Parteiwechsel: Von Links nach Links
Nach 35 Jahren ist er bei den Sozis aus- und in die Linke eingetreten. Die Geschichte des Leo Stefan Schmitt zeigt, was Politik aus Leuten in der zweiten Reihe machen kann.
SAARLOUIS taz Und dann zerreißt Leo Stefan Schmitt den Aufnahmeantrag. Das ist etwas seltsam. Denn der Übertritt des bisherigen SPD-Funktionärs in Die Linke ist doch ein großer Schritt im Leben des 55-jährigen Berufspolitikers.
1952: Leo Stefan Schmitt wird im saarländischen Großrosseln geboren. Nach der Mittleren Reife am Gymnasium wird er ab 1970 Polizeibeamter. Im Jahr 1972 tritt er der SPD bei.
1980: Schmitt wird Mitglied der SPD-Fraktion im Saarbrücker Landtag. Zunächst jugendpolitischer Sprecher, arbeitet er 14 Jahre lang bis 1999 als innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Von 1991 bis 1999 ist er zugleich ihr Parlamentarischer Geschäftsführer. In dieser Zeit wird er zeitweise als möglicher Minister unter Oskar Lafontaine gehandelt.
2000: Schmitt wird Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. 7 Jahre lang arbeitet er in Dresden. Pünktlich nach seinem 55. Geburtstag erklärt Schmitt seinen Austritt aus der SPD - nach 35 Jahren Mitgliedschaft. Am Donnerstag ist er in Saarlouis der Linken beigetreten.
Wegen seines Wechsels von links nach links, von der alten sozialdemokratischen in die neue sozialistische Partei, ist der bisherige Geschäftsführer der SPD-Fraktion im sächsischen Landtag kurzzeitig ins Rampenlicht geraten. Drei Tage zuvor, am Montag, waren im Karl-Liebknecht-Haus, der Berliner Zentrale der Linken, viele Mikrofone und Kameras auf ihn gerichtet, als er den Wechsel in seine neue politische Heimat ankündigte.
An diesem Donnerstag aber, im engen Bürgerbüro von Oskar Lafontaine an der Silberherzstraße in Saarlouis, ist beim eigentlichen Akt nur ein ZDF-Team da. Für die Kameraeinstellungen - einmal von hinten, einmal von vorn - hat der Politprofi zwei Aufnahmeanträge ausgefüllt. Einen davon zerreißt er nun wieder. Zur Sicherheit.
Sicherheit und Heimat sind zwei wichtige Stichworte, um die politische Biografie Schmitts zu verstehen: Er personifiziert, wovor die SPD derzeit Angst hat: dass langjährige Genossen die Partei verlassen, um sich der neuen Linken anzuschließen. Der Werdegang von LS - El-Es, wie er im Saarland genannt wird - ist zugleich ein kleines Lehrstück darüber, wie die deutsche Politik in ihrer zweiten Reihe funktioniert, was sie aus den Menschen macht und wie die älteste deutsche Partei auf den Hund gekommen ist. Eher trotz statt wegen Leuten wie Schmitt.
LS hat im Großen und Ganzen das, was man in der SPD wohl Stallgeruch nennt. Sein Vater war zwar kein Arbeiter, kam aber aus einem Traditionsgebiet der Sozialdemokraten, aus der Nähe von Völklingen, dem Bochum des Saarlands. Er war Polizeibeamter, der am Ende seiner Laufbahn die Landeshundestaffel führte. Die Mutter von LS war Hausfrau. Eines Tages trat der Vater der FDP bei, dann wurde er SPD-Mitglied, ehe er auch dort austrat. Parteiaustritte haben in der Familie Schmitt Tradition. Dennoch, sie sind eine sozialdemokratische Familie: Die Schwester von LS ist SPD-Gemeinderatsmitglied in Bous, dem Heimatort der Schmitts, auch der Bruder ist Genosse.
Der junge Schmitt ging aufs Gymnasium in Saarlouis, verließ die höhere Schule mit der Mittleren Reife - er sei fast nur noch zu den Klausuren dort aufgetaucht, erzählt LS. 1970 fing er bei der Polizei an. Auch dort legte er nach eigenen Angaben zunächst mehr Wert auf sein Punktekonto beim Skat als auf gute Noten in der Ausbildung. Das änderte sich, als das erste seiner zwei Kinder kam: Da entwickelte LS erstmals so etwas wie Ehrgeiz, er absolvierte einen Kommissars-Lehrgang und war unter den besten 3. Von 350. Einer weiteren Karriere stand nichts entgegen - wenn er nicht 1972 der SPD beigetreten und Juso-Unterbezirksvorsitzender geworden wäre. Im damals noch tiefschwarzen Saarland mit seiner meist CDU-nahen Polizei "war das nicht gerade karrierefördernd", sagt LS.
Aber eine andere Karriere, wenn auch mit weniger Sicherheit, wartete auf ihn - die in der Politik. Und dieser Lebensabschnitt ist untrennbar mit dem Namen Oskar Lafontaine verbunden, im Guten wie im Schlechten. "Oskar", wie ihn LS ohne Koketterie nennt, förderte den jungen Schmitt. Er war 28 Jahre jung, ein politisches Talent, als er im Saarbrücker Landtag jugendpolitischer Sprecher wurde. Es folgte, auch angesichts seines erlernten Berufs, der Posten des Innenexperten, schließlich der des Parlamentarischen Geschäftsführers. Fast zwei Jahrzehnte lang war LS ein enger Weggefährte Lafontaines, dieses political animal, das die Genossen einst liebten und das sie heute fürchten.
LS war "Oskars Kampfhund", wie es ein ehemaliger SPD-Genosse sagt. Und hätte es nicht dieses politische Ausnahmetalent an seiner Seite gegeben, vielleicht hätte aus Schmitt mehr werden können. Immerhin war er in den 90ern auch mal als Landesminister im Gespräch. Den Sprung in die erste Reihe aber schaffte er nie. Dafür holte LS als Parlamentarischer Geschäftsführer für Lafontaine die Kohlen aus dem Feuer: Er verteidigte ihn öffentlich und schloss intern die Reihen, wenn Lafontaine unter Beschuss geriet. Etwa bei Affären um angebliche Unregelmäßigkeiten bei der Steuer oder um nie bewiesene Besuche im Rotlichtmilieu.
Solche eisenharten Machtjobs im Hintergrund sind vielleicht nötig in einer parlamentarischen Demokratie, das politische Geschäft lernt man dabei in seinem Kern besser kennen als irgendwo anders. Der moralischen Integrität aber sind sie eher nicht förderlich. Das Tricksen, wohl auch das gelegentliche Brüllen gehören zum Job. Dass man in dieser Funktion "mal ein ernsteres Wort reden muss als andere", räumt LS ein, das liege "in der Natur der Sache". Wer Sicherheit will, braucht solche Leute wie Schmitt. Oskar nützte LS, Schmitt nützte Lafontaine.
Doch die politische Seilschaft wurde brüchig, als der kleine Saarländer 1998 Finanzminister in Bonn wurde. LS kam nicht mit, und sein Stern in Saarbrücken begann zu sinken. Frühere Genossen kolportieren Gerüchte, Schmitt habe der Presse gesteckt, dass der damalige SPD-Landtagspräsident zwei Pensionen beziehe, um dann auf dessen sicheren Listenplatz zu kommen - das habe aber nicht funktioniert. Auch sonst lief es nicht gut. LS verzettelte sich in einem Kleinkrieg mit dem langjährigen SPD-Bürgermeister von Bous. Dennoch, wenn LS heute die viel befahrene Hauptstraße der 7.300-Seelen-Gemeinde entlangläuft, grüßt er noch immer die Leute beim Vornamen.
Oskar schmiss 1999 als Minister und Parteivorsitzender hin, LS war nun endgültig auf sich allein gestellt. Viele Verletzungen sind aus dieser Zeit geblieben, und man hört wenig Gutes über LS, wenn man die Genossen befragt, die damals mit ihm zusammengearbeitet haben. "Der iss von voo net wie von henne" - Der ist von vorne nicht so wie von hinten - zitiert ein früherer Parteifreund eine saarländische Redensart.
Immerhin, im Osten konnte man noch Politprofis wie LS gebrauchen. So wechselte Schmitt vor sieben Jahren nach Sachsen zur SPD-Landtagsfraktion. Zwar in die finanzielle Sicherheit, aber tiefer in den Apparat: Er war jetzt nur noch Geschäftsführer der Fraktion, kein Parlamentarischer Geschäftsführer mehr, ein Mann ohne Mandat, aber mit Macht. Nun ja, so viel Macht jedenfalls, wie zu haben ist einer Fraktion, die zunächst Opposition spielen durfte, dann endlich in die Regierung kam, heute aber nur noch knapp 10 Prozent der Wählerstimmen hinter sich hat. Und das in einem Land, in dem einst die glorreiche SPD gegründet wurde. LS kam, bekam, zur Sicherheit, einen Sieben-Jahres-Vertrag - und scheiterte.
Ein nicht nur politischer Freund aus Dresden beschreibt dieses Scheitern so: Der Wessi kam nicht an im Osten. LS, der Profi, der linke Lafontaine-Mann, erhielt keine echte Macht in der Fraktion, konnte nicht das machen, wofür er eigentlich geholt worden war: die Fäden ziehen, den Laden auf Vordermann bringen. Stattdessen wurde er misstrauisch beäugt, als Besserwessi abgestempelt: "Man hat ihn nicht lassen", sagt sein Freund, der kritisch anmerkt, LS sei "nicht immer geradlinig". Der Parlamentarische Geschäftsführer der Dresdner SPD-Landtagsfraktion, Martin Dulig, formuliert es so: "Was er jetzt macht, das ist link, nicht links."
Schmitt sagt, anfangs habe sein Freundeskreis in Dresden nur aus SPD-Genossen bestanden. In letzter Zeit sei es umgekehrt: Es sei nur noch einer darunter. Da wundert es nicht, dass Schmitt schon 2002, was er selbst nicht erzählt, gekündigt wurde: Er soll Interna an die Presse durchgestochen und Abrechnungen nicht korrekt geführt haben. Beide Vorwürfe wurden schnell als haltlos fallengelassen, eine Entschuldigung der Fraktionsspitze aber gab es nicht. Die Kündigung wurde nicht zurückgenommen, beschäftigt wurde LS kurioserweise weiter.
Frust kam auf bei LS, sein Arbeitseifer ließ nach. Der Stimmung in der Fraktion war das nicht zuträglich, heißt es aus Dresden. Dazu die politische Quälerei der späten Schröder-Ära mit Hartz IV, dann die Münte-Platzeck-Beck-Jahre mit Hindukusch-Einsatz, Rente mit 67 und Mehrwertsteuererhöhung - alles Gift für linke Sozis wie LS. "Die SPD hat ihre Seele verkauft", schimpft ein SPD-Landespolitiker, "ein Linker in der SPD zu sein ist Masochismus". Monatelang habe LS auf seinem Schreibtisch in Dresden demonstrativ Lafontaines Buch "Die Wut wächst" liegen gehabt, erzählt ein Abgeordneter. Lachen kann er darüber nicht.
Schließlich rief LS Ulrich Maurer an. Der frühere SPD-Landes- und Fraktionschef in Baden Württemberg ist nach Lafontaine der prominenteste SPD-Überläufer und derzeit Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken-Bundestagsfraktion. "Du, Uli, ich halts jetzt nicht mehr aus!", sagte Schmitt ihm - und so kam es zu dem Auftritt mit Maurer im Karl-Liebknecht-Haus, wo LS endlich einmal öffentlich über seine ehemaligen Genossen schimpfen durfte. Er sagte: "Viele SPD-Spitzenpolitiker kommen aus dem Kreißsaal über den Hörsaal in den Plenarsaal. Die wissen doch gar nicht, was da draußen los ist."
Zeitgleich veröffentlichte die konservative Saarbrücker Zeitung die Information, dass dieser Austritt mit dem 55. Geburtstag von LS zusammenfalle - dem Tag, ab dem er Pensionsansprüche von etwa 3.000 Euro habe. Schmitt streitet das nicht ab. Er betont aber, zugleich 6.000 Euro monatlich weniger auf dem Konto zu haben, nachdem man ihm als Geschäftsführer gekündigt habe. "Ohne finanziellen Rückhalt kann man so was nicht machen", sagt Schmitt. Und so viel werde er als Mitarbeiter der Linksfraktion im Bundestag auch nicht verdienen. Im kommenden Jahr wolle er dann entweder in Hessen oder in Niedersachsen, je nachdem, wo Die Linke in den Landtag einzieht, eine Fraktion aufbauen. Und schließlich, vielleicht 2009, ins Saarland zurückkehren.
Das alles erzählt LS im Gasthaus von Carmen in Wadgassen, einem Nachbarort von Bous. Hier geht er immer zum Frühschoppen, wenn er Urlaub hat. Es ist eine Arbeiterkneipe, an der Theke trinken ältere Männer schon um kurz vor zwölf Uhr ihr erstes, zweites, drittes Bier. Fast alle kennen LS, er spricht ihren Dialekt, die Wirtin gibt ihm zwei Bier aus. Und doch, irgendwie gehört Schmitt in seinem dunkelgrauen Anzug nicht mehr zu ihnen. Ein dicker Mann runzelt die Stirn, als er hört, dass LS nun zur "Linken" gewechselt sei. "Aus Überzeugung?", fragt er ihn. "Der schmeißt sich nur ran wegen der hohen Rente", meint einer und versucht, das Gesagte durch Lachen zu verharmlosen. "Die halbe Rente haste ja schon", sagt ein anderer. Auch er lacht. Die Stimmung ist nicht unfreundlich, LS ist hier zuhause, hier ist er sicher. "Heimat ist dort, wo man sich wohl fühlt", sagt Schmitt. Er meint auch die politische Heimat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW