: „Passage“ für KünstlerInnen - oder für Konzern?
■ Das ehemalige Passagen-Kaufhaus an der Friedrichstraße wurde von StudentInnen und KünstlerInnen besetzt / Aus der abrißgefährdeten Ruine soll nun ein Film- und Kulturzentrum werden / Eine Wiederbelebung des „Camera„-Kinos ist geplant
„Ja, wir sind verrückt, dieses Haus zu besetzen. Wir werden uns an dem Projekt auch völlig verschleißen, aber wir sind drin.“ - Der das sagt, heißt Clemens und sitzt mir in einem provisorischen, verrauchten und überheizten „Büro“ gegenüber. Ort ist die Oranienburger Straße, unweit des S -Bahnhofs Friedrichstraße. Und das einst noble Gebäude, um das es geht, stand mittendrin: Das Passagenkaufhaus zwischen Friedrich- und Oranienburger Straße wurde 1907/8 in Rekordzeit gebaut, um „den oberen Teil der Friedrichstraße verkehrsmäßig zu entlasten und den Menschenstrom, der von und zu den nördlichen Stadtteilen strebt, auf abgekürztem Weg seinem Ziele zuzuführen“, wie es in der Selbstdarstellung des damaligen Bauträgers heißt. Ein Einkaufsparadies, finanziert von einer Gesellschaft von Einzelhändlern, die den Mittelstand „im Kampf gegen die großen Warenhäuser“ durch die räumliche Konzentration von „Detailgeschäften“ stützen und konkurrenzfähig erhalten wollte.
Der Bau von Franz Ahrens war - als das erste Stahlbetonskelettgebäude Europas - nicht nur eine statische Meisterleistung; er stellte auch unter ästhetischen und architektonischen Gesichtspunkten einen Aufbruch zu neuen Wegen dar. Ein üppig mit „Tinos-Marmor und Bronzekassetten“ ausgeschmückter Kuppelraum verband zwei im rechten Winkel aufeinander zulaufende Gebäudeteile. Sie enthielten „Verkaufsräume in fünf Stockwerken, neun Höfe von beträchtlicher Ausdehnung, in Bronze gefaßte Schaufenster, Triumphbögen mit venezianischem Mosaik und reiche Bildhauerarbeiten. Von dieser ganzen Herrlichkeit ist heute nicht viel mehr als eine Ruine übrig geblieben. Der Rest ragt als fensterloses Skelett hinter einer gewaltigen Baugrube in den wolkigen Himmel. Die BesetzerInnen sicherten zuerst einmal die Eingänge, mauerten sie zu und machten mit Transparenten auf ihr Anliegen aufmerksam. Da der Wind durch die Trümmer fegt, teilweise wohl auch Einsturzgefahr besteht, war natürlich nur an eine symbolische Besetzung zu denken. Glücklicherweise standen aber die beiden angrenzenden Wohnhäuser (fast) leer. Kurzerhand wurden sie gleichfalls in Besitz genommen, provisorisch möbliert und im Erdgeschoß Büroräume eingerichtet.
Es kommen ständig BürgerInnen hereingeschneit, um sich zu informieren oder ihrerseits Informationen weiterzugeben. Heute erscheint ein Herr im Trenchcoat. Vor Jahren habe er einer Gruppe von Filmschaffenden angehört, die sich um Rettung und Nutzung des Gebäudes bemühte, aber schon an Vorzimmerbürokraten gescheitert sei. Er berichtet von einer Bauzustandsanalyse, die „nicht so schlecht ausgefallen sein soll“, aber eine realistische Einschätzung der Sanierungskosten auf bis zu 15 Millionen DM (!) veranschlagte. „Besonders die Hinterseite wird schweinisch teuer“. Stichwort Film: Von 1972 bis 1981 beherbergte die Ruine das Filmtheater „Camera“, in dem Archiv- und Dokumentarfilme sowie Abschlußarbeiten der Filmhochschule Babelsberg liefen; anschließend fanden meist Diskussionen mit den FilmemacherInnen statt. Die „Camera“ diente jüngst nur noch als Baulager für den neuen Friedrichstadtpalast.
„Ausgangspunkt für uns war zunächst der Kinoraum“, sagt Besetzerin Carolyn, Studentin der Kulturwissenschaft, „wir wollen die 'Camera‘ wiederbeleben und vor allem Low-Budget -Filme zeigen. Aber unser Konzept ist inzwischen darüber hinaus gewachsen. Wir planen hier ein Kunst- und Kulturzentrum einzurichten, in dem 24 Stunden am Tag Kino und Theatervorstellungen, Musikveranstaltungen und Ausstellungen stattfinden - und zwar Kunst, die nicht so viel kostet. Auch Ateliers und Musikübungsräume sollen entstehen.“
„Immerhin haben wir erreicht, daß die Abrißarbeiten zunächst gestoppt wurden. Der oberste Denkmalpfleger, Prof. Horst Weiss, befaßt sich mit unserem Antrag auf Denkmalschutz. Er sagte uns am Telefon, daß er sich freut, daß das jetzt besetzt ist...“ Die Eigentumsverhältnisse sind ungeklärt, zur Zeit vewaltet das „Baukombinat Tiefbau“ das Gebäude, aber es ist möglich, daß ein westdeutscher Konzern
-ehemaliger Eigentümer - Besitzrechte geltend machen könnte. Probleme über Probleme - vor allem die Frage, wie die jungen FilmstudentInnen, MalerInnen, TontechnikerInnen und LebenskünstlerInnen dieses Mammutprojekt, dessen tatsächliche Kosten nicht einmal annähernd bekannt sind, finanzieren wollen.
Marco antwortet! „Wir erarbeiten gerade die Satzung unseres Vereins 'Tacheles‘, der sich dann als juristische Person in die Auseinandersetzung begeben kann. Schon jetzt erhalten wir breite Unterstützung von Theaterleuten und FilmemacherInnen aus der Defa. Wir stellen uns eine Finanzierung über Spenden, Sponsoren und vor allem mit Staatsknete vor. Die Ufa-Fabrik West-Berlin könnte uns dabei als Modell dienen.“
Vom nebenan läßt sich das ehemalige Passagen-Kaufhaus „auf eigene Verantwortung“ auch besichtigen. Mit Taschenlampe ausgerüstet, steigen wir über den vierten Stock in die Ruine: Es zieht, Wasser tropft auf den Fußboden, Wandfragmente und Schutthaufen versperren den Weg, Eisenteile ragen von der Decke. Nur an wenigen Stellen läßt sich die vergangene Pracht erahnen, etwa an kunstvoll gekachelten Treppenaufgängen oder vereinzelt erhaltenen Steinfiguren. Die heilen Räume im dritten und vierten Stockwerk ließen sich in Ateliers und Proberäume verwandeln; der Kinosaal könnte zur Bühne freier Film- und Theaterarbeit werden. Ein unabhängiges Kunst- und Kulturzentrum im Herzen der zukünftigen Metropole wäre jedenfalls jede Unterstützung wert. Die wird gebraucht und ist erwünscht, damit der auf Stoff gesprühte Traum der BesetzerInnen dereinst Wirklichkeit wird: „Die 41. Berlinale mit der alten Camera“, steht auf dem Transparent über dem ehemaligen Kinoportal.
Frank Nordhausen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen