitete, zum Teil übermalte Fotos einmontiert sind. Touristenfotos mit dem üblichen Klischeeblick auf die letzten Paradiese, auf rituelle Tänze und halbnackte Körper, dazwischen Streichholzschachteln mit Gauguin-Aufdruck. Distanziert ironisch führt Horst Weber seine Suche nach unberührten Welten vor. Er sei, sagt er, „ein Nestflüchter“, und ein noch unfertiges Bild verrät den Grund. Blau übermalt, aber lesbar klebt auf dem „work in progress“ ein maschinengeschriebener Brief aus dem Jahr 1977, der auf die lebensgeschichtliche Spur führt, die noch in Webers Masken eingeschrieben ist. Es ist ein Brief der verbitterten Eltern an den homosexuellen Sohn: „So nimm bitte zur Kenntnis, Homosexualität ist für uns kein Diskussionsthema, sondern eine widernatürliche, ekelerregende Ferkelei.“ Narzißmus und elitäre Arroganz werfen sie dem Sohn vor und stellen ihn vor

die Wahl, „entweder dein Elternhaus oder die Glamour-Welt von Schwulen und Transvestit“ aufzugeben. Horst Webers Entscheidung ist irreversibel.

Er malt sich an die Mythen der Großstadt und die Mythen fremder Völker heran. Er findet keine letzten natürlichen Paradiese, keine subkulturellen Fluchtzonen. Er sammelt Strandgut, verwittertes Holz, Schultafeln, Erinnerungen, die Namen von Freunden, Fotos, übermalt sie und taucht sie in seine Masken-Welt. Was bleibt, ist kein wildes Leben, sondern die Patina des Zerfalls. Vielleicht ist das Spiel mit den sichtbaren/versteckten lebensgeschichtlichen Dokumenten noch

unausgewogen, vielleicht eine Spur zu deutsch, zu innerlich, was dem selbstgesetzten Motto „Mach keinen Kinderkram, Junge! “ (Think Big) widerspricht. Dennoch: Webers Bilder sind kein wehmütiges Wühlen im Eingeweide der Wahrheit. Die Masken mit den traurigen, schreienden, entsetzten Zügen verbergen und enthüllen-aggressiv und grell, aber ohne jedes Pathos - den verlorenen Sohn, den Ausgestoßenen, der keinen Fluchtpunkt findet, weder in New York noch auf einer Südsee -Insel.

Hans Happel

Kunsthalle Bhv. Karlsburger Str.4

bis 15.6.: Di-Sa 15-18, So 11-13 Uhr

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