Parteitag pro Autobahn: SPD auf der Überholspur
SPD-Landesparteitag stimmt mit knapper Mehrheit für eine Verlängerung der A 100. Zuvor hatte Wowereit die Vertrauensfrage gestellt. Linke lehnt das Projekt weiter ab
Mit einer sehr knappen Mehrheit hat der Landesparteitag der SPD sich für die Verlängerung der A 100 vom Dreieck Neukölln nach Treptow ausgesprochen: 113 Delegierte stimmten am Samstag für das Projekt, 108 dagegen. Die Partei kippte damit eine gegenteilige Entscheidung aus dem vergangenen Jahr. Gleichzeitig erlitt der Landesvorsitzende Michael Müller einen Dämpfer der Delegierten: Bei seiner Wiederwahl erhielt er nur noch 79,5 Prozent der Stimmen - vor zwei Jahren hatte er 12 Prozentpunkte mehr bekommen.
In einer hitzigen Debatte über die Autobahnverlängerung hatte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit seine Partei deutlich unter Druck gesetzt: Es gehe bei der Abstimmung nicht nur um die Autobahn, sondern "es geht um eine Frage, ob wir eine Regierungsfähigkeit auch unter Beweis stellen". Die Partei dürfe ihrem Spitzenpersonal nicht in den Rücken fallen, sagte Wowereit: "Mit was soll man eigentlich in den Wahlkampf gehen, wenn der Bürger zu Recht sagt: Ist denn der Regierende Bürgermeister und der Landesvorsitzende nicht mehr in der Lage, seine eigenen Leute zu überzeugen?" Er warnte die Delegierten auch vor negativer Presseberichterstattung, wenn sie nicht in seinem Sinne abstimmen: "Wir wissen, wie die Headlines morgen ausfallen würden! Wir wissen, welchen Schaden das machen würde!"
Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer verteidigte die Autobahn: "Es geht um Umwelt-, Gesundheits- und Stadtentwicklungspolitik gleichermaßen." Die Autobahn sorge für weniger Verkehr und entlaste insbesondere die angrenzenden Wohnviertel, die Familien mit ihren Kindern dort könnten dann wieder saubere Luft genießen. Junge-Reyer sagte auch "ein Wort noch zu den Grünen und zu der hier häufig fühlbaren Angst davor, wie die reagieren könnten": Man dürfe sich vor schwierigen Entscheidungen nicht drücken, nur weil eine andere Partei anderer Auffassung sei. Die Verlängerung der Autobahn sei "notwendig" und "Teil der Stadtentwicklungspolitik, die ich für diese Stadt gestalten möchte". Diese Verknüpfung zwischen ihrer Tätigkeit und der Autobahnverlängerung wurde von einer Reihe von Delegierten als Rücktrittsdrohung gewertet.
Ziele: Mit dem Leitantrag "Mieterstadt Berlin", das die SPD am Samstag einstimmig beschloss, will die Partei "Mietpreistreibereien" stoppen. Alle Einkommensgruppen sollen bezahlbaren Wohnraum finden, insbesondere Familien und Geringverdiener.
Mittel: Wenn Wohnungen neu vermietet werden, soll die Miete nicht höher als bei vergleichbaren Wohnungen liegen dürfen. Dazu müsste allerdings das Bundesrecht geändert werden, eine Mehrheit für eine entsprechende Initiative ist weder im Bundesrat noch im Bundestag in Sicht. Der Antrag kritisiert außerdem, dass ein guter Teil der staatlich geförderten Sozialwohnungen in Berlin teurer sind als ungeförderte Wohnungen. Dazu soll der Senat Verhandlungen mit den Eigentümern aufnehmen - Ausgang ungewiss. Die weitere Privatisierung von landeseigenen Wohnungen lehnt die SPD ab.
Klimaschutz: Die von Umweltsenatorin Katrin Lompscher (Linke) zunächst geforderte Verpflichtung von Hauseigentümern zu Investitionen in den Klimaschutz lehnt die SPD in diesem Umfang ab. Diese Investitionen sollten nur in Stufen erfolgen und behutsam auf die Mieter umgelegt werden. HEI
Die Gegner der Autobahnverlängerung wie der Spandauer Kreisvorsitzende Raed Saleh, der Umweltpolitiker Daniel Buchholz und der Kreisvorsitzende von Friedrichshain-Kreuzberg, Jan Stöß, hatten dagegen versucht, die Abstimmung als reine Sachentscheidung darzustellen. Ihre Position sei keine Kritik am Führungspersonal der SPD: "Ich bin Fan von Klaus Wowereit und ich bin Fan von Michael Müller", sagte etwa Buchholz, "aber aus fachlicher Sicht muss ich sagen: Diese Autobahnverlängerung brauchen wir nicht."
Der Beschluss der SPD sieht vor, dass die A 100 nur im Rahmen eines verkehrspolitischen Gesamtkonzepts verlängert werden soll. Dazu gehören etwa Tempo-30-Zonen auf Hauptverkehrsstraßen, mehr Blitzer und Verkehrsberuhigung auf den Hauptachsen durch die Innenstadt.
Nach dem Beschluss droht der SPD nun aber ein Konflikt mit dem Koalitionspartner. Nachdem ein SPD-Parteitag im Mai 2009 gegen die Autobahn gestimmt hatte, hatte ein Landesparteitag der Linken sich dem angeschlossen.
Und jetzt will die Partei dabei bleiben: "Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen", sagte der Fraktionsvorsitzende Udo Wolf. Er forderte die SPD auf, bis zur Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2011 auf den Bau zu verzichten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“