■ Parteitag der Berliner SPD: Streit mit Gewerkschaftsflügel: Elitärer Privatisierungsdiskurs
Wenn der in Berlin gerade vorexerzierte Streit um die Modernisierung der Sozialdemokratie Muster für die Bundespartei sein soll, kann einem nur angst und bange werden. Dort krachen gerade die deutschen Adepten Tony Blairs und der SPD-Gewerkschaftsflügel unvermittelt aufeinander. Es gibt praktisch keinen organisierten Gedankenaustausch. Kein Gespräch wird geführt über die Gründe, warum es Gewerkschaften und SPD mit beinahe zwingender Logik auseinandertreibt. Statt dessen werden hämische bis gehässige Pressemitteilungen verschickt.
Die ArbeitnehmervertreterInnen sitzen mit versteinertem Gesicht buchstäblich am Rande der rosaroten Parteikonvente. Dort zieht eine Handvoll SPD- Modernisierer, das Globalisierungsvokabular virtuos auf den Lippen, die Parteibasis am Nasenring zu neuen ideologischen Ufern: Der Staat ist pleite. Auch die Sozialdemokratie müsse also alten Balast abwerfen, sprich Staatsbetriebe privatisieren. Und das heißt, wie Walter Momper, der letzte Bürgermeister mit dem roten Schal, vormacht, daß auch SPDler nach betriebsbedingten Kündigungen im öffentlichen Dienst rufen. Für die Gewerkschaften ist dies der Sündenfall. Das können sie nicht verzeihen.
Der Gewerkschaftsflügel hat erheblich an Einfluß eingebüßt. Gleichwohl vermag er, die chamäleonhafte Metamorphose von der Arbeiter- und Volkspartei zum Privatisierungsvorturner zu stören. Aber resultiert daraus eine Abwägung zwischen der zweifellos notwendigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und der Frage, wie sozial gerecht das sogenannte „Sparen“ und Privatisieren eigentlich ist? Mitnichten. Die Berliner SPD hat den Diskurs darüber vermieden. Statt dessen haben die Großkopferten das Thema in eine elitäre „Arbeitsgruppe“ verschoben. Dort baldowern die Modernisierer nun unter sich aus, wie sich Kürzen, soziale Gerechtigkeit und Machterhalt zueinander verhalten.
Was der nächste Parteitag im November bringt, ist abzusehen. Da liegt ein Konzept auf dem Tisch, und der steht direkt neben dem Haushaltsloch. Die Delegierten werden die neuerlichen Privatisierungs- und Kürzungsvorschläge abnicken – weil am Abgrund schlecht Purzelbäume schlagen ist. Was bleibt, ist eine Sprachlosigkeit zwischen Gewerkschaften und SPD, die nur noch für Sottisen gut ist: Die Annäherung der SPD an Tony Blairs New Labour verspotten Gewerkschafter schlicht als „Blähung“. Christian Füller
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