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Pat Boone in der Mikrowelle

Ween, das agilste Duo der Popgeschichte, haben „12 Golden Country Greats“ eingespielt. Es riecht nach Männlichkeit und Freiheit. Doch dann zerfließt der amerikanische Traum in einem Strom aus Bier, Urin und Melancholie  ■ Von Marcel Anders

Erwachsen zu werden bringt gewichtige Vorteile mit sich. Erwachsen zu sein ist hingegen schrecklich langweilig. Und genau dagegen haben sich Dean (Mickey Melchiondo) und Gene (Aaron Freeman) Ween, bislang erfolgreich verwahrt. Mit 14 bezogen sie eine Farm in New Hope, Pennsylvania, lebten ihre pubertären Phantasien aus und schrieben genug Songs, um damit zwei Doppelalben pro Monat zu füllen. Vorausgesetzt, man hätte sie gelassen. Doch wer brauchte Ende der Achtziger einen kruden Stilmix aus HipHop, Punk, Jazz, Funk und Rock? Heute steht die Welt bei Beck, Tricky oder dEUS kopf.

Also sitzt Dean Ween, 26, mit frischgewaschenen Haaren und gestärktem Streifenhemd in einem Kölner Café und lamentiert über sein mittlerweile fünftes Album, das eigentlich keiner Erklärungen bedarf. Es sei denn, man hegt berechtigte Zweifel an der Ernsthaftigkeit eines lupenreinen Country- Epos, das bezeichnenderweise „12 Golden Country Greats“ heißt und garantiert keinen Hit wie „Voodoo Lady“ oder „Pushing The Little Daisies“ enthält. Solcherlei Zweifel ergeben sich aber nicht etwa aus der Verpflichtung gestandener Nashville-Veteranen als Sessionmusiker – Leuten, die schon Elvis, Roy Orbison und Willie Nelson Authentizität verliehen, sondern aus den lyrischen Verballhornungen patriotischer Werte: Männlichkeit und Freiheit, die Insignien des amerikanischen Traums, zerfließen in einem Strom aus Bier, Urin und Melancholie. Pat Boone in der Mikrowelle. Unnütz zu sagen, daß „12 Golden Country Greats“ gerade mal zehn Songs enthält. Und doch will dieses Album nicht wirklich als Persiflage verstanden werden. Schon eher als „Projekt“, als musikalischer Selbstversuch mit bewußtseinser(w/h)eiternder Wirkung – Ween in Nashville.

Dabei favorisiert Dean, der sich nicht als Country-Fan versteht, den Sound aber als uramerikanische Tradition preist, vor allem die alte Garde unter den singenden Cowboys – Waylon Jennings, Willie Nelson, Johnny Cash. Garth Brooks hingegen, der Populist und Abräumer des Genres, sei einfach nicht real und verkörpere den modernen „bad power country“: „Das ist ein überproduzierter Haufen Scheiße, der nichts mehr mit der ,Old School Hank singt den Blues‘- Variante gemeinsam hat. Ein einheitliches Geschleime mit irrwitzigen Hooks, die auf dümmste Art und Weise variiert werden. Es gibt einfach keine guten Songwriter mehr.“

Glück, Glanz, Ruhm und alles andere

Doch es gab tatsächlich Institutionen, die Ween ihren Nashville- Spaß nachhaltig vermiesen wollten: Die deutsche Plattenfirma WEA etwa weigerte sich trotz des offenkundigen Humors standhaft, ein solch puristisches Werk zu veröffentlichen, und selbst Muhammad Ali, der auf „Powder Blue“ eine Würdigung als Gastmusiker erfährt, zeigte wenig Verständnis für den eigenwilligen Humor des Duos: „Er hat es sich verbeten, auf unserem Album in Erscheinung zu treten. Ursprünglich gab es da ein Sample von etwa siebzig Sekunden, in dem er seine Mutter anbrüllt, daß er der größte Boxer aller Zeiten sei. Da wir aber keine Genehmigung von ihm bekamen, mußten wir es kurzfristig entfernen.“

Und so laufen Ween Gefahr, ihr erklärtes Ziel, weltweit Teenager zu Groupies zu machen und überhaupt Glück, Glanz, Ruhm und die Liebe der Frauen zu erlangen, erneut zu verfehlen. So ganz ohne Hitmaterial... Außerdem, so Dean, hat die Legende vom Lonesome Cowboy längst an Faszination verloren: „Ich glaube nicht daran, daß wir mit dieser Platte viele Mädchen aufreißen werden. Das wäre zwar grandios, aber im Grunde ist es doch Funkmusik, die Frauen anzieht. Es geht immer nur um den Bass. Das ist das magische Instrument. Hätten wir einen Bassisten, wären unsere Chancen weitaus besser.“

Und doch weigern sich Dean und Gene, Kompromisse dieser Art einzugehen. Kalkül ist schließlich etwas sehr Erwachsenes.

Ween: „12 Golden Country Greats“ (Flying Nun/Rough Trade)

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